Seite:Die Gartenlaube (1883) 214.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Schuten“ genannt, sind eins der nützlichsten Handwerkszeuge des Handels; ein einziger Mann, der „Everführer“, kann mittelst langer Hakenstange, des „Peekhakens“, welche er auf den Grund setzt und deren Krücke am anderen Ende er gegen seine Brust stemmt, die Schute leicht vorwärts bewegen; so bietet sich eine ebenso bequeme wie billige Beförderung auf dem Wasserwege. Ist Eile vonnöthen, so spannt sich der flotte kleine Schleppdampfer vor.

Die dem Abbruch geweihte Gegend gehört zu den älteren Hamburgs: dennoch liefert eine Suche nach Alterthümlichkeiten in derselben nur ein dürftiges Ergebniß. Der historische Sinn war stets sehr gering entwickelt im Hamburger. Das Initial, welches unseren Artikel schmückt, bietet den Typus der sogenannten Fachwerksbauten (Holzgerippe mit Ziegelausfüllung), aus denen der weitaus größte Theil der älteren hamburgischen Straßen besteht, immer das höhere Stockwerk über das untere hervorspringend, die Fenster nur durch Balken getrennt.

Das abgebildete Gebäude gehört zu Hamburgs Merkwürdigkeiten insofern, als es vor manchen hundert Jahren (so erzählt die Sage) eine tugendsame Jungfrau zur Besitzerin hatte, die in einen Schiffsbauergesellen sterblich verliebt war. Der Schiffszimmermann aber ward ein Schiffer, ging zur See und kehrte nie zurück. Das Jungfräulein grämte sich und starb, nachdem es sein Haus an die ehrbare Schiffbauer-Genossenschaft vermacht hatte, unter der Bedingung, daß zum Andenken der jungfernkranzberechtigten Spenderin stets ein Kranz an dem Hause hängen müsse: gehe er verloren, so falle das Haus einer frommen Stiftung zu.

Da hingen denn die Schiffsbauer ihr Wappen an dem Hause auf, ein Schiff mit Maststumpfen, wie es auf den Helgen gebaut wird und vom Stapel läuft, und darunter hingen sie einen mächtigen Kranz. Immer nach einigen Jahren, wenn derselbe stark von Wind und Wetter mitgenommen, zieht das ganze Gewerk mit Fahnen und Musik hin und hängt einen neuen mächtigen Kranz auf, und das geschieht noch heutigen Tages – bis der Zollanschluß-Abbruch Kranz und Haus zerstören wird.

Und um diesen Abbruch wird noch manche heiße Thräne fließen. Unter den auszutreibenden 25,000 Menschen befindet sich so mancher kleine Geschäftsmann, dessen sichere Existenz auf der in der Nachbarschaft erworbenen Kundschaft beruht; so etwas ersetzt sich nicht so schnell wieder in entfernter Stadtgegend. Wohl muß der Staat die Häuser, welche er sich aneignet, bezahlen, aber auf die meisten Verluste der obenerwähnten Art trifft das hamburgische Expropriationsgesetz nicht zu. Doch die Zahl der Trauernden ist winzig gegenüber derjenigen der Jubilirenden. Die Hauswirthe Hamburgs litten in den letzten Jahren an einer durch Bauschwindel hervorgerufenen Ueberproduction; jene 25,000 aus ihren bisherigen Wohnungen auszutreibenden Menschen sollen die leeren Wohnungen füllen, die Miethen steigen lassen. Die Bauhandwerker träumen von einem Goldregen, der sich in Folge der zu beschaffenden Neubauten über sie ergießen wird; die übrigen Handwerker rechnen darauf, daß es auch ihnen gut geht, wenn so viele Millionen in Umlauf kommen. Die Kaufleute wünschen anstatt der alten Speicherbauten neue praktische Niederlagen, die ihnen der Staat dann im Interesse des Handels zu recht billigem Preise überlassen möge. Im Allgemeinen hofft man auf einen Aufschwung des Verkehrs, welcher für alle Stände reiche Früchte tragen soll. Werden diese Hoffnungen sich erfüllen? Oder werden die Stimmen derer Recht behalten, welche vor dem Tanz um’s goldene Kalb warnen, welche an den Milliardenschwindel nach 1871 erinnern und die den auf den kurzen Taumel folgenden „Krach“ prophezeien? Und wird Hamburg im Range unter den Weltmärkten steigen oder verlieren?

Die Zukunft wird es lehren. Heutzutage kann Niemand die Folgen einer so gewaltigen Umwälzung, wie sie Hamburg bevorsteht, mit annähernder Sicherheit voraussagen. Einigen Trost gewährt es, daß der Handel anschmiegungsfähiger betreffs neuer ungewohnter Verhältnisse ist, als mancher andere Zweig des menschlichen Wirkens, und daß Hammonia, die Schutzgöttin Hamburgs, schon unter so manchem Sturm ihr Haupt tief gebeugt, sich aber immer rasch wieder muthig emporgerichtet hat. Krieg, Brand, Ueberschwemmung, Handelskrisen, Alles ward bisher von den zähen Hanseaten verhältnißmäßig schnell verschmerzt. Hoffen wir, daß auch nach der bevorstehenden Uebergangszeit Hamburg neu aufblühen möge, auf daß es nach wie vor erglänze als eine der schönsten Perlen in der Krone des deutschen Reiches!




Beamtenfängerei.

Es giebt eine Art Hazardspiel, nicht weniger schlimm, als das Kartenspiel, eine Art Glücksspiel, welches nicht bei verschlossener Thür eines feinen Restaurants und nicht an dem Tische einer Spielhölle à la Monaco, sondern offen an den Börsen unserer großen Städte getrieben wird. Der Lauf der Geschäfte, der wechselnde Ertrag der Ernten und die Fehler oder Siegestrumpfe der Diplomaten bewirken es, daß der Werth der verschiedenartigsten Actien, der verschiedensten Producte des Bodens und der Staatspapiere ewigen Schwankungen ausgesetzt ist. Auf der Actie steht z. B. ihr nomineller Werth mit 100 Mark verzeichnet, aber auf dem Geldmarkte werden für dieselbe Actie bald 105, bald nur 95 Mark bezahlt. Heute kosten, um das Beispiel zu erweitern, 1000 Kilogramm Weizen 160 Mark, aber in sechs Monaten muß man für dieselbe Waare vielleicht 180, vielleicht auch nur 140 Mark, je nach dem Ausfalle der Ernte, bezahlen. Der Kaufmann und der Banquier müssen mit diesen naturgemäßen Schwankungen rechnen, sie müssen speculiren und die Speculation in den Bereich ihrer geschäftlichen Erwägungen ziehen. Darüber ist kein Wort zu verlieren.

Nun giebt es aber Leute, welche dieses Steigen und Fallen der Preise dazu benutzen, um aus dem Kaufen und Verkaufen der Werthe ein besonderes Geschäft zu machen, welche Actien kaufen, um sie zu höherem Preise zu verkaufen und den mühelosen Gewinn in ihre Taschen zu streichen. Das müssen wohl reiche Leute sein, werden unsere Leser sagen; denn, um einige hundert Mark zu verdienen, muß man für viele Tausend Actien kaufen. So denken die Meisten und erklären wohl: was gehen uns die wenigen Herren an, die um das goldene Kalb tanzen!

Aber sie irren. Jenes Spiel auf der Börse kann in Wirklichkeit mit viel geringeren Mitteln betrieben werden. Man braucht nur eine Art Wette einzugehen, einen Vertrag abzuschließen, der etwa folgendermaßen lautet: Schulze verpflichtet sich, Kohlenactien irgend welcher bestimmten Art für 100,000 Mark, welche heute, am 1. April dieses Jahres, auf der Börse mit 105 Mark pro Stück notirt werden und also den Werth von 105,000 Mark repräsentiren, am 1. October dieses Jahres an Müller zu demselben Preise zu liefern, und Müller verpflichtet sich, am genannten Termine für die tausend Stück Actien Herrn Schulze die vereinbarten 105,000 Mark auszuzahlen. Schulze speculirt: die Actien werden inzwischen fallen und am 1. October nur mit 100 Mark pro Stück notirt werden, ich werde also bis dahin 5000 Mark verdienen, denn ich kann die Actien, wenn das Glück mir günstig bleibt, für 100,000 Mark kaufen, werde sie aber für 105,000 veräußern. So setzt Schulze auf das Sinken der Werthe seine Hoffnung, und er speculirt auf die Baisse, wie man an der Börse sagt. Müller ist dagegen der entgegengesetzten Meinung, er denkt sich: die Actien werden steigen, am 1. October wird man für das Stück 110 Mark zahlen müssen, und der gute Schulze muß sie mir für 105 Mark liefern, ich verdiene also meine 5000 Mark. So setzt Müller seine Hoffnung auf das Steigen der Werthe, er spielt à la hausse.

Aber die Herren denken nicht daran, die 1000 Stück Actien wirklich zu kaufen: denn keiner von Beiden besitzt ein Vermögen von 100,000 Mark. Sie verpflichten sich nur gegenseitig am 1. October den Gewinn oder den Verlust, das heißt die Differenz, auszuzahlen und legen zu diesem Zwecke bei einem Banquier eine Caution von ein paar Tausend Mark nieder. Die Caution kann natürlich verloren gehen, sie kann aber auch, wenn der Spieler richtig speculirt hat, das Dreifache und Vierfache der deponirten Summe einbringen. In der That, ein verlockendes Geschäft! Aber es ist nur ein Hazardspiel, das wir, freilich ohne auf alle Finessen desselben einzugehen, nur in großen Zügen hier schildern konnten.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1883, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_214.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2023)