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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Ein Klopfen an der Thür unterbrach das Gespräch, und auf das „Herein!“ des Pfarrers trat der alte Eckfried ein. Seine grauen Haare waren zerwühlt vom Sturme, und er schien erschöpft und athemlos, sodaß er kaum den Gruß hervorbringen konnte.

„Ihr seid es, Eckfried?“ sagte Vilmut mit einem Blick auf den Alpenstock, den der Bauer in den Händen trug. „Kommt Ihr denn aus den Bergen?“

„Ja, Hochwürden, und ich nicht allein!“ antwortete der Alte, während es feindselig in seinem Auge aufblitzte. „Es ist noch Einer aus den Bergen gekommen. Wissen Sie es schon – der Werdenfels ist da!“

Vilmut’s Stirn zog sich finster zusammen.

„Also ist die Nachricht doch wahr? Ich zweifelte noch immer daran!“

„Er war’s!“ bestätigte Eckfried. „Ich kenne ihn, meinem Auge dürfen Sie trauen! Er fuhr an mir vorbei wie der leibhaftige Böse, mitten in dem Sturm und Unwetter, das er uns von der Geisterspitze mit herunterbringt. Geben Sie Acht, Hochwürden, der Sturm wird Unglück anrichten irgendwo in Werdenfels.“

„Setzt Euch!“ sagte Vilmut, auf einen Stuhl deutend. „Ihr seid ja ganz außer Athem, und dann sagt mir, was Euch zu mir führt.“

Der Alte ließ sich nieder; er rang in der That nach Athem und schien mit einem Anfall von Schwindel zu kämpfen. Anna trat rasch zu ihm.

„Was ist Euch, Eckfried? Erholt Euch! Kann ich Euch irgend etwas helfen?“

Er schüttelte heftig den Kopf.

„Nein, gnädige Frau, es ist nur der weite Weg – und die Angst – ich komme vom Mattenhof!“

„Von Eurer Tochter? Aber Ihr könnt ja gar nicht so oft den beschwerlichen Weg machen, mit Eurem kranken Fuße!“

„Ich werd’ ihn nicht mehr oft machen,“ sagte Eckfried dumpf. „Vielleicht noch einmal zum Begräbniß – denn die Stasi ist jetzt im Sterben!“

„Das habe ich gefürchtet, seit ich mit meinem Vetter dort war,“ sagte Anna mitleidig. „Wir sahen es schon damals, daß die arme Frau nur noch Tage zu leben hatte. Aber unser Arzt versprach ja auf meine Bitte, ihr noch einen Besuch zu machen; hat er nicht Wort gehalten?“

„Doch, er war heute Morgen da, und er meinte – sie würde die Nacht nicht überleben.“

Die Stimme des Alten bebte in bitterem Schmerze, die junge Frau war im Begriff, einige tröstende Worte zu sprechen, als Vilmut sie unterbrach:

„Diese Nacht noch? Hat die Kranke die heiligen Sacramente empfangen?“

„Nein, Hochwürden, deswegen komme ich ja eben zu Ihnen,“ sagte Eckfried. „Der Herr Pfarrer von Hochdorf ist krank und kann nicht kommen, und die Stasi ist ja auch Ihr Beichtkind gewesen, bis zu ihrer Heirath. Sie verlangt nur nach Ihnen und hat mich von ihrem Sterbebette fortgeschickt, um Sie zu holen. Ich weiß ja auch, Sie wären gekommen, trotz des weiten Weges, aber da fing der Sturm an, und jetzt können Sie ja nicht hinaus!“

Wie zur Bestätigung dieser Worte schwoll das Brausen und Heulen draußen so furchtbar an, daß das Dach des Hauses erbebte. Vilmut erwiderte nichts, er trat wieder an das Fenster; es war jetzt vollständig dunkel geworden, aber wenn man auch nichts mehr sah, man hörte nur um so mehr das Toben in den Lüften. Gregor kannte die Stürme dieser Winternächte, die oft genug selbst im Thale verhängnißvoll wurden und oben in den Bergen Jedem Gefahr brachten, der sich hinauswagte, aber er schwieg nur einige Secunden lang, dann sprach er ruhig:

„Ich werde kommen, Eckfried!“

„Gregor, um Gotteswillen! Du willst nach dem Mattenhofe in diesem Sturme?“ rief Anna erschrocken. „Das ist unmöglich, Du wagst Dein Leben dabei! Warte bis morgen früh!“

„Dann ist es zu spät, Du hörst es ja! Wie ist der Weg, Eckfried? Werde ich bis zur Försterei mit dem Schlitten gelangen?“

„Ja, Hochwürden, bis dahin kommen Sie, aber von da müssen Sie zu Fuß weiter. Der Weg ist zu gehen, ich habe ihn ja erst gemacht, aber das war bei Tage. In der Nacht und in dem Sturme – die gnädige Frau hat Recht – Sie riskiren das Leben.“

„Und Dein Leben gehört nicht Dir allein,“ fiel Anna ein. „Denke an Dein Amt, an Deine Gemeinde, der Du so nothwendig bist! Keine Pflicht kann Dich zwingen, Dich selbst zu opfern für ein schon verlorenes Leben.“

Gregor richtete sich hoch und fest auf.

„Wenn man den Priester ruft, so wird er kommen! Das ist seine erste, höchste Pflicht, alles Andere muß davor zurückstehen! Ich bin in der Hand des Herrn, und die Sterbende soll nicht umsonst nach seinem Troste verlangen.“

Er öffnete die Thür und rief die Haushälterin herbei.

„Lassen Sie sofort den Schlitten anspannen und legen Sie das geistliche Gewand bereit. Der Ambros soll die Laterne und den Bergstock mitnehmen!“

Die Frau schlug entsetzt die Hände zusammen.

„Um aller Heiligen willen, Hochwürden, Sie wollen doch nicht bei diesem Unwetter in die Berge?“

„Zu einer Sterbenden!“ ergänzte Vilmut, in einem Tone, welcher jede Einwendung niederschlug. „Schnell! Es thut Eile noth!“

Er wandte sich dann zu der jungen Frau und bot ihr die Hand.

„Leb wohl, Anna – für alle Fälle!“

Anna sah zu ihm auf, mit einem Gemisch von Angst und unwillkürlicher Bewunderung.

„Mußt Du gehen, Gregor?“

„Ja, ich muß! Faßt Muth, Eckfried, ich komme zu Eurer Tochter!“

Eckfried war aufgestanden und hob die gefalteten Hände empor, während er gebrochen sagte:

„Hochwürden, das vergeß ich Ihnen mein Lebtag nicht! – Und unser ganzes Dorf wird es Ihnen nicht vergessen. – Der Herrgott im Himmel wird doch ein Einsehen haben und uns unsern Pfarrer nicht nehmen, denn einen zweiten wie Sie bekommen wir nicht wieder!“

Eine Viertelstunde später fuhr der Schlitten fort, und das kleine, aber kraftvolle Bergpferd, an rauhe Witterung gewöhnt, trabte muthig vorwärts. Bis zur Försterei war der Weg noch verhältnißmäßig erträglich, aber dort begann die eigentliche Gefahr. Von dort galt es, sich Schritt für Schritt durch den Sturm zu kämpfen, mitten durch den Wald mit seinen brechenden Aesten und über schneebedeckte Halden, wo es keinen Schutz gab gegen dies furchtbare Wehen.

Es war eine Nacht, wo selbst jedes Thier sich angstvoll verkroch in seine Höhle.

Aber der Priester war gerufen und der Priester kam! Das eigene Leben nicht achtend folgte er ohne Zögern dem Rufe der Pflicht. Dem kühnen und unerschrockenen Streiter im Sturme der Natur, wie in dem des Menschenherzens, fehlte nur eins zum echten Diener des Herrn – die Liebe und das Erbarmen!

(Fortsetzung folgt.)




Das Osterfest in St. Petersburg.

Man erzählt, daß einst ein russischer Feldherr seinen Soldaten die sonderbare Verheißung gab: „Wer heute fällt, erwacht auf ewig frei vom Militärdienst in seiner Hütte wieder“ – und daß er mit diesen Worten bei seinen Leuten Glauben fand. Das dürfte man heute nicht einmal dem russischen Bauer, geschweige denn dem gebildeten Russen bieten, denn auch für das Reich des weißen Czaren ist die Aera angebrochen, in welcher der kindlich-naive Glaube anderen Anschauungen den Platz räumen muß. Aber wie blasirt auch der Jungrusse unserer Tage sich geberden mag, das Kreuzchen, das ihm bei der Taufe umgehängt wird, trägt er bis zu seinem Tode auf der Brust und erfüllt bei wichtigen Anlässen alle die Pflichten, welche ihm die Lehre seiner Kirche auferlegt. Nirgends in der christlichen Welt ist auch das Volksleben so eng mit den religiösen Satzungen verbunden, wie in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_188.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2023)