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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Im Jahre 1863 legte Rumänien allen österreichischen Schiffen eine Abgabe auf, angeblich zur Anlage von Zufahrtsstraßen, Quais, Häfen und sicheren Landungsplätzen. Oesterreich nahm sie ruhig auf sich. Die Quais, Zufahrtsstraßen etc. wurden aber nicht gebaut. Oesterreich ist bekanntlich geduldig. In seiner Langmuth ging es sogar so weit, daß es sich 1875 in einem Handelsvertrage mit Rumänien die genannten Abgaben vertragsmäßig aufbürden ließ. Dieselben haben den Rumänen in sechs Jahren nicht weniger als 35 Millionen Franken eingebracht. Um Oesterreich für diesen Beitrag zu den Finanzen zu danken, baute Rumänien eine Eisenbahn, die nicht weit unterhalb des Eisernen Thores, bei Vercierova, beginnt und nach Bukarest führt. Uebergeben nun die österreichischen Schiffe nicht gleich in Vercierova ihre Waaren der rumänischen Bahn, sondern erst weiter unterhalb in Giurgewo, von wo die mit der Eisenbahn nach Bukarest zurückzulegende Strecke geringer ist, dann wird die Frachtgebühr um 30 Procent erhöht. Mit anderen Worten, Rumänien sucht Oesterreich zu zwingen, auf die billigere natürliche Verkehrsstraße zu verzichten, um die Einnahmen der rumänischen Bahnen zu vermehren.

Der Leser möge uns verzeihen, wenn wir, obgleich wir eine trockene, volkswirthschaftliche Skizze schreiben, doch auf das Privileg der Romanschreiber Anspruch machen und ihn jetzt einige Jahre zurück, in’s Jahr 1870 versetzen.

Der erste Theil des deutsch-französischen Krieges war vorbei. Am 31. October 1870 erklärte sich Rußland nicht länger durch die Beschränkungen gebunden, die ihm der Pariser Vertrag von 1856 im Schwarzen Meere auferlegt hatte. Es heimste den Lohn für seine „Rückendeckung“ ein. Am 13. März 1871 wurden auf der Londoner Conferenz dem Slavenreiche seine Forderungen zugestanden. Dabei gedachte man auch noch einmal der Donaufrage, der Donaustrecke von Isaktscha aufwärts und des bisher noch nicht regulirten Eisernen Thores. Oesterreich und die Türkei wurden mit der Ausführung der Arbeiten betraut. Ob die Conferenz diesen Beschluß aus Ironie gefaßt hat, ist nicht bekannt geworden. Jedenfalls konnte man keine Mächte entdecken, die eine größere Gewähr für das Nichtzustandekommen der Arbeiten boten. Da in Oesterreich seit 1866 der Zweiseelenstaat eingeführt war und das Eiserne Thor in der transleithanischen Reichshälfte liegt, so hatte zunächst Ungarn ein gewichtiges Wort mitzusprechen. Ungarn aber war dem Plane nicht sehr geneigt. Die Vertreter Ungarns, Oesterreichs und der Türkei kamen zusammen und entwarfen ein Project über die Regulirung des Eisernen Thores. Dasselbe nahm seinen Weg gleich einem alten im Jahre 1856 entworfenen und einem zweiten, von einem amerikanischen Ingenieur, Namens Mac Alpine, auf Veranlassung des Ritters von Cassian ausgearbeiteten, in die Actenschränke des österreichischen Ministeriums und führt dort ein ruhiges, ungestörtes Dasein. Ausgeführt wurde es nicht, das geduldige Oesterreich ertrug auch dies. Zur Entschuldigung muß bemerkt werden, daß man sich damals von der Flußschifffahrt nicht viel mehr versprach. Man erwartete ein gewaltiges Emporschnellen des österreichischen Handels von dem Baue von Eisenbahnlinien, welche den Donaustaat direct mit Constantinopel und den Häfen des Schwarzen und Aegäischen Meeres verbinden sollten. In der That kamen auch Eisenbahnlinien in der Türkei zu Stande; Eisenbahnen, die von beiden Meeren tief in’s Land führten, auf denen Franzosen, Engländer, Italiener, Belgier, Schweizer ihre Waaren in die neu erschlossenen fruchtbaren Länder vordringen ließen und auf diese Weise Oesterreich-Ungarn in verstärktem Maße von den Märkten seiner natürlichen Wirthschaftssphäre verdrängten. Die Anschlüsse an die österreichischen Bahnen aber wurden nicht gebaut. Oesterreich zuckte nicht; denn es ist ja gemüthlich, langmüthig und geduldig und an den Eisenbahnschwindel gewöhnt.

Und inzwischen bereitete sich ein Krieg vor, dessen verschiedene Phasen und dessen Ausgang noch in unser Aller Gedächtnisse lebt. Die Russen versetzten der müden, abgehetzten, unglücklichen Türkei den Stoß in’s Herz. Im Berliner Frieden setzte sich Rußland wieder an der Donau, an der Kilia-Mündung fest, von der es der Pariser Friede verdrängt hatte. Rumänien, der Bundesgenosse Rußlands, ward ein unabhängiger Staat, und diesem verbissenen, boshaften Feinde Oesterreichs wurden die Mündungen der Donau ausgeliefert. Die internationale und neutrale Strecke verlängerten die Mächte bis zum Eisernen Thor.

Diese politischen Veränderungen machten sich bald fühlbar. In der Donaucommission wurde der Zank und Streit permanent. Es begann eigentlich erst recht der Kampf um die untere Donau. Wer hat nicht Notizen über die Thätigkeit der Commission in den Zeitungen bemerkt, und wer hätte sie nicht meistentheils überschlagen?

Die Lectüre derselben scheint ja dem lässigen Zeitungsleser ebenso überflüssig, wie die genaue Kenntniß einer französischen Ministerliste, die man kaum nothdürftig weiß, wenn schon die Journale eine neue veröffentlichen, ebenso überflüssig wie die Bekanntschaft mit den spanischen Parteien, die so zahlreich sind, daß man sie eine ganze Woche auswendig lernen muß, um sie einen Monat lang zu behalten. Nun aber geht gewöhnlich den ganzen Monat hindurch in Spanien nichts von Bedeutung vor, und so kommt man um den Lohn für seine Mühe und seine Anstrengungen.

Und dennoch müssen wir uns mit den ewigen Nörgeleien und dem Gezänk der Donaucommission beschäftigen, und besonders die Taktik Rußlands und Rumäniens in’s Auge fassen. Rußland hat, wie erwähnt, seine Grenzen bis an die Kilia-Mündung vorgeschoben, deren Bett schon jetzt zwei Drittel der gesammten Wassermasse enthält. Wird sie ausgebaggert, dann entzieht sie der Sulina das nöthige Wasser zur Fortsetzung der Schifffahrt. Nun hat Rußland mit der ihm eigenthümlichen diplomatischen Kunst die Kilia-Mündung der Oberaufsicht der Donauconferenz seit den letzten Jahren hartnäckig zu entziehen gesucht. Es möchte dort nach freiem Belieben schalten und walten. Hätte es die Sulina-Mündung unbrauchbar gemacht, und wäre es ihm gelungen, den Kilia-Arm nicht als eine internationale, sondern als eine russische Wasserstraße anerkannt zu sehen, dann könnte es nicht nur die österreichische, sondern auch die englische, französische und italienische Schifffahrt – die dann die Kilia-Mündung zu benutzen genöthigt wäre – nach Herzenslust zwacken und placken.

Aehnlich trieb es Rumänien. Die europäische Commission suchte die sogenannte „gemischte Commission“ in’s Leben zu rufen, welche die Schifffahrt bis zum Eisernen Thore zu regeln hätte. Das war Rumänien mit allen Mitteln zu hintertreiben bestrebt. Obgleich es kein Recht auf eine beschließende Stimme in der Commission hat, weil es nicht zu den Mächten gehört, welche den Pariser und den Berliner Frieden unterzeichnet haben, suchte es sich nicht nur als Großmacht aufzuspielen, sondern sogar Oesterreich aus der gemischten Commission zu verdrängen. Besonders aber widersetzte es sich dem Barrère’schen Vorschläge, daß Oesterreich den Vorsitz in der gemischten Commission führen und jeder in der europäischen Commission vertretene Staat nach alphabetischer Aufeinanderfolge an den Berathungen in der Commission theilnehmen solle.

Um endlich der heillosen, von Rußland und Rumänien angerichteten Verwirrung ein Ende zu bereiten, trat die europäische Commission im Februar zu einer Conferenz in London zusammen. Die Beschlüsse derselben sind seit dem 10. März d. J. durch die politischen Blätter veröffentlicht worden. Im Großen und Ganzen hat die Conferenz an der Lage der Dinge, wie wir sie oben schilderten, nur wenig geändert. Rußland allein hat für sich einige Vortheile zu erringen gewußt.

Für uns Deutsche hat dieser Ausgang der Donaufrage noch ein anderes Interesse, als dasjenige, welches uns die Freundschaft zu unserem Bundesgenossen einflößt. Auch unsere Industrie muß im Oriente neue Absatzgebiete erringen; auch wir leiden, wenn die in die Levante führende Wasserstraße durch Rumänien und Rußland versperrt wird; auch wir leiden, wenn der Anschluß des mitteleuropäischen Eisenbahnnetzes an die türkischen Bahnen nicht erreicht wird. Auch wir leiden, wenn der letzte Punkt, an dem Oesterreich handelspolitisch erobernd im Osten auftreten kann – nämlich Triest – von einer fanatischen italienischen Partei bedroht wird.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_244.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2023)