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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

den schönsten und deshalb von der Kunst am häufigsten dargestellten gehört diejenige des brüllenden Hirsches; wenn auch die Gründe für das Emporrecken des Halses und Kopfes physiologischer Natur sind, für den Beschauer, der nur mit Auge und Herz dabei ist, hat diese Bewegung eine ganz andere Bedeutung, sie erregt das Gefühl, daß der trotzige, herausfordernde Ruf hinausgesandt wird, weit hinaus, bestimmt, um über Berg und Thal zu dringen und einen Gegner aus seinem Schlupfwinkel aufzuscheuchen.

Und diese Wirkung schien jener Ruf hier sofort zu erzeugen; denn kaum war das Gebrüll aus der Kehle unseres Hirsches da droben verhallt, als auch aus den Tiefen des Waldes heraus von nah und fern die dröhnende Antwort erfolgte.

Aufhorchend begann jetzt das Thier in nervöser Unruhe zu stampfen und zu scharren, daß das Haidekraut rings umherstäubte, dann ein Vorstrecken des Halses, ein Ducken des Kopfes, ein Emporrecken, nochmals ein kurzes zorniges Gebrüll, dessen metallische Töne wie aus eherner Brust zu kommen schienen, und nun ein wunderbar elastischer Sprung in weitem Bogen hinab in die Tiefe.

Einen Augenblick noch hielt er an, dann trabte er, das Geweih hochtragend, langsam in den dunkelnden Wald hinein und, wie ich gleich hinzufügen will, seinem Verhängniß und blutigen Ende entgegen.

Wir wandten uns zur Heimkehr, indem wir die Absicht, den Hirschkampf zu beobachten, aufgegeben, da die Luftströmung für unseren Zweck sehr ungünstig war und unsere Anwesenheit dem austretenden Wilde sicher verrathen hätte.

Es war inzwischen dunkel geworden – der Mond war über den Bäumen emporgestiegen und wir wanderten durch eine Naturscenerie voll großartiger Poesie. Das Gebirg gab die während des ungewöhnlich heißen Tages eingesogenen Wärmestrahlen als lauen Duft zurück, der sich da, wo Nadelholz stand, bis zum betäubenden aromatischen Wohlgeruch steigerte – das Laub regte sich nicht, und nur von Zeit zu Zeit, wenn ein leichter Luftzug von der Haide herüber strich, war es, als athmete der Wald tief auf.

In fast schauerlichem Contrast hierzu wurde diese Ruhe in kurzen Pausen durch das Tönen der Hirsche unterbrochen, welches mit der hereinbrechenden Nacht immer lauter und drohender aus den Schluchten und von den Höhen ringsum herüberschallte, und es gehörte keine allzu große Anstrengung der Phantasie dazu, sich im tropischen von Tigern erfüllten Walde zu glauben.

Zwischendurch erklang das unheimliche, mit einem langgezogenen Hohnlaut endende Gekicher der Eulen, und neben unserem Wege einherflatternd riefen die Käuzchen ihr „Komm mit“.

Es war Mitternacht lange vorüber, ehe wir daheim wieder anlangten.

Einige Tage später theilte mir der Forstmann, welcher mein Begleiter gewesen war, mit, an der Grotenburg, dem Berge, welcher das Hermanns-Denkmal trägt, stehe seit einigen Tagen in dichtem Gestrüpp ein Hirsch, dessen Tönen die ganze Nacht hindurch über das Haidenthal schalle und in dem er beim Heranschleichen unseren alten Bekannten, den Sechsender vom Einsprung, wiedererkannt habe.

Ich beschloß, diesem gelegentlich bald einmal auch meinen Besuch abzustatten, kam aber in der nächsten Woche nicht dazu.

Da traf mich eines Tages ein Bote jenes Forstmannes, welcher mir sagen ließ, wenn ich unseren Hirsch noch einmal sehen wolle, so möge ich bei ihm vorsprechen. Als ich, neugierig gemacht, eintraf, fand ich den stattlichen Kämpen lang hingestreckt, und wie war er zugerichtet! Ein von einem Geweih mit furchtbarer Gewalt geführter Stoß war ihm tief bis in die Eingeweide gedrungen, ein anderer saß zwischen Brust und Schulter und selbst auf dem Rücken waren Verletzungen wahrzunehmen, welche aussahen, als hätten Mutterthiere mit den Vorderläuften auf ihn eingeschlagen.

Offenbar war er damals, ein Fremdling, aus anderem Reviere eingesprungen, durch’s Gebirg bis zur Grotenburg gezogen und schließlich, seine einsame Stellung an derselben verlassend, zum „Schafnacken“ (einer gegenüber liegenden Höhe, wo man ihn sterbend fand) hinübergewechselt, in ein fremdes Rudel gerathen und von diesem getödtet worden.

Unwillkürlich trat mir das Bild des von der sonnigen Haide im Drange der Leidenschaft zum dunklen Wald Einspringenden vor die Augen – jetzt lag er starr zu meinen Füßen, von seinem Verhängniß ereilt – ein Bild, das von Neuem die Parallele mit dem Geschick des Menschen herausforderte.




Ameisen als Leibwachen von Pflanzen.

Eine Betrachtung über Gegenseitigkeit in der Natur.
Von Carus Sterne.

Während die Blüthengewächse uns der Mehrzahl nach mit ihren theils durch Größe auffallenden, theils durch schöne Farben oder Düfte anziehenden Blumen- und Blüthenständen das stumme Geständniß machen, daß ihnen geflügelte Gäste, seien es nun Insecten oder Vögel, die ihre Honigquellen besuchen, sehr nützlich, oder nach der gewöhnlichen, bildlichen Redeweise „erwünscht“ sind, sehen wir sie alle möglichen Vorrichtungen entfalten, um ihre Blüthen vor den Besuchen ungeflügelter Gäste zu schützen. Die Einen wappnen sich mit Stacheln und steifen, nach abwärts gerichteten Borsten am Stengel, um den Raupen und Schnecken das Emporkriechen zu erschweren, Andere schützen sich durch klebrige Haare oder Leimringe unterhalb der Blüthe, wie die Pechnelke und viele ihrer Verwandten, um den Ameisen und kriechenden Mücken den Zugang zu verlegen, noch Andere umgeben ihre Blüthenstengel gar mit Wall und Graben, das heißt mit kleinen, von den Blättern gebildeten Wasserbecken, z. B. viele Bromeliaceen und unsere wilde Weberkarde; nur die ihre Blüthen aus dem Wasser hervorhebenden Pflanzen haben durchweg glatte, haar-, und schutzlose Stengel, weil sie, durch den natürlichen Standort geschützt, nur wenige Besuche von ungeflügelten Thieren zu befürchten haben. Die meisten der hier angedeuteten Einrichtungen und noch viele andere ähnliche, wie z. B. die giftigen und stark riechenden Bestandtheile der Blätter, sind schon im vorigen Jahrhundert durch den Großvater Darwin’s als Schutzmittel der Pflanzen gegen unerwünschte Gäste gedeutet worden, obwohl er noch nicht klar erkannt hatte, weshalb sie den einen Theil der Insecten anlocken und sich den andern vom Leibe halten. Dank den Untersuchungen späterer Forscher und namentlich denen seines großen Enkels, wissen wir nun, daß ihnen die geflügelten Gäste nützlich sind, weil sie meist von ihres Gleichen kommen, und den zur Erzielung kräftigen Samens erforderlichen Blumenstand derselben als Dank für die ihnen gewährte Gastfreundschaft mitbringen (vergl. „Gartenlaube“ 1878, S. 50), während die ungeflügelten, vom Erdboden emporkriechenden Insecten wahllos jeden ihnen zugänglichen Stengel erklettern und daher nicht im Stande sind, den Blumen einen gleichen Dienst zu leisten.

Da nun die erwähnten Vorrichtungen offenbar am meisten gegen die nach Blumenhonig besonders lüsternen Ameisen gerichtet sind, so mußten gerechte Bewunderung die Beobachtungen mehrerer englischer und deutscher Naturforscher erregen, denen zufolge zahlreiche Pflanzen, namentlich Bäume, umgekehrt durch die an ihren Blättern oder Blattstielen befindlichen Honigdrüsen zahlreiche Ameisen anlocken, ohne daß ihnen das geringste Hinderniß in den Weg gestellt würde. Zuerst war es der treffliche englische Naturforscher Thomas Belt, der im vorigen Jahrzehnt bei einem längern Aufenthalte in Nicaragua eine Anzahl solcher Fälle studirte und bald erkannte, daß gewisse von dem dargebotenen Honig angelockte Ameisen den betreffenden Gewächsen als wachsamste Schutz- und Leibgarde dienen, um sie vor den Plünderungen anderer, viel schädlicherer Ameisen unter Aufbietung aller Kräfte und mit einem Patriotismus zu schützen, der ihnen alle Ehre macht.

Es giebt nämlich in diesen warmen Ländern eine Anzahl großer, das Laub der Bäume und niederer Gewächse stark bedrohender Ameisenarten. Die schlimmsten von ihnen sind die sogenannten Sauba- oder Blattschneiderameisen (Oecodoma cephalotes), deren Arbeiter die Bäume ersteigen und mit ihren scharfen scheerenartigen Kiefern Blattstiele und ganze Blätter so tief einkerben, daß sie das Blatt mit Leichtigkeit abreißen, worauf sie dasselbe entweder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_387.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2024)