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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 14.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Alle Rechte vorbehalten.

Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Vilmut sah den Freiherrn an. Jetzt war es Triumph, der aus seinen sonst so kalten Augen blitzte und in seiner Stimme klang, als er antwortete:

„Nein, denn ich werde niemals die Wahrheit verleugnen. Anna hatte in meine Hand gelobt, keine Zeile mehr von Ihnen anzunehmen. Ich war bei ihr, als sie jenes Schreiben empfing, und mahnte sie an ihr Versprechen. Ich selbst nahm den Brief aus ihrer Hand und warf ihn in das Feuer.“

Ein tiefer Athemzug rang sich aus der Brust des Freiherrn, als sei eine Last von ihm genommen.

„Also gezwungen! Ich ahnte es, obgleich Anna es mir verschwieg.“

„Anna?“ wiederholte Gregor. „Was soll das heißen, Herr von Werdenfels? Haben Sie etwa seitdem Frau von Hertenstein gesehen und gesprochen?“

„Ja,“ sagte Raimund kalt.

„Und wann geschah das? Wo geschah es?“

„Darüber bin ich Ihnen keine Rechenschaft schuldig. Fragen Sie Anna selbst; sie wird ihrem strengen Beichtiger die Auskunft wohl nicht verweigern.“

„Ich werde fragen,“ sagte Vilmut finster. „Und ich werde mir Antwort zu verschaffen wissen.“

„Daran zweifle ich nicht, aber haben Sie Dank für Ihre Auskunft. Sie ist mir sehr viel werth, leben Sie wohl.“

Er wollte gehen, doch Vilmut vertrat ihm den Weg.

„Noch eins, Herr von Werdenfels – gedenken Sie in Ihrem Schlosse zu bleiben?“

„Für das Erste – ja.“

„Und wie soll ich und das Dorf Ihr Wiedererscheinen deuten?“

„Wie Sie wollen!“ entgegnete Raimund stolz und verächtlich.

„Ist Ihnen das so gleichgültig? Sie sind hier nicht so unnahbar, wie in Ihrem Felseneck, das sollten Sie bedenken –“

„Sprechen Sie Ihre Drohungen doch offen aus,“ unterbrach ihn der Freiherr. „Sie wollen von Neuem den Kampf beginnen, den wir Beide schon einmal mit einander gekämpft haben. Ich war darauf gefaßt, als ich Felseneck verließ.“

„Und Sie denken diesmal Sieger zu bleiben?“

„Ich denke diesmal Stand zu halten, wie auch das Ende sein mag.“

Es war ein seltsamer Ausdruck in dem Blicke, mit dem der Priester den „haltlosen Träumer“ maß, der jetzt eine so ungewohnte Energie zeigte, ein halb verwunderter, halb zorniger Ausdruck.

„Jene Unterredung muß wohl sehr inhaltreich gewesen sein, da sie Ihnen einen Kampfesmuth gegeben hat, der sonst gar nicht in Ihrer Natur liegt,“ bemerkte er. „Bauen Sie nicht auf den Tod des Präsidenten Hertenstein, auch bei seiner Wittwe können Sie das Geschehene nicht auslöschen, und ich, der ich ihr Hüter gewesen bin von ihrer Kindheit an, stehe ihr auch jetzt zur Seite. Was Sie auch versuchen mögen, Sie werden mich auf dem Platze finden.“

„Es bedarf der Hut nicht,“ sagte Werdenfels bitter. „Sie haben dafür gesorgt, daß ich nichts unternehme. Aber diese Unterredung hat mir auf’s Neue gezeigt, daß wir Beide bleiben, was wir von jeher gewesen sind – Feinde auf Leben und Tod.“

Er grüßte kurz und stolz und schlug den Rückweg nach dem Schlosse ein. Vilmut stand einige Minuten finster, wie in Gedanken verloren, dann sagte er halblaut:

„Also sie hat ihn gesprochen! Und sie verschwieg mir das!“


Lily war pünktlich zur Mittagszeit zurückgekehrt. Sie hätte gar zu gern die interessante Begegnung mit dem Schloßherrn erzählt, so wenig heldenhaft sie sich auch dabei benommen hatte, aber bei dieser Gelegenheit wäre doch auch das Rendez-vous bei den Haselsträuchen zum Vorschein gekommen. Das junge Mädchen verstand nicht zu lügen und wäre nicht im Stande gewesen, jene Zusammenkunft für einen Zufall auszugeben, sie schwieg daher über das Ganze. Die Unterhaltung bei Tische zeichnete sich überhaupt nicht durch besondere Lebhaftigkeit aus; der Pfarrer war sichtlich verstimmt von seinem Krankenbesuche zurückgekehrt, er sprach kaum ein Wort, auch Anna verhielt sich meistens schweigsam, und so war es Fräulein Hofer, die fast allein das Gespräch führte.

Kaum war die Mahlzeit zu Ende, so erklärte Vilmut, daß er etwas Wichtiges mit seiner Cousine zu besprechen habe, und zog sich mit ihr in das Studirzimmer zurück.

„Da zieht wieder ein Ungewitter heran!“ sagte Lily. „Wenn Vetter Gregor so aussieht, empfinde ich immer ein dringendes Bedürfniß, davonzulaufen. Ich beneide Anna nicht um diese Unterredung unter vier Augen.“

„Es werden geschäftliche Unannehmlichkeiten sein,“ meinte Fräulein Hofer. „Es giebt ja noch so Manches zu ordnen in dem Nachlaß des Präsidenten, und der Herr Pfarrer hat ja größtentheils diese Angelegenheiten in Händen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_217.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2023)