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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Sie flog sogleich auf die Schwester zu, die bei ihrem Eintritt jenen Brief unter die übrigen Postsachen schob, und begann ohne alle Einleitung zu berichten, was sie am heutigen Vormittag erlebt hatte. Ganz entzückt darüber, daß sie einen Heirathsantrag erhalten hatte und damit unwiderruflich zu einer Dame erhoben war, sprudelte sie den ganzen Bericht so stürmisch und zusammenhanglos hervor, daß Anna sie anfangs gar nicht verstand.

„So erzähle doch ruhiger, Kind!“ sagte sie. „Wer hat Dir einen Antrag gemacht? Wer hat um Deine Hand angehalten?“

„Der Onkel Justizrath!“ rief Lily, indem sie triumphirend ihr Bouquet schwenkte. „Er weiß es ja nicht, daß ich damals hinter der Salonthür stand und Alles mit anhörte. Ich habe ihm gleichfalls ewige Hochachtung und Freundschaft gelobt, aber er weinte fast darüber.“

Anna schüttelte unmuthig den Kopf.

„Ich begreife Freising nicht! Wie kann ein Mann, der so tüchtig und zuverlässig in seinem Berufe ist, in diesem einen Punkte immer wieder der Lächerlichkeit verfallen! Er ist nicht davon zu heilen.“

„O, ich werde ihn heilen,“ versetzte Lily zuversichtlich. „Ich werde ihm eine Frau verschaffen.“

„Lily, treibe nicht Kinderpossen!“ sagte die junge Frau verweisend, aber Fräulein Lily nahm das gewaltig übel in ihrem neu erwachten Selbstgefühl. Sie hob ihren Veilchenstrauß wie ein Triumphzeichen empor, hielt ihn der Schwester dicht unter die Augen und verlangte feierlichst, hinfort als Erwachsene behandelt zu werden. Sie erklärte, jetzt sehr viel von „solchen Dingen“ zu verstehen, und drohte noch nachträglich, Frau Justizräthin zu werden.

Leider machte diese Rede nicht den geringsten Eindruck auf Anna. Sie nahm ihrer Schwester ruhig die Blumen aus der Hand, legte sie auf den Tisch und sagte ernst und bestimmt:

„Laß die Thorheiten und höre mich an! Ich habe Ernstes mit Dir zu besprechen.“

Lilly wurde auf einmal ganz kleinlaut. Sie kannte diesen Blick und Ton, vor dem sie eine heilsame Furcht hegte, all ihr Selbstbewußtsein hielt nicht Stand davor und sie blickte fast erschrocken auf.

„Ich habe diese Handschrift schon öfter bemerkt,“ sagte Anna, den Brief hervorziehend, „aber ich glaubte, Du correspondirtest mit einem Deiner ehemaligen Lehrer. Erst heute sehe ich, daß der Brief aus Werdenfels kommt. Wer schreibt Dir von dort?“

Das junge Mädchen erröthete bis an die Schläfe, erwiderte aber ohne Zögern:

„Von dem Baron Paul Werdenfels.“

„So? Er schreibt Dir also öfter, und Du hast ihm auch vermuthlich geantwortet. Weshalb verschwiegst Du mir das?“

„Weil Du so grausam warst und ihm nicht einmal ein Wort des Trostes gönnen wolltest!“ rief Lily aufflammend. „Ich habe Dir doch seine Verzweiflung geschildert, ich habe Dir gesagt, daß er am Rande des Selbstmordes stand, aber Du wolltest mich nicht hören. Da habe ich mich seiner angenommen, ich habe ihm erlaubt, mir zu schreiben, und Dir verschwieg ich es, weil Du mir den Briefwechsel verboten hättest. Aber ich lasse es mir nicht verbieten, einen Unglücklichen zu trösten und vom Tode zu retten. Meine Tröstungen sind ja überhaupt das Einzige, was ihn noch im Leben festhält, das sagt er mir in jedem Briefe.“

Sie hielt in athemloser Erregung inne, Anna’s Blick ruhte forschend auf den Zügen des jungen Mädchens, das gar nicht ahnte, wie viel diese leidenschaftliche Aufregung verrieth, dann sagte sie mit Nachdruck:

„Lily, ich werde diesen Brief in Deiner Gegenwart öffnen und lesen.“

„Thu das nur!“ rief Lily heftig. „Du wirst es sehen, daß nur von Dir darin die Rede ist.“

Anna erbrach den Brief und begann zu lesen. Es war ein ziemlich umfangreiches Schreiben von drei Bogen, das allerdings sehr melancholisch begann. Paul erklärte, er könne und werde es nie verschmerzen, daß ihm das Ideal seines Lebens verloren sei, sprach von einer düsteren, trostlosen Zukunft, beeilte sich aber hinzuzufügen, daß diese Zukunft doch wenigstens durch einen tröstenden Lichtstrahl erhellt werde, und strömte über von Dankbarkeit gegen die junge Trösterin. Dann entschuldigte er sich, daß er diesmal schreibe, ohne die Antwort abzuwarten, und damit lenkte der Brief in einen ruhigeren Ton ein. Es war viel von gewissen Haselsträuchen am Schloßberg die Rede, nach denen der junge Baron eine merkwürdige Sehnsucht zu empfinden schien, dann berührte er die peinlichen Verhältnisse in Werdenfels, die es ihm zur Pflicht machten, jetzt an der Seite seines Onkels zu bleiben und die Uebersiedelung nach Buchdorf noch aufzuschieben, und dann folgte eine sehr ausführliche Beschreibung seiner zukünftigen Heimath.

Er schilderte Lily das Herrenhaus, den Park, das Gut selbst mit seinen Umgebungen auf’s Allergenauste, theilte ihr mit, welche Einrichtungen und Verbesserungen er zu treffen gedenke, kurz er machte sie zur Vertrauten seiner düsteren Zukunft, die sich übrigens nach dieser Beschreibung ganz heiter anließ, denn der junge Gutsherr war offenbar entzückt von seinem neuen Besitz. Endlich folgte noch die Erzählung eines sehr komischen Intermezzos, zu dem Arnold in Buchdorf Veranlassung gegeben hatte. Erst ganz am Schluß schien es dem jungen Manne einzufallen, daß er ja eigentlich in Verzweiflung sei, er kehrte deshalb mit einer kühnen Wendung zu der Anfangsstimmung seines Briefes zurück, erklärte, wenn er auch auf Augenblicke sein herbes Schicksal vergessen könne, so laste es dennoch mit Centnerschwere auf seiner Seele, und legte es Lily dringend an’s Herz, ihm dies Centnergewicht durch eine baldige Antwort zu erleichtern.

Anna’s Stirn begann sich immer mehr aufzuhellen, je weiter sie las, als sie zu Ende war und den Brief zusammenlegte, schwebte sogar ein halbes Lächeln um ihre Lippen. Lily, die neben ihr stand und mitgelesen hatte, blickte sie erwartungsvoll an.

„Nun, was sagst Du zu dem Briefe? Der arme Paul Werdenfels, er ist so unglücklich!“

„Ich glaube, er wird sich trösten,“ sagte Anna ruhig. „Er scheint mir auf dem besten Wege dazu.“

Lily schüttelte zweifelnd das Köpfchen.

„Ich fürchte, er überwindet es nie! Er hat mir ja selbst gesagt, daß sein Schmerz ewig ist, und wer weiß, was geschehen wäre, wenn ich ihm damals nicht die Flinte aus der Hand genommen und sie in den Schloßgraben geworfen hätte!“

„Hast Du Dich auch überzeugt, ob die Flinte geladen war?“ fragte Anna mit einem Lächeln, das sie diesmal nicht zu unterdrücken vermochte.

„O Anna, wie kannst Du so spotten!“ fuhr das junge Mädchen empört auf. „Gilt sie Dir denn gar nichts, diese anbetende Liebe, dieser Schmerz und Gram um Deinen Verlust? Wenn ich so geliebt würde –“

Sie vollendete nicht, sondern hielt wie erschrocken inne, aber ihr ganzes Antlitz war in Gluth getaucht.

„Ich spotte nicht,“ sagte Anna ernster. „Ich bin nur überzeugt, daß es sich hier um eine Jugendschwärmerei handelt, die rein und ideal sein mag, die aber auf die Dauer nicht Stand halten würde. Paul Werdenfels und ich sind zu verschieden geartet, als daß sich je ein festeres Band zwischen uns knüpfen könnte. Aber er braucht sich dieser Jugendneigung nicht zu schämen, und ich mache ihm wahrlich keinen Vorwurf daraus. Du würdest das auch nicht thun, Lily, wenn Dir später einmal ein Mann bekennen sollte, daß er vor Dir eine Andere geliebt hat, nicht wahr?“

„Nein, gewiß nicht,“ versicherte Lily mit einer Unbefangenheit, die deutlich verrieth, wie ahnungslos sie noch über ihre eigenen Gefühle war. „Aber hier handelt es sich ja nicht um mich, Du verlangst doch nicht, daß ich den Briefwechsel aufgebe?“

„Willst Du mir versprechen, den jungen Werdenfels nicht wieder anzusehen, ohne daß ich davon weiß, und mir jeden seiner Briefe zu zeigen?“

„Und wenn ich es Dir nun verspreche, wirst Du mir dann erlauben ihm zu antworten? O Anna, sei nicht hart! Du siehst es ja, wie verzweifelt er noch immer ist, und Du hast ja das ganze Unglück angerichtet!“

Sie hob bittend die gefalteten Hände zu der Schwester empor, die sie leise an sich zog. Die junge Frau drückte einen Kuß auf das rosige Gesichtchen, und ihre Stimme schmolz in Weichheit, als sie antwortete:

„Nein, meine kleine Lily, ich will nicht hart sein gegen ihn und – gegen Dich. Ich will ihm seinen ‚Lichtstrahl‘ nicht rauben. Beantworte den Brief, wenn Du willst, und halte nur Dein Versprechen. Vielleicht kommt Baron Paul noch einmal

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_254.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2023)