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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 25.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Das alleinige Recht der     
Dramatisierung vorbehalten.

Die Hochzeitsreise.

Humoreske von Zoë von Reuß.
(Fortsetzung.)


„Wann wir zurückkehren wollen von unserer ‚Hochzeitsreise‘?“ erwiderte die junge Frau. „O Du lieber, einziger Mann, nur noch ein Weilchen! … Mir ist zuweilen, als würde ich auf Wolken in den Himmel getragen!“

„So bist Du Deiner Gefangenschaft noch nicht überdrüssig?" scherzte er weiter. „Es ist doch wirklich gruselig hier – festgeschlossene Gardinen und tief herabgelassene Rouleaux … dazu ein Kerkermeister, der Dich keinen Augenblick aus den Augen läßt –“

„Ein Tyrann bist Du freilich. Aber es muß wohl wahr sein, was man sagt: ‚Die Frauen lieben die Tyrannei der Liebe.‘ Sprich selbst: können wir noch glücklicher sein?“ …“ Bei diesen Worten rückte die junge Frau ihr niedriges Kinderstühlchen in beste Plauderdistance und legte den Kopf an die Brust des Gatten. „Kommst Du nicht zu mir, so komme ich zu Dir! … Und was ich gelernt habe in den paar Tagen!“

„Ja, die Liebe ist die beste Lehrmeisterin, wie Du die beste Schülerin!“

„Wie lange ist’s doch her, daß wir verheirathet sind? Acht, nein, neun Tage. Du glaubst gar nicht, was ich in der Zeit schon selbstständig geworden bin! …“

„Aber die Eltern! Wir müssen ihnen doch endlich Nachricht geben. Sie werden sich vermuthlich schon ängstigen. Laß uns einmal überlegen, ob es nicht besser ist, wir treten morgen Mittag bei ihnen an?“

„O, nur noch ein paar einzige, himmlische Tage, lieber – Mann.“ Das große Wort wollte immer noch nicht flüssig über die Lippen. Scheu, Stolz und Schalkhaftigkeit vereinigten sich darin, und sein Aussprechen allein konnte die neugebackene Frauenwürde verrathen. „Sie erwarten uns ja auch noch gar nicht!“ setzte sie mit überzeugender Lebhaftigkeit hinzu. „Allerdings dürfen sie sich auch unsertwegen nicht ängstigen …“

„Wollen wir vielleicht Tante Bertha in’s Geheimniß ziehen? Sie könnte wenigstens auf indirecte Weise Mama’s Sorge beschwichtigen.“

Die junge Frau sann einen Augenblick nach, dann sagte sie:

„Nein, Gustav – Tante Bertha ist ein Engel, aber sie ist eine alte Jungfer und würde uns doch nicht verstehen. Dazu muß man lieben und jung verheirathet sein. Ueberdies könnte sie plaudern, oder sich vielmehr bei ihrer Peinlichkeit wider Willen verrathen. Mir fällt soeben etwas Anderes ein.“

„Nun?“

„Ich muß Vetter Fritz antworten, er hat uns jedenfalls längst in Heidelberg erwartet. Ich schreibe nun gleichzeitig an Mama und füge den Brief bei. Fritz aber giebt ihn in Heidelberg zur Post.“

„Potztausend, Du wirst ja im Ehestande unternehmend und erfinderisch. Von dieser Seite kenne ich Dich noch gar nicht!“

„Du bist aber doch mit mir einverstanden?“

„Aufrichtig gestanden: es würde mir lieber sein, wir stellten uns einfach morgen vor. Ich glaube, es ist besser, wir lüften selbst den Schleier, ehe ein Zufall ihn uns entreißt.“

„Das ist ja ganz unmöglich – wie sollte man uns entdecken? Ich begreife Deine Skrupel nicht … Auch ist es nur recht und billig, daß Du Dich mir jetzt fügst, wie ich mich anfangs Dir gefügt habe.“

„Nun – meinetwegen. Mir selbst ist unsere Zweisamkeit nur erwünscht!“

Die junge Frau hatte bereits die Schreibmappe zur Hand genommen und schrieb:

 „Liebe Eltern!

 Wir sind gesund und amüsiren uns natürlich köstlich auf unserer Hochzeitsreise.“

Bis hierher hatte sie mit flüchtiger Hand geschrieben, die folgenden Sätze sprach sie laut und voll übermüthiger Neckerei, indem sie dieselben aber auch gleichzeitig niederschrieb:

 „Er, mein einziger Mann, will durchaus noch ein tüchtiges Stück in die Weite, und ich gehe mit ihm bis an’s Ende der Welt. Ach, es ist ja himmlisch, verheirathet zu sein! Aengstigt Euch nicht um uns und gedenkt in Liebe
 Eurer überglücklichen Kinder.“

Der Brief wurde couvertirt, adressirt und in ein zweites Couvert gelegt.

In letzterem befand sich gleichzeitig ein Brief Mariens an Fritz, mit der Bitte, die Einlage zurück und an ihre Adresse zu besorgen.

Der junge Ehemann übernahm es, den Brief sofort selbst in den Briefkasten zu legen. Er that es seelenvergnügt, denn die aufrichtige Freude, die Marie an ihrem stillen, häuslichen Alleinsein empfand, schmeichelte seiner Eitelkeit und bezauberte ihn von Neuem. Aber als der Brief still und lautlos der Hand entglitt, konnte er doch nicht umhin, ein gewisses unklares Gefühl von Besorgniß zu empfinden. … Es war ihm unwillkürlich, als ob er ein Geschoß absende, das sausend die Luft durchschnitt, dessen Zielpunkt aber dem Auge unsichtbar blieb.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_397.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2024)