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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

daß er einige von ihnen, als hätte er deren zu viel, gern den nachbarlichen Länderstrecken überläßt.

Auch die vor mehreren Jahren eröffnete Zweigbahn von Trier nach Köln (über Bittburg, Stadtkyll und Euskirchen) führt noch dann und wann durch freundliche und sogar romantische Gegenden, obwohl sich auch hier schon der düstere, einförmige und öde Charakter des Landes zeigt.

Das eigentliche Gebiet der Eifel erstreckt sich aber westlich von dieser Bahnlinie bis an die belgische Grenze; Eupen z. B. liegt nur wenige Stunden von Verviers, und die Städte Montjoie und Malmedy deuten schon durch ihren Namen die französische Nachbarschaft an. Südlich bildet alsdann das Großherzogthum Luxemburg den Abschluß, sowohl nach Rheinpreußen, als auch weiterhin nach dem deutschen Reichslande Lothringen. Die Länge des ganzen Eifelgebietes beträgt mithin etwas über vierzig und die Breite gegen zwanzig deutsche Meilen, und dasselbe ist schon deshalb überaus merkwürdig, weil es durchweg eine Hochebene bildet, die sich bis zu anderthalbtausend Fuß über dem Meeresspiegel und etwa zwölf- bis dreizehnhundert Fuß über dem gewohnlichen Wasserstande des Rheins erhebt. Aus diesem Grunde haben manche Geographen, nachdem sie die allerdings sehr gewagte Behauptung aufgestellt, daß Deutschland vor vielen tausend Jahren noch vom Meere bedeckt gewesen, die jetzige Eifel als eine große Insel in diesem Meere angesehen; eine Frage, die wir natürlich auf sich beruhen lassen.

Der mittlere Theil dieses Plateaus ist zugleich der höchste und deshalb auch der ödeste und unfruchtbarste. Und doch ist er von Menschen bewohnt, die den ärmlichen Boden mit Korn und vorwiegend mit Kartoffeln mühsam bestellen, und die selbst in den günstigsten Jahren froh sind, wenn der Ertrag für ihren eigenen Unterhalt ausreicht. Eine weitere Hülfe und zwar an Brennmaterial bieten die Torfmoore, die sich in der holzarmen Gegend meilenweit hinziehen, aber freilich auch nur für den eigenen Bedarf ausgebeutet werden, da es an directen Communicationsmitteln zur Versendung fehlt, die sich überdies bei dem großen Kohlenreichthum der Nachbarländer auch nicht lohnen würde.

Nichts ist trostloser als jene Moorgegenden, auf denen oft wochen- und monatelang, namentlich im Herbste, dichter, feuchter Nebel liegt, der das Klima zu einem höchst ungesunden macht. Aber der Mensch gewöhnt sich an Alles, und der arme Eifelbewohner wird gewissermaßen mit Ergebung in sein hartes Schicksal geboren. Hier und da sieht man auf jenen Moorflächen auch wohl ein kleines hölzernes Kreuz, das die Unglücksstätte bezeichnet, wo ein einsamer verirrter Wanderer bei Nacht und Nebel im Sumpfe versank, dessen Leichnam dann später zufällig von den Torfarbeitern aufgefunden wurde.

Die Winter sind dort begreiflich ebenso langdauernd wie streng, der Schnee liegt oft monatelang meterhoch, weshalb auch dieser Theil der Eifel den Namen Schnee-Eifel trägt (das Volk sagt kurzweg „Schneifel“), und eisige Winde, die auf diesem Plateau von allen Seiten den freien Zugang haben, mahnen geradezu an Sibirien. Die einzelnen Häuser der Dörfer liegen fast immer weit aus einander; das Dorf Rottingen z. B. nimmt mit kaum hundert Häusern und sieben- bis achthundert Einwohnern fast einen gleichen Umfang wie Aachen ein.[1] Und „Häuser“ kann man diese niedrigen, rauchgeschwärzten, oft sogar fensterlosen Hütten kaum nennen, die nur einen einzigen und, wenn es hoch kommt, zwei Wohnräume enthalten und nur mit dem allernothdürftigsten Mobiliar (auch diese Benennung klingt viel zu vornehm) versehen sind. Kirche und Pfarrhaus sind in vielen Dörfern gleich unansehnlich, und beim Anblicke mancher Schulhäuser glaubt man gar nicht in Preußen zu sein, wo doch im Allgemeinen gerade für die Schulen so viel gethan wird, obwohl auch in einigen größeren Ortschaften neue Schulhäuser gebaut wurden, aber auf Kosten der Gemeinden, die dadurch in große Schulden gerathen sind. Auch sonst ist die Steuerlast schwer und kaum mehr zu ertragen, und, was das Schlimmste ist, die kleinen Grundbesitzer sind noch anderweitig stark verschuldet und zwar an die Güterhändler, die mit ihren Agenten unaufhörlich das Land durchziehen und stets bei der Hand sind, den Bedürftigen Geld vorzuschießen, natürlich gegen hohe Zinsen und außerdem gegen hypothekarische Verschreibung ihres Eigenthums. Das Volk nennt sie „Halsabschneider“, und mancher Bauer, der in ihre Krallen gerathen, hat schließlich und ohne recht zu wissen, wo und wie, all sein Hab und Gut an sie verloren und ist mit den Seinigen an den Bettelstab gekommen. Die Gerichte können nur in den seltensten Fällen einschreiten, denn jene Leute sind raffinirt, „man braucht sich mit ihnen ja nicht einzulassen“, und ein Proceß kostet erst recht viel Geld. Auch die letzte Zuflucht, die so vielen anderen Leidensgefährten in Deutschland offen steht, das Auswandern, ist den armen Eifelern verwehrt; denn auch dazu gehört Geld, was sie eben nicht haben.

Das ist mit wenig kurzen Worten das Land, wo jetzt die entsetzlichste aller Nöthen, die Hungersnoth, herrscht, von deren Schilderungen die Zeitungen voll sind und zu deren Linderung von allen Seiten Aufrufe erlassen werden. Manche Einzelnheiten entziehen sich geradezu der Beschreibung und würden, wenn man sie in ihrer ganzen erschütternden Wahrheit ausmalen wollte, bei den meisten Lesern kaum Glauben finden. Man bedenke dabei zunächst nur dies Eine: Nothstand, beklagenswerther, jämmerlicher Nothstand hat schon seit den letzten zehn Jahren fast überall in der Eifel und ganz besonders in der Schnee-Eifel geherrscht, wo seit Menschengedenken die Armuth das Loos des weitaus größten Theiles der Bevölkerung gewesen ist; wer sich mit den Seinigen satt essen und nothdürftig kleiden, und wohl gar einige wenige Thaler für die schlimmen Tage bei Seite legen konnte, der gehörte zu den Glücklichen und Beneidenswerthen – „etwas hungern hat der Eifeler von jeher müssen“, hört man oft am Rhein in leicht hingeworfener Rede sagen, „jetzt wird es nur gar zu arg“. Das sind keine Worte der Hartherzigkeit, gewiß nicht! Denn der brave und gemüthliche Rheinländer war auch hier, und bevor die Kunde des Elends weiter hinaus durch Deutschland drang, wieder der erste, der den guten Nachbarn zu Hülfe kam; wir theilen diese Aeußerung nur deshalb mit, weil sie die allgemeine Lage des Landes so zutreffend bezeichnet.

Da es sich nun hier um den Hunger handelt – der Ausdruck „Nothstand“ ist ein zu allgemeiner und läßt deshalb verschiedene Deutungen zu, und weshalb auch die Sache nicht bei ihrem rechten und wahren Namen nennen, wenn es auch noch so traurig klingt? – so müssen wir durchaus zwei Worte über die tägliche Nahrung der Eifeler Landbewohner in guten Tagen sagen. In guten Tagen! Es sind auch buchstäblich nur zwei Worte. Kartoffeln und Hafer. Die „Kornfelder“ in der Eifel sind immer nur Haferfelder, Roggen wird nur wenig und mehr nach der belgischen Grenze in der Nähe der größeren Städte gebaut und Weizen gar nicht. Der erstere würde als Winterkorn auf den höher gelegenen Feldern der strengen Kälte nicht widerstehen können, und für den zweiten ist der Boden viel zu mager. Weißbrod, das heißt Weizenbrod ist daher in den Dörfern der Schnee-Eifel und der hohen Veen so gut wie unbekannt; die Kinder nennen es Kuchen, „und Kuchen ist nur für reiche Leute.“ Brod wird also nur aus Hafer gebacken, aber weit mehr wird Haferbrei gegessen: das Mehl einfach mit Wasser und etwas Salz über dem schwelenden Torffeuer so lange gerührt, bis es steif, also gahr geworden ist, und wenn dann nur die Portion für Eltern und Kinder (das Privilegium der armen Leute: reichlicher Kindersegen findet sich natürlich auch in der Eifel) nicht zu klein ausfällt, so sind alle froh und zufrieden, denn sie werden satt. Neben dem Hafer hat der Eifeler nur die Kartoffeln, die gleichfalls kein fettes Erdreich verlangen und die in manchen Strecken, wo auch der Hafer nicht gut gedeihen will, die einzige Nahrung bilden. Morgens, Mittags und Abends eine Schüssel „gequellter“ Kartoffeln; und auch hier gilt dasselbe, wie von dem Haferbrei: wenn nur genug da ist, so hört man keine Klagen.

Nun sind aber sowohl der Hafer wie die Kartoffeln in den letzten Jahren mißrathen, die Kartoffeln sogar im vorigen Herbst total, und damit erklärt sich auch sofort der Nothstand, das heißt die Hungersnoth. Die Leute haben nichts zu essen. Wie sich das so leicht hinschreibt und so leicht liest! Und doch – welch eine Fülle unsäglichen Elends schließen diese Paar Worte ein; so entsetzlich, daß man fast an Gottes Barmherzigkeit verzweifeln möchte. Aber ein solches Elend liegt auch gar nicht in der göttlichen Weltordnung; wenn nur diejenigen, die viel haben, denen, die wenig oder nichts haben, nach Kräften beistehen, so ist dieser schrecklichste sociale Mißklang sofort gehoben. Dabei ist von

  1. Vergleiche die kürzlich erschienene Schrift „Der Nothstand auf der Eifel“ von Fr. Thomas (bei Bagel in Düsseldorf), aus welcher wir diese und einige andere Notizen entlehnten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_259.jpg&oldid=- (Version vom 21.4.2023)