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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Habe ich Sie schon darum ersucht?“ fragte Werdenfels, sich stolz aufrichtend. „Ich wußte bisher nicht, daß ich unter Ihrem Schutze stand, und weise ihn mit aller Entschiedenheit zurück. Der Herr von Werdenfels bin ich, und wenn ich etwas mit meinen Bauern auszufechten habe, so ist das meine Sache allein, ich werde auch allein mit ihnen fertig werden.“

Vilmut war einen Schritt zurückgetreten. Diese kurze, scharfe und energische Sprache überraschte ihn augenscheinlich auf das Höchste. Er hatte es freilich schon beim ersten Blicke gesehen, daß Raimund von Werdenfels ein Anderer geworden war, aber der volle Umfang dieser Veränderung wurde ihm doch erst jetzt klar. Der Mann, der so gebietend vor ihm stand, hatte nichts mehr gemein mit dem bleichen Träumer von Felseneck, man glaubte es ihm, daß er den Kampf, den er nun schon seit Monaten aufgenommen, auch durchfechten werde bis zum Ende.

„Sie scheinen gesonnen zu sein, das Regiment Ihres Vaters wieder einzuführen,“ sagte Vilmut endlich. „Der Sohn gleicht ihm mehr, als wir Alle glaubten, das zeigt sich jetzt. Gewiß, Sie sind der Herr von Werdenfels, und daß Sie es sind – hat das unglückliche Dorf einst schwer genug erfahren.“

Er senkte die Stimme bei den letzten Worten, aber sie drangen trotzdem schneidend und scharf wie ein Dolch in die Seele des Gegners und verfehlten auch nicht ihre Wirkung. Raimund erbleichte, doch nur einen Augenblick lang, dann schlug er die Augen empor, sie begegneten finster, aber fest dem drohenden Blicke des Priesters.

„Hören Sie doch endlich auf, mich mit dem alten Fluche zu verfolgen! Es gab eine Zeit, wo ich die bloße Erwähnung nicht ertragen konnte, jetzt habe ich es gelernt, ihm in das Auge zu sehen, und Ihr Recht, mich damit zu quälen, ist verwirkt, seit Sie und Sie allein meine Dammbauten gehindert haben, denn ich weiß, wie hoch der freie Wille der Gemeinde in diesem Falle anzuschlagen ist. Ich habe eine That der Verzweiflung gebüßt mit einem ganzen Leben voll Verzweiflung, Sie aber haben mit kalter, ruhiger Ueberlegung, mit vollster Absicht den Schutz vernichtet, den ich meinem Dorfe gewähren wollte, und damit eine furchtbare Gefahr heraufbeschworen. Hüten Sie sich, daß nicht zum zweiten Mal ein entfesseltes Element über Werdenfels hereinbricht, denn diesmal wird man die Rechenschaft von Ihnen fordern.“

Es lag etwas wie ahnungsvolle Drohung in diesen Worten, aber sie glitten ab an der starren Unfehlbarkeit des Priesters, er erwiderte unbewegt:

„Ich that, was ich für Recht erkannte, und werde es vertreten.“

„So vertreten Sie auch das Wohl und Wehe der Hunderte, das Sie mit jenem Eingriff auf sich nahmen. Es ist immer vermessen, wenn ein Mensch, ein Einzelner die Vorsehung spielen will, selbst wenn er das Priesterkleid trägt. Zum Mindesten müssen der Wille und die Beweggründe rein sein, und die Ihrigen hat der Haß gegen mich dictirt, dieser Haß, der mich verfolgte von dem Augenblicke an, wo ich Herr auf diesem Boden wurde, der jede Versöhnung, jede Verständigung unmöglich machte, der mir sogar meine Braut entriß.“

„Und dies Letzte ist es allein, was Sie mir nicht verzeihen können, ich weiß es, Herr von Werdenfels! Mich und meine Gegnerschaft hätten Sie verachtet, und selbst der Priester hätte Ihnen nichts gegolten, denn Sie haben das Blut Ihres Geschlechtes in sich, aber die Macht des Vormundes wenigstens mußten Sie anerkennen, wenn Sie es ihm auch nicht vergeben, daß er seine Pflicht that und seiner Schutzbefohlenen die Augen öffnete.“

Werdenfels streifte mir einem langen, forschenden Blicke das Gesicht seines Gegners, während er langsam sagte:

„Hochwürden, ich habe bisweilen meine eigenen Gedanken über diese ‚Pflicht‘, über jenen rastlosen, wüthenden Eifer, mit dem Sie Anna und mich zu trennen versuchten und jede Möglichkeit einer Wiederannäherung verhinderten. War es wirklich nur der Vormund, der Priester, der zwischen uns trat, oder –“

Er brach ab, aber sein Blick vollendete die Frage, und sie wurde ohne Worte verstanden; Vilmut fuhr auf, als habe er einen Schlag erhalten.

„Sie wagen es, zu glauben –“

„Ich wage nichts, ich frage nur. Es könnte sein, daß der Mann, der in dem Herzen Anderer liest, wie in einem aufgeschlagenen Buche, in einem verhängnißvollen Irrthum über sich selbst begriffen ist.“

Gregor war todtenbleich geworden, aber in seinem Auge zuckte wieder jene unstete Flamme auf. Diesmal erlosch sie nicht so schnell, wie sie aufflackerte, denn es glühte unverkennbarer Haß darin, und dieser Haß galt dem Manne, der es wagte, den Schleier von einer Empfindung zu heben, die nicht existiren sollte, die niedergezwungen wurde mit aller Macht des Willens und gegen die der Wille doch machtlos war.

„Ich kam nicht hierher, um Beleidigungen zu hören,“ sagte Vilmut endlich, aber seine Stimme hatte nicht die gewohnte Sicherheit. „Ich wollte Sie warnen vor einer Gefahr, die Ihre unzeitige Strenge heraufbeschwört. Wenn Sie die Warnung verschmähen, so lehne ich jede Verantwortung ab für das, was geschieht, und unsere Unterredung ist zu Ende. Leben Sie wohl!“

Der Abschiedsgruß klang feindlich genug, Raimund neigte nur das Haupt, ebenso stolz und eisig, wie vorhin beim Empfange, in der nächsten Minute war er allein.

(Fortsetzung folgt.)




Am Sarge eines großen Volksmannes.

Von Dr. A. Bernstein.

 1.0 Schulze-Delizsch’s Geist, Thatkraft und Charaktergröße.

Geist, Thatkraft und Charaktergröße sind in harmonischer Verbindung die Grundbedingungen eines großen Schaffers. Auf die glückliche Vereinigung dieser drei Eigenschaften in der Seele des herrlichen Mannes hinzuweisen, dessen Tod wir tief beklagen, erachten wir für eine bessere Kennzeichnung seines Wesens, als eine flüchtige Lebensbeschreibung, wie sie bereits in sämmtlichen Tageszeitungen gegenwärtig zu finden ist.

Nur wenige Zeitgenossen hatten Gelegenheit, den tiefen, ernsten und seelenreinen Geist Schulze’s in seiner ganzen Fülle kennen zu lernen. In allen Punkten seines politischen Wirkens ragte er zwar hervor aus der Reihe seiner Genossen und wurde auch zu allen Zeiten als Einer der Begabtesten an Geist und begeisterndem Rechtssinn anerkannt; aber mehrere Männer gleich edlen freiheitlichen Strebens standen ihm zur Seite, die das Verdienst des tapferen Kampfes für Volksrecht mit ihm theilen. Sein eigenartiges und tieferes Wesen liegt verborgen in seinen Tagebuchblättern aus den Vorzeiten der politischen Bewegung. Die einzelnen Freunde, welchen er bruchstückweise hieraus Mittheilungen machte, die nahmen wahr, wie viel tiefer das ist, was er in aller Stille der Seele zur eigenen Klärung der Gedanken niedergeschrieben, als Alles, was die Tage der politischen Kämpfe ihn zwangen in öffentlicher Discussion darzuthun.

Der Mann, der praktisch so Großes wie Keiner vor ihm in gewerblichen Kreisen geschaffen, er war ein Dichter im würdigen Sinne des Wortes. Davon legte bereits sein „Wanderbuch, ein Gedicht in Scenen und Liedern“ im Jahre 1838,[1] also ein volles Jahrzehnt bevor er auf der politischen Tribüne seine Rednergabe darzuthun den Beruf fühlte, ein sprechendes Zeugniß ab. Wir begnügen uns damit, nur ein einzelnes Frühlingsgedicht von ihm hier unseren Lesern mitzutheilen, weil dies allein schon darthut, wie die Prosa der wirthschaftlichen Probleme und der oft erbitternde Parteikampf der politischen Streitfragen sich in einer edlen Natur auch mit einer poetischen lebendigen Naturanschauung vereinigt.

Das Gedicht lautet folgendermaßen:

 Lenzgesang.
Wonnedurstig, frühlingskräftig
Zieh’ ich durch die graue Flur,
Ueberall der Lenz geschäftig,
Junger Triebe frische Spur.


  1. Erste Auflage bei Brockhaus in Leipzig, zweite Auflage 1859 bei Flemming in Glogau.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_352.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2024)