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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

In der Pertisau.

Von 0Heinrich Noé.

Es giebt manchen Klang, welcher, sowie er das Ohr berührt, die Einbildungskraft zu einer Reihe von Gestaltungen erregt. Ein solcher wirkt wie das Schlagwort einer Scene. Die Umgebung, in welcher wir uns zufällig befinden, wenn uns der Klang berührt, hat mit dieser Wirkung wenig zu schaffen, ja ich möchte sagen, diese letztere sei um so stärker, je mehr sich jene Umgebung von der Wesenheit der Dinge unterscheidet, welche durch den Klang bezeichnet werden.

Ich pflege den Winter im österreichischen Küstenlande, in der Nähe von Triest, zuzubringen. Rings um das einsame Haus, in welchem ich meinen Schreibtisch aufgeschlagen habe, ist Felsgestein, hier und dort von Oelbäumen, wilden Myrthen und Manna-Eschen beschattet. Einen Theil des Gesichtskreises nehmen das Meer und die Lagunen von Aquileja ein. Eines Tages kam mir dort ein Brief des Herausgebers der „Gartenlaube“ zur Hand, der mich aufforderte, ihm zu einem schönen Bilde einige begleitende Zeilen zu schreiben. Das Wort Pertisau wirkte zauberkräftig. Urplötzlich sah ich Fichtendickicht und Alpenrosen, ich hörte Quellen und sah den Jäger mit erlegtem Gemsbock über den See steuern. In dessen Anschlagen gegen den von Krummholz bedeckten Strand mengte sich ein Nachhall von Citherspiel aus einer Herberge des Ufers.

So vergegenwärtigte sich mir in der Landschaft des Karstes das Bild des Achensees. Es ist kein Wunder, daß der Anschlag gerade dieses Namens solche Kraft hat. Wenn man die Natur des nördlichen Tirol als eine Dichtung auffaßt, so erscheint uns die Gestaltung der Landschaft und des Lebens um jenen See wie ein Auszug aus derselben.

Das nördliche Tirol hat außer dem Plansee keinen anderen, als diesen. Man mag das immerhin, wie es oft geschieht, als einen Mangel bezeichnen, wenn man das benachbarte, an Seen reiche baierische Hochland daneben in Vergleichung stellt. Doch ist es sicher, daß der Mangel durch große Pracht der Eiswelt, durch Wasserstürze und andere Schaustücke des Hochgebirges ausgeglichen wird. Man wird auch zugeben, daß der Königssee großartiger ist – gleichwohl aber habe ich stets gefunden, daß die Rückerinnerung der Reisenden an keiner Stätte lieber verweilt, als am Achensee.

Der hartnäckigste Rundreise-Tourist, der sich taub stellt gegen Zumuthungen, von der Bahn abzuschweifen und diesem oder jenem vom Schienenwege etwas abgelegenen Schaustücke einen Tag zu „opfern“, findet sich bereit, zu Jenbach im Innthale aus dem bequemen Waggon auszusteigen. Er läßt sich einen steilen Berg hinaufziehen, oder klimmt den vierhundert Meter hohen Anstieg sogar im Schweiße seines Angesichts zu Fuß an, um den Achensee zu sehen. Er verläßt die Ueppigkeiten des prächtigen „Tiroler Hof“ zu Innsbruck, um einen Tagesausflug an seine Ufer zu machen. Er kann ja nirgends sagen, daß er in Tirol gewesen ist, wenn er den Achensee nicht gesehen hat. Keine Gegend der nördlichen Landeshälfte ist von Dichtern mehr gefeiert worden, und es ließe sich über sie eine Sammlung zusammenstellen, in welcher vom Ausdruck lyrischer Stimmungen an bis zum volksthümlichen Drama alle Gattungen Poesie vertreten wären. Es ist ein eigenthümlicher Hauch, der über dieser Fluth weht.

Das Alpenland wurde in den Zwanziger und Dreißiger Jahren unseres Säculums künstlerisch erobert. Die Münchener Landschaftsmaler waren es zuerst, welche sich seiner bemächtigten. Unter ihren Bildern kehrte der Achensee immer wieder. Man konnte keine Ausstellung besuchen, ohne ihm zu begegnen. Das gilt bis auf den heutigen Tag. Auch seine Begleiter verlassen ihn nicht, als da sind: die Zugspitze, der Dachstein, der Gosau- und Königssee, rebenumsponnenes Gemäuer von Meran und der Bozener Rosengarten. Alle diese halten treue Genossenschaft.

Noch blüht das Edelweiß auf den Felsen des Sonnjoch und des „Unnütz“, noch blaut das Wasser und die Alpenblumen begrüßen die Sonnenwende mit ihrer Pracht, aber der Achensee ist nicht mehr der nämliche, wie in jenen Tagen. Was mit ihm vorgegangen ist, mag uns sein nördlicher Nachbar, der Schliersee, am eigenen Beispiele aufweisen.

„Nu,“ sagte die Fischer-Liesl (die Wirthin), „jetzt seid’s den ganzen Sommer da g’west. Was schuldig seid’s, ihr Malerbuben, wollt’s wissen? Trunken habt’s g’nug, meinet ich!“

„Da hat sich nichts gefehlt,“ entgegneten die Malerbuben.

„Also rechnen wir auf Einen vier Maß alle Tag’, wird Enk wohl nit z’viel sein?“

„Gewiß nit, Liesel!“

„Also, Einer alle Tag’ vier Maß, seind zwanzig Kreuzer, macht nachher im Monat zehn Gulden. Dös habt’s allein trunken, vom Essen red’ i no gar net. Seid’s z’frieden, wenn i Enk neun Kreuzer aufschreib’ für’s ganze Essen? Waren nacher a vier Gulden und dreiß’g Kreuzer an Monat – a was, sagen wir vier Gulden!“

„Ist nit z’viel, Lisi!“

„Für d' Stub'n – was soll i Enk da rechnen? Daheim seid's a so nit g'wen, es Lumpen! Sagen wir halt an Sechser über d' Nacht, nacher waren's wieder drei Gulden. Und vier Monat seid's jetzt da gewesen – – Jeses, es derzahlt es ja nit, es habt's ja nix! Wißt's was – zahlt a Jeder für Alles zusamm' zwölf Gulden – is a Ding!“

Das war die „Rechnung“ der Fischer-Liesl am Schliersee gewesen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_248.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2023)