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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Rutilius nicht zu Gesicht bekommen; denn die Lebensführung der Beiden war eine grundverschiedene. Wenn Rutilius, der Sohn eines reichen Senators, sich mit Vorliebe in den auserlesenen Kreisen der Weltstadt bewegte, die Theater, die Wettrennen und die Kampfspiele der Arena besuchte, den Sommer hindurch bald sein etrurisches Landgut mit den Wasserfällen von Tibur, bald das Ufer des bajanischen Golfs mit dem von Antium vertauschte, so hielt sich Cajus Bononius, der Sohn eines Ritters, ziemlich abgeschlossen in der Einsamkeit seines Studirgemachs und erlaubte sich höchstens während der heißesten Monate eine kurze Uebersiedelung nach dem weltberühmten Spiegel Diana’s, jenem traulich verschwiegenen See im nahegelegenen Albanergebirge, wo er ein bescheidenes Gärtchen besaß. Trotz dieser Verschiedenheit ihres äußeren Auftretens hegten die beiden jungen Leute eine tief gewurzelte Sympathie für einander. Lucius Rutilius schätzte die umfassenden Kenntnisse, den unersättlichen Wissensdurst und die stolze Unabhängigkeit des Cajus Bononius; dieser aber wußte sehr wohl, daß Rutilius all’ den Glanz des großstädtischen Lebens nicht mit den Augen des rohen Genußmenschen, sondern mit denen des Poeten beschaute; daß er sich an der Farbenpracht und dem Luxus der ewigen Roma ergötzte wie der schaffende Künstler an den Lichteffecten der Landschaft; daß er inmitten dieses brausenden Strudels sich ein warmfühlendes Herz und eine edle Selbstlosigkeit bewahrt hatte.

Da er ihn anrief, hob Lucius Rutilius, wie aus tiefen Gedanken emporfahrend, das schwärzlich umlockte Haupt. Eine heftige Röthe, selbst in der beginnenden Dämmerung ersichtlich, stieg ihm zur Stirn auf, als habe ihn der Andere auf verbotenen Wegen ertappt.

„Du bist’s, Bononius?“ sagte er stotternd. „Trifft man Dich auch einmal in der Schaar der Spaziergänger? Hier freilich in der vornehmen cyprischen Gasse ist’s einsam genug, sodaß Du selbst im Lustwandeln Deiner Neigung für die Abgeschiedenheit fröhnen kannst.“

„In der That,“ versetzte Cajus Bononius, „ich habe die letzten Wochen hindurch allen Verkehr gemieden; denn mich beschäftigten wundersame Probleme. – Du aber – was führt Dich um diese Tagesstunde so ohne jeden Begleiter in dieses Viertel der Schweigsamkeit? Sonst pflegtest Du um diese Zeit noch zu Tisch zu liegen – pästische Rosen im Haar, die glühenden Lippen am schöngeschliffenen Murrhagefäß – wenn nicht gar auf dem Nacken einer jugendstrahlenden Freundin –“

Lucius erröthete abermals.

„Das ist anders geworden,“ sprach er, zu Boden schauend.

„Wie?“ fragte Cajus Bononius verwundert. „Mein Lucius hätte den Freuden der Zechgelage und dem Glanze blumenduftiger Triclinien entsagt?“

„Nicht ganz – aber was Du von dem Nacken einer lieblichen Freundin bemerktest … Du brauchst nicht zu lächeln, Cajus! In voller Wahrheit: während der letzten Monate hat sich in dieser Hinsicht ein Umschwung vollzogen, der – wie soll ich nur sagen – ?“

„Wie Du sagen sollst? Wie Du denkst! Die Verlegenheit Deiner Rede aber bekundet mir deutlich, wie sehr Du bemüht bist, Deine Gedanken eher zu verschleiern, als zu enthüllen. Geh’, Lucius! Hast Du so ganz vergessen, daß wir nicht nur beim goldnen Falernerwein uns Freundschaft und Treue gelobt haben? daß unsere Beziehungen tiefer wurzeln? Wenn sich Dinge ereignet haben, die auf Deinen Charakter, Deine Weltanschauung von Einfluß gewesen, so laß mich wissen, was Dich ergriff; denn als ernster Freund, wenn auch als halb entbehrlicher, hab’ ich ein Anrecht auf Dein unbegrenztes Vertrauen. So wahr ich lebe, Du machst mir völlig den Eindruck, als handelte es sich hier um Bedeutsames! Rede, mein Lucius! Hast Du Dich im Widerspruche mit Deiner ganzen Vergangenheit auf das Studium der Philosophie geworfen? Bist Du mit irgend einer Heiligen von der Secte der Nazarener in Berührung gekommen und hast so Geschmack gewonnen an den schönen Legenden des Orients?“

„Nichts von alledem,“ seufzte Lucius, den Freund beim Arme ergreifend und langsam in der Richtung der Subura mit sich hinwegziehend. „Du wirst mich auslachen, wenn Du erfährst, wie es Deinem unverwüstlichen Epicuräer schließlich dennoch ergangen ist … Ja, Du hast Recht, Cajns: thöricht wäre es, wenn ich vor Dir, dem Getreuen, verbergen wollte, was Dein Scharfblick dennoch errathen würde … So wisse denn – aber zeihe mich nicht der Schwäche –: ich bin sterblich verliebt – nicht nur mit den Augen, wie ehedem, sondern mit Leib und Seele, ein zweiter Troilus, ein Leander, der die Brandung aller Meere durchschwimmen möchte, um seine Hero endlich in die Arme zu schließen.“

„So hast Du öfter geredet,“ lächelte Cajus.

„Geredet, aber niemals empfunden. Der beste Beweis für die Echtheit meiner Gefühle liegt für mich selbst in dem Ungestüm, mit dem ich verlange, das geliebte Mädchen als Gattin über meine Schwelle zu führen. Du weißt, Cajus, ‚Heirathen‘ war mir ehedem ein schreckliches Wort: jetzt aber, seitdem ich Hero gesehen – sie heißt wirklich Hero und ist die Tochter eines vornehmen Sicilianers – seitdem kenne ich mir nichts Holderes als die Fackel des Hymen, und voll Sehnsucht harre ich der Minute, die trotz aller Schwierigkeiten und Mißgeschicke uns endlich vereinigen soll.“

„Schwierigkeiten?“ wiederholte Bononius, stehenbleibend. „Weigert Hero ihrem Leander die heißersehnte Gewogenheit? Hat der schöne Rutilius zum ersten Male umsonst geworben?“

Lucius Rutilius blickte nach dem westlichen Himmel, wie Einer, der den Stand der Gestirne prüft.

„Es ist noch Zeit,“ murmelte er vor sich hin.

Dann zu Bononius gewandt:

„Umsonst geworben? Nein – und dennoch, es ist beinahe so, als hätt’ ich umsonst geworben! Dieser Widerspruch scheint Dir ein Räthsel? Wenn Dir’s gefällt, so sollst Du Alles erfahren – nur hier nicht, wo die Vorübergehenden wieder zahlreicher werden, wo ein Lauscher meine Worte mißbrauchen könnte. In einer Stunde etwa habe ich Geschäfte am Nordhange des quirinalischen Hügels – bis dahin laß uns hier drüben rechts in der patricischen Gasse das Haus meines Oheims Publius Calpurnius betreten. Der Mann ist heute bei Cajus Decius zu Gaste: im Säulenhofe wandeln wir ungestört – und ehrlich gesagt, mich selber verlangt darnach, Dir mein Herz auszuschütten und Deine Rathschläge einzuholen.“

Bononius zögerte. Er schien im Stillen eine rasche Berechnung zu machen.

„Gut!“ sagte er endlich. „Wenn’s nicht zu lange währt … Du wirst’s nicht verübeln, wenn ich Dir sage, daß auch ich in spätestens einer Stunde …“

„O – in zehn Minuten hab’ ich Dir Alles aus einander gesetzt.“

Er zog den Freund, rechts abbiegend, mit sich hinweg. Kurze Zeit darnach pochten sie an die Pforte eines geräumigen Wohnhauses. Der Pförtner stieß den Riegel zurück, neigte sich und ließ die beiden Jünglinge durch den Thürgang in’s Atrium (Empfangsraum).

Das Haus des Publius Calpurnius war eines jener mächtigen Luxusbauwerke, die an Ausdehnung mit den weitgestreckten Palästen, wie sie der Kaiser Diocletian in Salona und Nicomedia aufführen ließ, wetteifern zu wollen schienen. Von außen nicht allzu prunkvoll und von mäßiger Frontbreite, entwickelte es gleich hinter dem Atrium die überraschendsten Größenverhältnisse, indem es nach rechts und links über das natürliche Terrain der Nachbarhäuser hinausgriff und sich nach der Böschung des Hügel zu stetig verbreiterte.

Cajus Bononius, der die Wohnungen der römischen Großen beinahe absichtlich mied, so oft sich auch Lucius – wenigstens früher – bemüht hatte, den Freund in das weltstädtische Leben und Treiben hereinzuziehen – durchmusterte nicht ohne staunende Neugier diese glanzgeschmückte Umgebung, die Hallen der beiden Höfe, wo ein Dutzend buntgekleideter Sclaven eben die Kandelaber in Brand setzte, die farbenstrotzenden Wandgemälde, die Portraitstatuen – Männer in ziemlich unrömisch aussehenden Aermelgewändern und Frauen mit hochrealistisch gemeißelten Haartrachten, die genau so aussahen, als habe die neueste Frisur einer modischen Circusbesucherin dem Bildhauer als Modell gedient.

In der That versicherte Lucius, diese Haartrachten seien beweglich und könnten, je nachdem es die Mode erheische, von den Köpfen der Standbilder weg genommen und durch moderne vertauscht werden – ein Triumph der Plastik, wie er spitz-ironisch hinzufügte.

So schritten sie durch den zweiten Säulenhof nach dem Hausgarten. Die schwärzlichen Baumgänge, deren weithin gestreckte Aeste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_231.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2023)