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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

sich erobern, wie einst die Römer sich die Sabinerinnen eroberten; gewaltsam dringt er in die Kammer ein, hebt sie hoch auf seinen Arm, und ohne daß ihr Fuß die Schwelle berühren darf, trägt er sie heraus, und jetzt erst gehört sie ihm.

Die rumänische Bauernsitte verlangt, daß ein Mädchen unter allen Umständen so lange ihr Haupt nicht mit einem Schleier oder einem Kopftuche bedecken darf, so lange sie nicht verlobt ist. Im Sommer geht die Bauerndirne barhäuptig, im Winter trägt sie einen runden Filzhut, wie ihn die Männer tragen; verheirathete Frauen dagegen sind sogleich am Schleier oder an dem Tuche zu erkennen, welches ausnahmslos und bedingungslos als das privilegirte Abzeichen des Ehestandes gilt.

Allerdings giebt es bei diesen Hochzeiten auch noch Gebräuche, deren Verschwinden keinesfalls bedauerlich, ja sogar wünschenswerth ist; aber wenn die Alles verflachende Zeit an dem Sinnigen und Zarten rüttelt; wenn sie dem starren nichtssagenden Ceremoniell und der faden, abgeschmackten Mode die allerliebsten Eigenheiten des Volkslebens zum Opfer bringt – da möchten wir dieser unerbittlichen Vernichterin gern ein gebietendes Halt! zurufen.

J. Kraner.     




Der chaldäische Zauberer.

Ein Abenteuer aus dem Rom des Kaisers Diocletian.
Von Ernst Eckstein.
(Schluß.)

„Einfach genug erklärt sich diese räthselhafte Schrift,“ entgegnete Olbasanus. „Aus Milch, Salzwasser und einem dritten Stoffe, dessen Zusammensetzung ich mühsam erfunden habe, bereite ich eine farblose Tusche, die sich schwärzt, sobald sie erwärmt wird. Das Blatt aus dem Buche des Gottes Amun war natürlich vorher beschrieben; die Hitze der Herdplatten erzeugte das Wunder, das die arme Thörin so in Verzweiflung brachte.“

„In der That verwünscht einfach!“ sagte Bononius beschämt. „Nenne mir jenen dritten Stoff!“

„Wie kann ich nennen, was keinen Namen hat? Mir allein ist diese Masse bekannt; ihre Bereitung aber aus einander zu setzen …“

„Du hast Recht. Es erübrigt uns noch Gewichtigeres. Zunächst das Eine: wie konntest Du wissen, daß der Jüngling, der mich begleitete und den ich nur durch Zufall getroffen hatte, Lucius Rutilius war? Er schwört mir, daß er Dir niemals begegnet sei. Kanntest Du ihn?“

„Nein. Aber all’ die Tage her war ich auf seinen Besuch gefaßt. Uebrigens, Agathon kannte ihn, und Agathon war Euch beim Heraustreten aus meiner Pforte begegnet. Während mein Diener Euch auf Umwegen in die Halle der Beschwörungen führte, kehrte Agathon eilends zurück und setzte mich von der bevorstehenden Ankunft des Rutilius in Kenntniß.“

„Der Diener konnte doch unmöglich voraussetzen, daß die Verzögerung unserer Ankunft in Deinem Interesse läge. Weshalb also wählte er diesen Umweg?“

„Das ist die Regel. Alle Fremdlinge wandern durch diese Gänge; nur wer mit Aufträgen kommt, wie Agathon, wird je nach Befund ohne Weiteres in meine Gemächer geführt.“

„Ich verstehe,“ sagte Bononius. „Wie aber – wäre uns Agathon nicht begegnet?“

„So hätt’ es mich freilich größere Mühe gekostet, die Persönlichkeit Deines Begleiters festzustellen – und andere Wunder hätt’ ich in Scene gesetzt.“

„Wie geschah es, daß die Leuchter sich rings entzündeten, als Du den Stab erhobst?“

„Ihre Säulen sind hohl. Mit kleinem Dochte brannten die Lampen bereits im Innern der Schäfte. Ein dichtes Drahtgeflecht hemmt den Lichtschein, den sie sonst auf die Decke würfen. Wenn ich den Stab erhebe, dreht mein Gehülfe hinter den Vorhängen ein eisernes Rad. Dieses Rad bewegt eine Vorrichtung, welche vom Boden her die Lampen emporschiebt, das verhüllende Gitter öffnet und die Dochte herauszieht.“

„Weiter!“ forschte Bononius. „Die metallenen Klänge, die Dein Stab der Platte des Altars entlockte –?“

„Rühren von einem kupfernen Becken her, das im Innern des Altars verborgen ist. Ein Knabe sitzt mit eisernem Stäbchen davor.“

„Dergleichen hab’ ich vermuthet. Jetzt aber: das plötzliche Zusammenbrechen des Opferthiers! Hat auch hier jener verborgene Knabe die Hand im Spiele?“

„Auch hier!“ versetzte der Zauberer. „An der Seitenwand des Altars befindet sich eine kleine verschiebbare Platte. Dieselbe ist mit einer dünnen Schicht gewöhnlichen Salzes bedeckt. Sobald das Thier mit dem Kopfe in die Nähe dieser Platte geräth, beginnt es, der Neigung seiner Natur entsprechend, an dieser Platte zu lecken. Geb’ ich das Zeichen, so schiebt der Knabe mit einem plötzlichen Rucke die Platte nach seitwärts, wo sich zwischen dem Marmor ein ihrer Größe entsprechender Raum befindet. Es kommt nunmehr an der Stelle, die eben noch von der salzüberschichteten Platte gedeckt war, eine zweite Platte zum Vorscheine, deren Oberfläche gleichfalls mit Salz, dazu aber mit einem augenblicklich wirkenden Gift überkleidet ist. Die Folgen habt Ihr gesehen.“

„Wie aber,“ fiel der Centurio ein, „wenn das Lamm Dir nicht den Gefallen thut? Wenn es müde oder gesättigt ist oder sonst sich störrisch erweist?“

„Dafür ist Sorge getragen. Das Thier muß seinen Lieblingsgenuß seit lange entbehrt haben. Schlimmsten Falles hatte ich ja Nichts in Aussicht gestellt. Wenn die Sache mir fehlschlug, so blieb sie Geheimniß; das Thier aber ließ sich tödten, wie jeder Priester sein Opfer schlachtet.“

„Du entnahmst nun dem Opferthiere das Herz und die Leber,“ fuhr Bononius fort. „Ich habe Dich auf’s Genaueste beobachtet. So lange Du die Eingeweide mit der Linken umspannt hieltest, trug die Rechte den Stab; also kann die Schrift, die dem guten Rutilius so die Fassung benahm, diesem Stab nicht entflossen sein. Noch weniger konnte das Thier die schon beschriebene Leber in der Brusthöhle tragen. Wie geschah das Unglaubliche?“

„Nicht mit der rechten Hand, die den Stab trug,“ lächelte Olbasanus; „mit der Linken vielmehr, in der ich die Leber hielt.“

„Unmöglich!“

„Versteh’ mich recht! In der Fläche der Linken stand das Wort ΘΑΝΑΤΟΣ mit eigens dazu hergerichteter Schwärze verkehrt geschrieben, ehe Ihr noch die Halle betratet. Die feuchte Leber sog diese Schwärze begierig ein, und als ich sie auf die Platte legte, war das Wunder vollendet.“

Es entstand eine lange Pause. Die lächerliche Einfachheit auch dieses scheinbar so unergründlichen Wunders und die kraftbewußte Dreistigkeit, mit der es der Chaldäer in Scene gesetzt, wirkten verblüffend. Selbst Lydia schämte sich jetzt, daß sie eine Zeit lang das entsetzte Grauen der armen Hero getheilt und nur mit Zittern und Zagen ihre Zustimmung zu dem Plane gegeben, der den Zauberer entlarven sollte.

„Fürwahr ein Meisterstück!“ sagte Bononius, beinahe ingrimmig. „Nun soll mich’s nicht überraschen, wenn ich erfahre, Dein sprechender Todtenschädel sei ein Gebilde aus Nebel oder aus Rauch gewesen! Allerdings: einfach sind die Dinge erst dann, wenn sie durchschaut sind. Verbleiben wir jedoch in der zeitlichen Reihenfolge! Nach den Donnerschlägen und Lichterscheinungen frage ich nicht; dergleichen hört und sieht man, wenn auch unvollkommener, selbst bei den Aufführungen läppischer Pantomimen. Wie aber erklärst Du uns die gespenstische Bewegung, die in dem Kohlenbecken entstand? Dies Phänomen war staunenerregend.“

„Auf dem Grunde des Beckens lag eine Schicht von Alaun, die durch die Hitze in’s Schmelzen und Brodeln gerieth und ihre Bewegung den Kohlen mittheilte.“

„Nun also zum Todtenschädel. Sein Sprechen war täuschend – so deutlich, wie ich jetzt Deine eigene Stimme vernehme.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_307.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2024)