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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

des Drusus Bruder Tiberius und Sohn Germanicus wieder sammeln und verstärken, und bald kam die Ernte der Zwietrachtssaat: die Marsen wurden von Germanicus überfallen und zusammengehauen, die Chatten von Cäcina überwältigt, und selbst die Cherusker waren in Parteien für und gegen die Römer zerrissen. An der Spitze der Römerfreunde stand Segestes, der seiner Hünengestalt wenig Ehre machte. Und er war der Vater der Thusnelda! Sie, die herrlichste Jungfrau der Germanen, vereinigte der innigste Herzensbund mit dem Befreier ihres undankbaren Volkes.

Dem unwürdigen Vater trotzend willigte Thusnelda ein, durch Entführung die Gattin des Arminius zu werden. Der Bruderkrieg brach aus, und das Unrecht siegte. Segest hatte selbst den verhaßten Schwiegersohn in seine Gewalt gebracht, doch wurde dieser durch einen glücklichen Ueberfall seiner Freunde wieder befreit. Desto tiefer traf Segest den edlen Armin in’s Herz, als er statt seiner sein angebetetes Weib, seine Thusnelda, zur Gefangenen machte. Um sie zu retten, zog Armin in wilder Wuth mit seinen Schaaren zur Belagerung der Burg Segest’s heran, und er würde des Verräthers Herr geworden sein und sein geliebtes Weib befreit haben, wenn nicht in dem Bruder derselben, in Segimund, ein zweiter Verräther erstanden wäre. Früher ein Getreuer Armin’s im Befreiungskampfe, holte er jetzt, als des Vaters würdiger Sohn, gegen seine deutschen Kampfgenossen die Hülfe der Römer unter Germanicus herbei.

Der römischen Uebermacht mußte Arminius weichen, und mit der Burg gerieth auch Thusnelda in die römische Gewalt. „Bei ihrer Gefangennahme,“ erzählt Tacitus, „vergoß sie keine Thräne, keine Bitte um Mitleid kam über ihre Lippen, fest drückte sie über dem Busen ihre Hände in die Falten des Gewandes, gefaßt niederblickend.“ Weil es dem Germanicus gelungen war, Segest zu befreien, so mußte nun der Bedrängniß, aus der ihn der Römer erlöst, der Dank, und dem Haß gegen Armin die Rache an Größe angemessen sein: der germanische Vater lieferte sein Kind, Armin’s Gemahlin, Thusnelda, den Römern als Gefangene aus.

„Für die jugendliche Verirrung meines Sohnes,“ sagte er zu ihm, „bitte ich um Vergebung: daß meine Tochter sich nicht freiwillig ergab, gestehe ich. Du selbst magst erwägen, ob Du sie verderben oder erhalten willst, ob es bei Dir mehr Gewicht hat, daß sie Arminius’ Weib, als daß sie meines Blutes ist.“

Thusnelda, die später zu Rom in dem Triumphzuge des Germanicus aufgeführt wurde, gebar in der römischen Gefangenschaft einen Sohn, der zu Ravenna erzogen und bald der Spielball eines widrigen Geschickes ward. Leider ist das Buch des Tacitus, in welchem er die merkwürdigen Schicksale des jungen Mannes erzählte, verloren gegangen, aber das traurige Loos des Thumelicus lebt noch heute in der Erinnerung des deutschen Volkes, bildet es doch den Vorwurf zu Halm’s ergreifendem Drama „der Fechter von Ravenna“. Wie wir dann aus den Annalen des römischen Geschichtsschreibers Tacitus wissen, wie aber auch einfach menschlich wahr sein kann, ist Armin durch den Raub der Gattin und des Sohnes, durch die Knechtschaft, in welcher die junge Mutter schmachtete, in Raserei versetzt worden. Er flog durch der Cherusker Gebiet, zu den Waffen gegen Segest, zu den Waffen gegen den Cäsar (Germanicus), aufrufend.

„Ha, der treffliche Vater,“ höhnte er, „der große Imperator, das tapfere Kriegsheer! So viele Hände haben ein Weiblein wegzuschleppen vermocht. – Vor mir,“ rief er, „sind drei Legionen, drei Legaten hingesunken. Nicht mit Verrath, nicht gegen Frauen und Kinder, sondern offen und gegen Bewaffnete führe ich Krieg!“

Seine flammenden Reben wirkten. Germanicus, der gegen die Deutschen heranzog, nachdem er die Reste seiner vor sechs Jahren unter Varus gefallenen Landsleute bestattet, errang keinen Erfolg, auch Cäcina nur einen Pyrrhussieg, denn er kostete ihm mehr, als er errang. Und da auch ein größerer Sieg die Römermacht in Germanien nicht wiederherstellte, so gab Kaiser Tiberius den Gedanken an die Unterjochung der Deutschen ganz auf. Armin aber, der Weib und Kind nie wieder sah, züchtigte den Maroboduus, der ihn einst im großen Kampfe im Stiche gelassen hatte und nun zu den Römern flüchten mußte, bei denen er an demselben Orte (Ravenna) endete, wie der Sohn seines Gegners. Ueber Thusnelda’s Ende ist nichts bekannt. Armin, der, wie Tacitus sagt, nach der Königsherrschaft strebte oder vielmehr nach fester Einigung seines Volkes, die mit der Freiheit desselben durchaus nicht unvereinbar war, fiel „durch Verrath seiner Verwandten“.

„So fiel er, der Mann, der ganz unzweifelhaft der Befreier und Retter Germaniens ist,“ fügt der Römer hinzu, „er, der nicht, wie andere Könige und Heerführer, das Römerreich angegriffen und zum Kampfe gefordert, als es noch klein und seine Macht gering war, sondern damals, als es auf dem Gipfel des Ruhmes stand, als seine Kraft am gewaltigsten und furchtbarsten war; er, der in einzelnen Schlachten wohl einmal unterlag, im Kriege aber nie überwunden werden konnte. Siebenunddreißig Jahre währte sein Leben, und zwölf erreichte seine Herrschergewalt[1], und bis auf den heutigen Tag klingt sein Ruhm in den Liedern der Barbarenstämme wieder, und mächtig ragt seine Heldengestalt über alle andern hervor. Unbekannt freilich ist sein Name und seine Bedeutung den Geschichtsbüchern der Griechen, die nur Sinn und bewundernde Worte haben für die Großtaten ihrer eignen Krieger und berühmten Männer, und auch von den Römern wird er nicht mit dem Ruhm genannt, den er verdient, da wir die alte Zeit wohl preisen und als herrlich rühmen, an den Werken und Thaten der neuen aber kalt und gleichgültigen Auges vorübergehen.“[2]

Aber die Nachwelt war gerecht. Wie die deutsche Nation in ihrer Begeisterung für ihre Befreiung von fremdem Joche zu Anfang und für ihre Einigung zum mächtigsten Reiche nahe am Ende dieses Jahrhunderts dankbar dem ersten Befreier Germaniens auf seiner Ruhmesstätte im Teutoburger Walde ein Denkmal errichtet, so wird bald die Verkörperung des Vaterlandsideals, die Germania, in unserem nunmehr ganz germanischen Rheine sich spiegeln – und wer in ihr das Bild der Thusnelda erkennen will, wird den großen Gedanken der Vaterlandsverherrlichung nicht erniedrigen.

Auch vor diesen Bildern unserer Vergangenheit erfüllt uns der erhebende Trost, daß die Gerechtigkeit und die Dankbarkeit in unserer Nation noch lebendig sind, und daß uns das Schicksal des deutschen Volkes glänzend von der Wahrheit des Dichterwortes überzeugt: „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht!“




Der chaldäische Zauberer.

Ein Abenteuer aus dem Rom des Kaisers Diocletian.
Von Ernst Eckstein.

Es war im zweihundertneunundneunzigsten Jahre der christlichen Zeitrechnung. Ein wolkenloser Octobertag war eben zu Ende gegangen; hinter dem weitgestreckten Kamm des Berges Janiculus glühte der Abendhimmel; auf den Plätzen aber und Straßen wogte die Bevölkerung der Weltstadt bereits durch ein bläuliches Zwielicht, und gelbrothe Lampen glänzten rauchumqualmt aus den Tabernen der giebelreichen Subura.

Vom querquetulanischen Thore herkommend, bog ein Jüngling, die weiße Toga über den Schultern, in die cyprische Gasse ein. Die Art seines Dahinschreitens hatte etwas Befremdliches. Bald nämlich stürmte er hastig vorwärts, wie ein Mensch, der ungeduldig einem längst ersehnten Ziele entgegenstrebt; bald sah er sich zögernd um, oder blieb einige Sekunden lang stehen, als ob’s ihn gereue. An den Bädern des Titus vorüberkommend, gewahrte er eine andere Jünglingsgestalt, die von links her, wo eine Seitengasse in den Vicus Cyprius einlief, gesenkten Hauptes auf die Lavaplatten des Dammes trat und, nur wenige Ellen von ihm entfernt, die gleiche Richtung verfolgte. Näher zuschauend, erkannte er in den blassen Zügen des Ankömmlings einen Freund.

Fast anderthalb Monate hatte er den liebenswürdigen Lucius


  1. Arminius starb im Jahre 21 nach Christus.
  2. Nach der neu erscheinenden Sammlung „Historische Meisterwerke der Griechen und Römer in vorzüglichen deutschen Uebertragungen“ (Leipzig, E. Kempe), auf die wir alle diejenigen hinweisen, welche, ohne die alten Sprachen zu kennen, sich in den Geist classischer Geschichtsschreiber vertiefen möchten.D. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_230.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2023)