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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

und Zähnefletschen wird von fröhlichem Schwanzwedeln abgelöst, und heiter tänzelnd verschwindet er vom Schauplatz seiner Thaten.

Ernster – und in der That wirklich ernst – war für ihn der Kummer, den ihm später, zur Pariser Zeit, sein großer schöner Neufundländer bereitete. Er hatte ihn von Riga her mitgenommen: alle Gefahren der Wasserreise, alle Strapazen der Landfahrt, bei welcher der Hund neben dem Wagen hergelaufen, waren von „Robber“ glücklich überstanden, und so hing Wagner mit doppelter Liebe an ihm. Der Heinebiograph Strodtmann erzählt, daß Heine „andächtig die Hände faltete“ ob der Zuversicht unseres „unbekannten deutschen Musikus“, der „mit einer Frau, mit anderthalb Opern, mit einer kleinen Börse und einem furchtbar großen, furchtbar viel fressenden neufundländischen Hunde“ nach Paris kam, um sein Glück zu machen.

Aber – „Selbsterhaltung ist die erste Pflicht, menschliche Gesinnung gegen die Thiere eine zweite und schönste“. Das war ein Capitel aus Wagner’s Glaubensbekenntniß, und so ließ er seinen „Robber“ nicht im Stich. Aber Robber sollte ihn im Stich lassen. Eines Morgens war er verschwunden. Wagner bot alles auf, ihn wieder zu erhalten. Endlich ließ er, der damals in den kümmerlichsten Verhältnissen lebte, an die Straßenecken von Paris Plakate schlagen, die dem Wiederbringer des Hundes – hundert Franken Belohnung verhießen. „Hab’ ich nur erst den Robber – die hundert Franken werde ich schon irgendwoher zusammenbekommen!“

Aber auch das war fruchtlos, und Wagner mußte sich in den Verlust seines Lieblings ergeben. Da – als er nach Jahr und Tag seinen gewohnten Morgengang an einem nebligen Herbsttage unternimmt – steht plötzlich der Verlorene vor ihm. „Robber, Robber!“ Der Hund hört die Stimme, wedelt – dreht sich um und jagt davon! Wagner hinterher, durch Straßen, Plätze und Gassen, bis das Thier vor ihm im Nebel verschwindet.

Das war die einfache Geschichte. Wer aber sehen will, wie tief die Untreue seines Hundes, dieses seines „Treuesten“, den Herrn desselben berührte, der lese Wagner’s Novelle: „Ein Ende in Paris“. Aber keine Untreue machte unsern Meister an seiner Thierliebe irre. Später, als er Dresdner Capellmeister war, besuchte ihn einmal meine Mutter. Sie fand ihn in trüber, wehmüthiger Stimmung.

„Willst Du die Freunde sehen, denen ich am meisten verdanke? Da sind sie!“ Und er wies auf seinen Hund und seinen Papagei. „Es sind ja auch meine einzigen Kinderl“ fügte er hinzu. –

Aber wohin gerathen wir – wir wollten vom Kinde plaudern und erzählen uns Geschichtchen vom Mann! Ja, das ist eben die Sache, daß der kleine Richard Wagner schon so viel vom großen an sich hat, daß wir, wenn wir den ersten sehen, immer unwillkürlich an den zweiten denken.

„So!“ werd’ ich nun gefragt, [„]kannst Du uns da nicht auch etwas vom künftigen Musiker im Jungen erzählen?“ Nein, nur von dem gewaltigen Eindrucke, den damals ein Musiker auf ihn machte. Weber’s „Freischütz“ war erschienen, und Alles, vom Minister bis zum Lohndiener, sang, pfiff und trällerte seine Melodien. Weber selbst aber war damals in Dresden, was später Wagner war: Capellmeister. Wenn er aus der Probe kam und am Jüdenhof vorüberging, so rief Richard sein Schwesterchen an’s Fenster:

„Du, der da ist der größte Mann, der lebt; Du, wie groß der ist, das kannst Du Dir gar nicht vorstellen.“

Der kleine, dürre Mann mit dem langen, grauen Ueberrocke, mit der riesigen Brille auf der riesigen Nase – er wollte dem Mädchen anfangs gar nicht groß vorkommen, bald aber betrachtete auch sie ihn, wie ihr Bruder, nur mit „heiliger Scheu“. An keinem Abende aber, wenn der „Freischütz“ gegeben ward, war Richard im Hause zu halten. Hinter den Coulissen durfte er zuschauen – am Gelde für das Billet lag also keine Schwierigkeit, in’s Theater zu kommen. Wohl aber daran, daß Richard’s und der Mama Geyer Ansichten darüber, ob dies oder die Schularbeiten wichtiger seien, zuweilen aus einander gingen. Thaten sie’s, so setzte sich der Junge am Abend hin: „Ach Gott, jetzt ist nun das dran – jetzt das – jetzt das!“ und dabei heulte er „Thränen wie die Bierflaschen“ nach meiner guten Großmutter Ausdruck. Doch er erreichte schon damals meist, was er wollte: „Mach’, daß Du fortkommst!“ Husch, ging’s in den „Freischütz“! Nichts aber konnte die Phantasie des Knaben aufnehmen, ohne es, irgendwie verarbeitet, wieder aus sich heraus zu gestalten. Was war ihm das Spielen dort auf dem Theater: er selbst wollte den „Freischütz“ aufführen! Bei einem Freunde sollte er in Scene gehen, da war denn des Klebens und Pappens kein Ende – besonders an einen großen Eber erinnert sich meine Mutter, der mit seinen weißen Papphauern gar dämonisch auf seinem Brette einherschurrte. Die Wolfsschluchtscene war natürlich die Hauptsache. Richard gab den Caspar, aber der Max hatte nichts gelernt. Caspar machte ihm heimliche Vorwürfe, da lachte Max zuerst und schimpfte dann. Und die Zuschauer machten’s ebenso.

Es war eine jener Erfahrungen, denen kein begabter Knabe entgeht. Wie sollten ihn seine Altersgenossen auch verstehen, ihn, der, lebhafter als jeder Andere, Alles in sich aufnahm, was ihm entgegentrat, dessen immer erregte Phantasie ihm ein Kraftbewußtsein schuf, dem nichts unmöglich schien, und der dann wieder fast weiblich zart empfand und gegen Kleinigkeiten, welche die dicke Haut der guten Spießbürgerjungen kaum bemerkte, bis zu Thränen reizbar war! Immer mehr zog sich Richard von seinen Schulcameraden zurück, immer mehr verkehrte er nur mit seiner Schwester. Am meisten aber trug dazu die folgende kleine Geschichte bei, die Geschichte von Wagner’s – erstem Patronatverein.

Freilich, um Bühnenfestspiele handelte es sich damals nicht, sondern um etwas ein wenig Einfacheres: um ein Vogelschießen. Richard und Cäcilie hatten die kleinen Schächtelchen, in denen sie vom Frühstück abgesparte Pfennige für außerordentliche Gelegenheiten zu verwahren pflegten, schon recht schwer werden lassen: nun sollte ein großes „Sommerfest“ für Richard’s Freunde arrangirt werden, mit einem Vogelschießen als Glanzpunkt. Aber dazu war der Mammon doch zu knapp. So ward denn eine Art von Verein begründet: wer einen Dreier auf den Altar der Kunst legte, sollte Freud’ und Antheil an all dem Hohen haben, das da vorbereitet ward. So häuften sich die Summen, und als die Farben-, Rauschgold- und Nagellieferungen eingetroffen waren, begab sich der Meister an’s Werk, um aus dem schwersten Brennholze den stolzesten Aar hervorzuzaubern. Nun ward auch die Vogelstange im Garten errichtet, die zu gewöhnlichen Zeiten bescheiden als Wagendeichsel diente – und bald leuchtete das Wappenthier mit Gewinnen behängt in allen Farben über den Gartenzaun. Morgen sollte das Fest vor sich gehen. Aber ach, als der Unternehmer desselben am nächsten Tage mit seinem Intendanten, der Cäcilie, vor die Thür trat, sein Werk zu beschauen – da lag’s traurig am Boden. Die lieben guten Freunde hatten gefunden, daß doch das Vergnügen weit größer sei, wenn sie den Adler vorher mit Steinen herunterwürfen und sich nachher an Richard’s Wuth und Thränen weiden könnten.

„Wir haben unsern Dreier gegeben, da können wir auch damit machen, was wir wollen!“ war auf des armen Jungen Vorwürfe die Entgegnung seiner holden Genossen. Wie oft ist es Wagner mit großen weisen Männern so ergangen, wie hier mit diesen Schulcameraden, den „Freunden“ seiner Jugend! Es ist wahrhaftig kein Wunder, wenn er mit der Zeit lernte, „hart zu werden“.

Je älter Richard wurde, desto häufiger machte er sich auch an poetische Versuche. Er selbst erzählt uns in jener autobiographischen Skizze, die seinen Werken vorgedruckt ist, daß er das Englische „blos, um Shakespeare ganz genau kennen zu lernen“, trieb, wie er früher das Griechische so leidenschaftlich lernte, um den Homer in der Ursprache lesen zu können. Ein Gedicht auf einen verstorbenen Mitschüler wurde gedruckt. Durch Shakespeare angeregt, wuchs aber auch ein großes Trauerspiel in Wagner’s Kopfe heran.

„Der Plan war äußerst großartig,“ schreibt der erwachsene Meister darüber, „zweiundvierzig Menschen starben im Verlaufe des Stückes, und ich sah mich bei der Aufführung genöthigt, die meisten als Geister wiederkommen zu lassen, weil mir sonst in den letzten Acten die Personen ausgegangen wären.“

Ob es mit den „zweiundvierzig“ Opfern gar so ernst zu nehmen ist, weiß ich nicht – schauerlich genug ging’s aber in dem Drama her; denn mit dem Geiste Shakespeare’s, dem es bekanntlich auf ein Menschenleben mehr oder weniger auch nicht sehr ankommt, spukte damals derjenige des Gespenstergeschichtenerzählers von Beruf, E. T. A. Hoffmann, in Richard’s Kopf. Und dem jungen Wagner ging’s, wie seinem Vorbilde Hoffmann – auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_223.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2023)