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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

an demjenigen, an welchem auf unserer Illustration uns der Zeichner (nach einer Photographie von C. Hirsch) Herrn Ludwig Müller-Uri mit seinen Söhnen vorführt.

An der Lampe werden jetzt vorzugsweise Glasperlen, Puppen-, Thier-, und Menschenaugen und Spielzeug, reizende Früchte und farbenprächtiger Christbaumschmuck hergestellt; die ehedem vielproducirten Glasfiguren haben jedoch der billigeren und massenhafteren Herstellung aus Porcellan weichen müssen. In diesem Augenblicke florirt der Glasperlenvertrieb in wahrhaft großartiger Weise, beschäftigt alle Hände von den ältesten bis zu denen der Kinder und und bringt ansehnliches Geld und vermehrte Fröhlichkeit in den Ort. Besonders sind’s die mattierten Hohlperlen und die sogenannten Fischperlen, welche jetzt verlangt werden, deren Perlmutterglanz dadurch erzeugt wird, daß man in die Krystallperle mittelst einer Pipette eine Gallerte von Fischsilber und Gelatine einbläst und dann die Perlen auf einer Wiege so lange in rollender Bewegung erhält, bis die Färbung in der Perle sich auf alle Seiten vertheilt hat. Diese Manipulation besorgen meistens Mädchen. Es ist eine Lust, in eine solche Stube zu treten und zu beobachten, mit welch neckischer Unterhaltung hier die Langeweile der Beschäftigung vertrieben wird. Nur Eins fehlt: das Singen geht nicht, weil Alle das hübsche Mundwerk zum Blasen brauchen.

Zum Verkaufe werden die Perlen auf Fäden von zehn und zwölf Zoll Länge angereiht, welche je nach deren Größe zwanzig bis hundert Stück fassen; das ist eine Schnur, zwölf Schnüre bilden eine Masche. Die oben genannten Bergorte bringen Tausende von „Maschen“ zu den Grossisten nach Lauscha, sodaß der Perlenbetrieb allein jetzt nach Hunderttausenden zu schätzen ist.

Eine Berühmtheit besitzt Lauscha in dem obengenannten Ludwig Müller-Uri, der die Kunst der Herstellung von Menschenaugen zur höchsten Vollendung gebracht und alle Concurrenten, selbst die früher alleinherrschenden Pariser, aus dem Felde geschlagen hat. Anderswo, als in der Lausche, würde man eine solche Kunstindustriegröße, welche mit den goldenen Medaillen der größten Ausstellungen geschmückt ist, wenn auch nicht gleich in einem Palaste, doch einem stattlichen Hause suchen. Hier führte mein Lauschaer Freund mich den steilen Pfad zu einer der hohen Seitengassen hinauf und richtig zu einem der Schwalbennester hinan, die am Berge hängen. Ueber eine Steintreppe steigen wir in’s Innere. Hier erfreut uns allerdings im Wohnzimmer die freundlich bürgerliche Einrichtung, die allezeit wohlthut. Wir verstehen aber die Harmonie des Aeußern und Innern dieses Hauses erst, wenn uns der Hausherr selbst begrüßt hat: der einfache, bescheidene Mann, der gleichwohl weiß und fühlt, was er geleistet hat. Nachdem wir seine reiche Sammlung eigener und fremder Augenmuster gesehen, folgten wir ihm und seinem jüngeren Sohn auf einer geländerlosen schmalen Stiege in sein – Atelier, hätte ich beinahe geschrieben – nein, in seine Werkstatt, die an Schmucklosigkeit nicht übertroffen werden kann. Und in diesem Raume hatte Müller-Uri sein Leben lang gearbeitet, um ein deutsches Vorurtheil durch einen deutschen Sieg niederzukämpfen. Müller’s Sohn setzte sich sofort an den Werktisch, entzündete die Gasflamme desselben und stellte, während sein Vater jede einzelne Hantirung und Glasröhrenwahl erklärte, ein Auge mit so prachtvoller blauer Iris her, daß es dem schönsten Frauenantlitz zur Zierde hätte gereichen können.

Wir beschränken uns hier auf diese wenigen Mittheilungen, weil der Gegenstand einen besonderen Artikel verdient und erhalten soll. Zur Erklärung unseres Bildchens sei nur noch gesagt, daß der alte Müller-Uri über der Gasflamme ein Stück Rohr schmilzt, während der ältere Sohn, Reinhold, dem jüngeren, Albin, für ein neues Auge das Vorbild auf einer Musterkarte zeigt. Beide Söhne sind des Vaters würdig. Ein verwandter Zweig des Hauses besteht bekanntlich in Wiesbaden.

Steigen wir nun wieder von unserer Höhe hinab, um noch einen raschen Blick auf die Arbeit und schließlich auf die Vergnügungen der Lauschaer zu werfen.

Ein Ort, für dessen Hauptindustrie noch ein halb Dutzend andere Ortschaften fast Haus für Haus thätig sind, und dessen Productionswerth in Glaswaaren allein auf 1,200,000 Mark zu veranschlagen ist, kann selbstverständlich nicht für die nächste Umgebung arbeiten, sondern muß seinen Absatz in der ganzen Welt suchen. Das verleiht den großen Exportgeschäften ihre Wichtigkeit, aber auch ihren Werth. Ohne die Rührigkeit, mit welcher dieselben nach immer neuen Absatzgebieten[WS 1] ausforschen und zugleich die heimische Production durch immer neue Verbesserungen und Muster immer concurrenzfähiger zu machen suchen, würde diese Hausindustrie ihre Lebensfähigkeit verlieren. Eine Aufzählung der Firmen würde hier zwecklos sein, da die Geschäftswelt sie längst kennt und die Kinder, die wir zu ihnen führen, doch keine Geschäfte eingehen wollen.

Neben der Glasindustrie bestehen in Lauscha zwei Porcellanmalereien. Im Besitz der älteren, von Ens und Greiner, befindet sich eine Gemälde- und Skizzensammlung von Jagd- und Schlachtstücken, die kein Besucher des Orts ungesehen lassen sollte. Eine neue Porcellanfabrik ist im Aufblühen begriffen.

Lauscha hat zwei Schulen und eine Kirche; in jenen wirken sechs Lehrer und ein Zeichenlehrer, in dieser unterstützt den Geistlichen ein musterhafter Kirchenchor in der Erbauung der Gemeinde; ein Beweis, daß mit Fleiß und Fröhlichkeit sich gar wohl bei diesen Waldleuten auch die Frömmigkeit vereinen kann. Trotzdem heißt es dort nicht „Ora et labora“, sondern umgekehrt „Arbeite und bete“. Als einmal bei einer Kirchenvisitation der Obergeistliche die Stände der Frauen ziemlich leer fand und fragte: „Wo sind denn diese?“ erhielt er die laute Antwort: „Sie sitze derhem und schneide Schmehlz.“[1]

Da gegen den Fabrik- und Hausarbeiter des Waldes oft der (leider nicht immer ungerechte) Vorwurf erhoben wird, daß es bei ihm „wie gewonnen, so zerronnen“ heiße, so ist hier die Bemerkung am Ort, daß in Lauscha ein Spar- und Vorschußverein besteht, dessen Gesammtumsatz im Jahr 1881 sich auf 1,106,680 Mark belief.

Der heitere Geist, der in dem Dorfe seit den Tagen seiner Begründer herrscht, äußert sich nicht blos bei der Arbeit, auf der Straße und im Wirthshaus nach üblicher Landbewohnerweise, sondern der gesellige Sinn hat sich auch höhere Aufgaben gestellt, und es ist für ein Dorf wohl aller Ehre werth, daß dort zwei Musikvereine, zwei Gesangvereine, zwei Turnvereine, ein Bildungsverein und sogar eine Theatergesellschaft mit ständiger Bühne ein geistig frisches Leben führen. So lebt in seinem Waldwinkel dieses intelligente, fleißige, gemüthliche Völkchen und ist mit Recht stolz darauf, wenn es rings umher heißt: „Die Lausche bildet eine kleine Welt für sich.“

Sollte es nicht werth sein, einen solchen Ort aufzusuchen?

(Schluß folgt.)




Der chaldäische Zauberer.

Ein Abenteuer aus dem Rom des Kaisers Diocletian.
Von Ernst Eckstein.
(Fortsetzung.)


Lucius Rutilius, der bis dahin unausgesetzt bestrebt gewesen, mit seiner geliebten Hero eine Begegnung herbeizuführen, um die Trauernde umstimmen und ihre verzweiflungsvollen Entschlüsse rückgängig machen zu können, war von jenem Tage an völlig verändert.

Mehr in der Richtung der Phantasie, als in der des ruhigen, vorurtheilslosen Prüfens begabt, ausgestattet mit einer echt dichterischen Empfänglichkeit für alle äußeren Eindrücke, zweifelte er nicht an der Ehrlichkeit des räthselhaften Chaldäers, noch an der Wahrheit dessen, was er gehört und geschaut hatte.

Da auch Cajus Bononius nicht im Stande war, ihm die Wunder, die sie erlebt hatten, auf natürlichem Wege zu erklären,


  1. Schmelz, kleine bunte Glasröhrchen zur Ausschmückung von Frauengewändern, die eben als Mode-Artikel stark begehrt werden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Absatzgebiesen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_282.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2023)