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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

gilt, so sollt Ihr die Hand Eures Herrn kennen lernen. Hütet Euch, mich oder mein Eigenthum wieder anzurühren! Ich schone hinfort Keinen mehr – Keinen, und wenn es Euer Pfarrer selber wäre. Ihr zwingt mich, dem Namen Werdenfels wieder seinen alten Klang zu geben – nun denn, so sollt Ihr auch spüren, was das Regiment eines Werdenfels bedeutet, vielleicht kommt Euch mit der alten Furcht auch die verlorene Vernunft wieder zurück!“

Es lag ein furchtbarer Ernst in diesem drohenden Ausbruch des auf’s Aeußerste gebrachten Mannes, das mochte auch Eckfried fühlen, denn er blieb die Antwort schuldig. Seine Augen hingen starr an dem Gesichte des Freiherrn, als könne er das eben Gehörte nicht fassen und begreifen, aber man sah es, daß der gebieterische Ton ihm trotz alledem imponirte. Der Ausdruck des Hasses wich nicht aus seinen Zügen, aber es mischte sich eine unverkennbare Scheu mit demselben.

„Ganz wie sein Vater!“ murmelte er vor sich hin. „Jetzt gleicht er ihm – zum ersten Male!“

„Habt Ihr mich verstanden?“ fragte Werdenfels nach einer kurzen, drückenden Pause.

Der Alte raffte sich zusammen.

„Ja, ich hab’s verstanden, und ich werd’ es auch bestellen – verlassen Sie sich darauf.“

Er wandte sich zum Gehen, aber die Aufregung und vielleicht auch der Schlag, den der alte Mann beim Niederwerfen erhalten hatte, machten jetzt ihre Wirkung geltend. Er schwanke und hielt sich krampfhaft an der Lehne eines Stuhles fest, um nicht niederzustürzen. In dem flackernden Lichtschein erschienen seine tiefdurchfurchten Züge so gramvoll, so finster und hoffnungslos, daß Werdenfels unwillkürlich seinen Ton milderte.

„Ich werde Euch den Gerichten nicht anzeigen und auch meinen Neffen veranlassen, über den Vorfall der heutigen Nacht zu schweigen. Wenn man die Spuren der Brandstiftung finden sollte, so wird Niemand den Thäter kennen, damit ist aber auch getilgt, was noch von alten Zeiten her zwischen uns lag. Ihr geht frei aus, und ich dächte, Eurem Haß und Eurer Rache wäre genug geschehen. Jetzt sind wir Beide quitt mit einander!“

„Meinen Sie?“ rief der Alte mit einem lauten, höhnischen Auflachen. „Nun, wenn Sie mit mir quitt sind, ich bin es noch nicht mit Ihnen, Freiherr von Werdenfels. Geben Sie mir meinen Buben wieder, meinen Einzigen! Sie wissen es ja, daß er mit zerschmettertem Kopfe unter den brennenden Balken hervorgezogen wurde. Wenn Sie mir meinen Toni wieder heil und gesund in die Arme legen können, dann sind wir quitt, eher nicht – das habe ich mir und Ihnen zugeschworen!“

Und als hätte der Haß ihm neue Kräfte gegeben, raffte er sich empor, wankte aus dem Zimmer und verschwand draußen auf der Veranda.

Kaum eine Minute später öffnete sich die Thür des Nebengemaches, und Paul trat ein.

„Du läßt ihn wirklich gehen, Raimund?“ fragte er vorwurfsvoll. „Welche unzeitige Großmuth!“

Raimund folgte dem sich Entfernenden mit den Augen. Es war wieder jener dunkle, räthselvolle Blick, mit dem er damals in Felseneck in die Flammengluth des Kamins starrte. Bei der Anrede fuhr er wie aus einem Traume auf und strich mit der Hand über die Stirn.

„Laß das, Paul,“ sagte er. „Der Mann hat ein Recht auf meine Schonung, aber auch nur der allein. Du hast unsere Unterredung ja wohl theilweise mit angehört? Ich gebe Dir mein Wort darauf, ich werde diesen Menschen, denen ich für vogelfrei gelte, die Antwort nicht länger schuldig bleiben. Sie haben meinen Vater gehaßt, wie mich, und doch beugten sie sich vor ihm in sclavischer Furcht. Ich habe es lange genug mit der Güte versucht – jetzt werde ich ihnen zeigen, daß ich auch ein Werdenfels bin!“

Paul stimmte bei, aber auch ihm drängte sich jetzt dieselbe Beobachtung auf, wie vorhin dem alten Eckfried. So wenig Aehnlichkeit Raimund auch mit seinem Vater haben mochte, in diesem Augenblicke glich er dem Bilde, das drüben im Salon hing. Es war derselbe Zug von Härte, von rücksichtsloser Energie, der sich zum ersten Mal auch in dem Antlitz des Sohnes ausprägte – der alte Familienzug des Geschlechtes der Werdenfels.

(Fortsetzung folgt.)




Allerlei Hochzeitsgebräuche.

Nr. 3.0 Rumänische Hochzeit.

Es scheint das Bestreben unserer Zeit zu sein, all die nationalen Eigenthümlichkeiten, welche sich in der Tracht oder in besonderen Gebräuchen zu erkennen geben, so eilig und so gründlich wie möglich zu verwischen. Dem Cultus unserer faden, langweiligen Mode, welche in Paris ihre Tempel hat, bringt sie die reizendsten, kleidsamsten Trachten ebenso kaltblütig zum Opfer, wie sie dem gedankenlosen Ceremoniell und der Etiquette zuliebe die allerschönsten und originellsten Sitten und Gewohnheiten vernichtet. Bis in die stillen Thäler der Alpen und der Pyrenäen, bis in die Steppen Polens und Ungarns, bis in die entfernteste Bauernhütte und den verborgensten Weiler Norwegens und der Walachei dringen sie vor, diese falschen Propheten des Geschmackes, und wo sie erscheinen, da wirft die Dirne den Halsschmuck und das Mieder weg, der Bursche zieht die Sporenstiefel aus oder hängt das bunte, gestickte Wamms an den Nagel: jetzt, wo ihnen das Evangelium der Spitzenkrause und des Kleides à la princesse, des schwarzen Rockes und der Gummistiefel gepredigt worden, da schämen sie sich ihres alten Glaubens, den sie von den Ureltern ererbt haben, und eilen, ihn abzuschwören.

Die rumänischen Städte sind, was Mode, Ceremoniell und Etiquette betrifft, französischer als Paris. Es herrscht da eine fieberhafte Hast, den französischen Idealen in den äußeren Formen des gesellschaftlichen Lebens so nahe als möglich zu kommen, weil französischer Firniß von jeher das geeignetste Mittel ist, den Mangel an wahrer Bildung und wahrer Cultur zu übertünchen. Die alten schönen nationalen Gebräuche bei Verlobungen und Hochzeiten sind der modernen Gesellschaft viel zu massiv, zu barbarisch; sie haben sich also auf das Land zu den Bauern geflüchtet, kaum daß wir ihnen noch dann und wann einmal in einer Mahala, in einer Vorstadt begegnen.

Zur rumänischen Nationaltracht eines jungen Mädchens gehört unerläßlich die salba, ein Halsschmuck aus Henkelducaten, aus türkischen Goldmünzen oder aus Perlen. Der Bursche nun, welcher liebt, wagt es, seinen Arm so um den Hals der Geliebten zu schlingen, daß er dabei die salba ergreift; läßt sie es geschehen, ohne daß sie mit schnellem Gegengriff die Schleife löst und so der Schmuck zur Erde fällt, so darf er ihrer Zuneigung sicher sein. Dann bekränzt er ihr Haupt mit Blumen oder Bändern, und wenn er nicht zu schüchtern, zu befangen ist, so kniet er vor seiner Veneri, seiner Venus, nieder und betheuert ihr seine Liebe in den unendlich zarten Schmeichelworten, an denen die rumänische Sprache ebenso reich ist, wie an den schauderhaftesten Flüchen und Schimpfreden.

Anders verfährt der Bursche, dem es an selbstbewußter Zuversicht und an Muth gebricht, mit seinem Liebesleid vor das Mädchen hinzutreten. Er miethet sich einen cimpoeru (tschimpojehr), einen Dudelsackpfeifer, und dieser kramt aus dem Arsenal seiner Liebeslieder diejenigen hervor, welche dem Verliebten als die wirksamsten erscheinen, das Herz der Angebeteten zu gewinnen. Und mit diesen Liedern zieht dann der gemiethete Troubadour vor das Haus des Mädchens; umständlich genug und mit viel Behagen bläst er da, umringt von der neugierigen Dorfbewohnerschaft, seinen Dudelsack auf, und in dem lamentablen Tone, der den rumänischen Liebesliedern eigenthümlich ist, singt er dann von dem Liebesschmerz des armen Burschen, wobei er als gewandter Improvisator nicht vergißt, den vollständigen Vor- und Zunamen und die Familienverhältnisse desselben einzuflechten. Man muß ihn sehen, den cimpoeru, wie er im Vollbewußtsein seiner wichtigen Sendung erst dem Dudelsack ein geeignetes Vorspiel entlockt, um dann mit den lebhaftesten Gesten und im rührendsten Tremolo um Erhörung zu flehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_304.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2024)