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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Unterdessen hatten sich, leider unbemerkt von uns, einige Fleischer in der Nähe eingerichtet. Ein paar Ziegen waren geschlachtet und zerwirkt worden. Die besten Stücke würden auf ausgebreiteten sauberen Bananenblättern zum Verkauf geordnet; die Eingeweide, nach einer nicht allzu gewissenhaften Reinigung, zerschnitten und sogleich in großen Töpfen an ein offenes Feuer geschoben.

Ein trotz des allgemeinen Lärmens deutlich vernehmbarer Jubel, die ungewöhnliche Erregung der nach einem Punkte hinströmenden Menge lockte uns nach der gegenüberliegenden Seite des Marktes. Hier entwickelte sich ein charakteristisches Stück Volksleben. Eine große Weiberschaar rückte eben auf den Platz, mit Aufbietung aller Kräfte und gellenden Stimmen einen scharf rhythmischen Gesang vortragend, die Hände klappend und wie eine Springprocession in gemessenem Tanzschritt vor und zurück hüpfend. Ein ungeheures nicht enden wollendes Jubelgeschrei der weiblichen Marktbesucher begrüßte sie. Die an dem grotesken Aufzuge Theilnehmenden waren wie das Gefolge der Häuptlinge mit allem nur irgend Verwendbaren, selbst mit Helmen und Czakos aufgeputzt, zudem aber noch vielfach roth, gelb und weiß bemalt, nicht nur im Gesicht, sondern auch auf den entblößten Stellen des Oberkörpers und der Glieder.

Wir hatten offenbar einen Triumphzug vor uns. In seiner Mitte gingen stolz erhobenen Hauptes zwei festlich gekleidete und mit Perlenschmuck überladene junge Frauen. Ein paar riesige für die am Congo heimischen Stämme auffallend dicke Weiber leiteten die Procession. Sich drehend und wendend, die Arme aufwerfend, große blinkende Messer schwingend und durch wilde Anrufe die Zuschauerinnen zu immer neuem Jubelgeschrei aufstachelnd, rückten die Angekommenen bis in die Mitte der Kitanda vor. Dort ordneten sie sich sogleich zum Tanze, den die Umstehenden singend und klatschend begleiteten. Da immer mehr Frauen und Mädchen nicht nur herzudrängten, sondern auch mittanzten, da die Procession sich überdies bald in verschiedene Abthheilungen trennte, die mit Gefolge auf der Kitanda umherzogen und immer weitere Kreise zur Betheiligung verlockten, gewann es fast den Anschein, als wolle das Markgewühl sich zu einem allgemeinen Tanzvergnügen umgestalten.

Wir hatten unterdessen erfahren, daß die beiden gefeierten Frauen von ihren Gatten der Untreue bezichtigt worden waren. Um ihre Unschuld darzuthun, hatten sie sich dem Gottesgericht unterworfen und die giftige Nkassarinde[1] genommen. Beide hatten jedoch das Ordal glänzend bestanden und waren demnach in aller Augen makellos. Um dies freudige Ereigniß entsprechend zu feiern und zugleich eine möglichst wirksame Demonstration gegen die bösen Männer in Scene zu setzen, hatte man diesen Triumphzug sorgfältig vorbereitet.

Gegen drei Uhr war der eigentliche Markt zu Ende. Die Frauen und Mädchen, welche nicht mittanzten oder sich nicht an den immer mehr zunehmenden Umzügen betheiligten, nahmen ihre Waaren auf und kamen nach dem oberen Platz. Hier in unmittelbarer Nähe unseres Zeltes oder weiter ab inmitten der Gruppen der Männer ließen sie sich nieder. Nun vermochte man auch die besonderen Vorgänge bei Abwickelung der Geschäfte eingehender zu beobachten. Es wurde betastet, geprüft und gekostet, gefeilscht wie auf unseren Wochenmärkten. Hin und wieder tauschte man verschiedenartige Waaren einfach aus. Andere wurden wohl auch mit Stücken von Kattun bezahlt, die man am Arm von den Fingerspitzen bis zu Schulter oder bis zur Mitte der Brust oder zwischen den ausgestreckten Armen abmaß. Dabei war man besonders bedacht die Arme recht weit auszuspannen, nach hinten zu strecken und durch die vorgebogene Brust das zu fordernde Stück Zeug möglichst lang ausfallen zu lassen. Natürlich konnten in Folge dieses Vorgehens große und kleine Personen sich am wenigsten schnell einigen über die verlangte und die bewilligte Länge des Stoffes, und der erste Abschluß des Handels ging gewöhnlich viel rascher von statten, als das darauf folgende Bezahlen des bedungenen Preises.

Die wichtigste Verkehrsmünze dagegen bildeten etwa erbsengroße eckige Bruchperlen, Nsimbu, von durchsichtigem, lasurblauem Glase, welche an der Südwestküste allgemein im Gebrauche sind. Zu hundert oder fünfzig auf Schnüre gereiht oder auch in kleineren Mengen gewissenhaft abgezählt, wechselten sie von Hand zu Hand.

Die Frauen kauften nun vielfach auch von den Männern, besonders von den Salzhändlern und Fleischern. Winzige, nach Gutdünken abgemessene Quantitäten von Salz wurden nach langem Hin- und Herreden, nachdem zögernd und unwillig noch einige Körnchen hinzugefügt waren, für etliche Nsimbu erstanden. Lustiger und lärmender ging es bei den Fleischern zu, wo hungrige Frauen sich schoben und stießen. Mit kleinen Näpfen versehen, kauften sie von dem nicht gerade appetitlichen Inhalte der brodelnden Töpfe, immer unzufrieden mit der Menge der ihnen für die Perlen zugemessenen Brühe und der Zahl der Fleischstückchen. Die Vorsteher der Garküchen walteten ihres Amtes mit bewunderungswürdiger Geduld und ließen sich oft genug durch allzu laute Beschwerden zu einer kleinen Zulage bestimmen.

Zur Speise war unterdessen auch Trank herbeigeschafft worden. Vom schnellen Laufe keuchende Männer erschienen auf dem Platze. Sie trugen riesige Flaschenkürbisse voller Palmwein, der wie Champagner perlte oder, wenn bereits zu weit in der Gährung vorgeschritten, durch den Blätterverschluß der Mündung siedend und schäumend hervorquoll. Der weiße süßliche Saft wurde um so eifriger gekauft, als es auf der Höhe sehr an Wasser mangelte und die Hitze groß war.

Das Gewühl um unser Zelt wurde fast unerträglich. Die sich zum Fortgehen anschickenden Menschen wollten noch einen letzten Blick auf die seltsamen Fremdlinge und deren Habseligkeiten werfen, die noch verweilenden hatten Muße, alle Einzelnheiten an und um uns auf das Genaueste in Augenschein zu nehmen. Wir hatten bald Grund genug, zu bereuen, daß wir am Platze selbst eine Lagerstätte gewählt. Wir vermochten uns vor den Zudringlichen, die sich allerdings harmlos genug betrugen, kaum noch zu retten. Selbst im Zelte waren wir nicht sicher. Jedermann wollte uns schreiben sehen und nicht zufrieden damit, durch die offene Thür hereinzublicken, hoben die Neugierigen auch noch die Seitenwände empor. Bald hier, bald dort schoben sich Köpfe in das Zelt, die eilfertig zurückgezogen wurden, wenn wir uns umwendeten.

Unsere Sansibari hielten zwar Wache, vermochten aber nichts gegen die immer wieder vordrängenden Massen auszurichten. Mauergleich standen die Menschen um uns, hin und her drängend, über die weit gespannten Stricke unseres wie im Sturme schwankenden Leinwandhauses stolpernd, lachend, gesticulirend und gutmüthig auch einmal anderen Schaulustigen Platz machend. Unser eifriges Schreiben schien für die Leute das Erstaunlichste zu sein; sie konnten die Blicke gar nicht wegwenden von dem Papier, den zum Tintenfaß geführten und dann wieder eifrig kritzelnden Federn. Aber auch ein aufflammendes schwedisches Zündhölzchen machte einen gewaltigen Eindruck, und wir mußten wohl oder übel, um den unablässigen Bitten zu genügen, zeitweilig einige derselben opfern. Das Aufsprühen des Zündstoffes, das plötzliche Erscheinen der Flamme wurde bewundert wie bei uns ein großartiges Feuerwerk.

Wer weiß, wie lange dieser harmlose, jedoch überaus lästige Belagerungszustand angedauert haben würde, wenn nicht ein komisches Ereigniß uns von den Zudringlichen befreit hätte. Ein Schmetterling flog heran und gaukelte vor der Thür des Zeltes. Herr Teusz, ein eifriger Sammler, ergriff sein Schmetterlingsnetz und sprang hinaus. Die hastige Bewegung, das hochgeschwungene Netz hatten auf die erregbare Menge eine ungeheure Wirkung. Die Massen stoben jäh aus einander. Alles läuft und springt zeterschreiend davon. Manche stürzen während der kopflosen Flucht nieder, Andere fallen über die Zappelnden hin; Kinder, Knaben, Mädchen werden niedergetrampelt, Körbe und Geschirre umgeworfen, Hühner, Hunde, Schweine, Ziegen losgelassen. Ein Höllenlärm tobt ringsum; das rennt und wirbelt, das zetert, quiekt, heult, gellt, belfert und Alles stürmt davon, hinaus in die Campine. Im Nu war rings um uns der Platz verlassen, in Staub gehüllt; wir standen mit den Unseren wie Sieger auf einem Schlachtfelde.

Der so komische Vorfall hätte leicht üble Folgen haben können. Wären nicht die Häuptlinge in unserer Nähe gewesen und hätten sie uns nicht beigestanden, die Gemüther zu beruhigen, so wäre die sinnlose Menge wohl gänzlich davon gelaufen. Die Mehrzahl der Leute kehrte überhaupt nicht wieder zurück, und obwohl der Rest schließlich die scherzhafte Seite des Tumultes begriff, so hielt man sich doch vorsichtiger abseits von uns, ohne uns fernerhin zu belästigen.


  1. Siehe: Ein Hexenproceß in Loango. Jahrgang 1877, Seite 177.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_342.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2024)