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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

wesentlich andere als heute. Damals schloß sich an dasselbe ein freundlicher Garten. Damals stand auch von den Häusern dem Schiller-Hause gegenüber noch kein einziges, es floß vielmehr dort im „Schützengraben“ der Bach offen dahin, und mit mehreren Baumreihen besetzt zog sich an dem nachmaligen Wohnhause Schiller’s vorüber die „Esplanade“ bis zu jenem Hause, das damals noch neu war und zu den ansehnlicheren Gebäuden der kleinen Stadt gehörte. Der Geheime Rath von Fritsch hatte im Jahre 1767, als er sich vermählte, zum Empfange seiner jungen Gattin das Haus erbaut. Als aber am 6. Mai 1774 das Residenzschloß ein Raub der Flammen geworden war, beeilte er sich, seiner verehrten Herzogin dieses Haus zur Verfügung zu stellen, Während der Erbprinz Karl August das neu erbaute und noch unvollendete Landschaftshaus, welches später Fürstenhaus genannt wurde, zu seiner Wohnung wählte, bezog die Herzogin das Haus an der Esplanade und fand sich dort bald behaglicher, als vorher in den weiten Räumen der Wilhelms-Burg. Sie behielt diese Wohnung auch dann, als sie im nächsten Jahre die Regierung in die Hände des Sohnes legte, ja sie hat dieses Haus, welches seitdem den Namen Witthums-Palais führte, fast dreiunddreißig Jahre lang bis zu ihrem Tode bewohnt.

Wohl pflegte sie im Frühling und Sommer meist in Ettersburg und Tiefurt zu verweilen, wo in Frohsinn und Ungezwungenheit, von Liebhabertheater und geistigem Verkehr belebt, die Tage und Wochen idyllisch dahinflossen. Die übrige Zeit des Jahres aber brachte sie, fern aller Einmischung in die Staatsgeschäfte und frei von äußerem Zwang und lästigen Förmlichkeiten, zu Weimar in der einfachen Häuslichkeit dieses Palais bei heiterer Geselligkeit zu.

Obgleich als Braunschweiger Prinzessin nach der damaligen Sitte der Höfe in Vorurtheil gegen alles Deutsche erzogen, aber im Umgang feingebildeter Menschen aufgewachsen, hatte sie sich, neben ihrer echten Humanität, neben inniger Freude an der Natur und warmer Liebe zu Kunst und Wissenschaft, zugleich einen deutsch-nationalen Sinn und lebhafte Sympathie für nationale Geistesentwickelung bewahrt. So war sie einst in die Residenzstadt an der Ilm eingezogen, so hatte sie, die junge Wittwe, als Vormünderin und Regentin, während sturmbewegter Zeit segensreich gewirkt, so mit schöpferischem Geiste aus dem damaligen, an Kleinstädtern reichen, an geistigem Interesse armen Weimar unter Heranziehung bedeutender Männer, vor allem Wieland’s, einen Musensitz geschaffen, der die Augen von ganz Deutschland auf sich lenkte. Jetzt von den Regierungssorgen befreit, konnte sie sich in stiller Zurückgezogenheit der Pflege der Künste und Wissenschaften, und insbesondere ihrer leidenschaftlichen Liebe zu Musik und Literatur ganz und voll hingeben. Sie that es mit der ihr angeborenen Lebhaftigkeit, Liebenswürdigkeit, Lebenslust und Milde, und wurde mit ihrem großen Sohne das Centrum jenes Kreises genialer Geister, welche Karl August in Weimar versammelte. Mit Recht konnte daher Wieland in einem noch ungedruckten vertrauten Briefe an seinen Schwiegersohn, den berühmten Philosophen K. L. Reinhold, vom 4. September 1802 von der Herzogin Amalie sagen: „eine Bessere in ihrer Art und von ihrem Stande giebt es wohl schwerlich auf diesem Erdenrund.“ Mit Recht konnte er von ihr singen:

„Sie würd’ als Schäferin
Die Flur entzücken;
Sie würd’ als Königin
Die Welt beglücken;
Doch immer würd’ in ihr
Sie selbst geliebt.“

Goethe charakterisirt sie ebenso treffend wie kurz als „vollkommene Fürstin mit vollkommen menschlichem Sinn und Neigung, zum Lebensgenuß.“ In Ettersburg, in ihrem Tiefurt und im Witthums-Palais wurde und blieb sie der Mittelpunkt der seltensten Vereinigung von Männern und Frauen, die ohne Ansehen der Geburt nur durch Geist und Gemüth allein Hoffähigkeit und Zutritt bei ihr fanden. Die vertrautesten von allen aber waren die geistvolle Hofdame Fräulein von Göchhaufen und Wieland, zumal erstere mit im Palais und letzterer seit 1803 in der Nähe desselben wohnte.

„Ich bin,“ schrieb der gute Alte an Reinhold, „von der Herzogin Amalie kaum dritthalbhundert Schritte und vom Komödienhause nur fünfzig bis sechszig entfernt.“

Von seinem Fenster aus konnte er seine Fürstin in den Gartenanlagen am Palais lustwandeln sehen. Der feinsinnige Gelehrte und Dichter stand mit ihr seit seinem Eintritt in Weimar und bis zu ihrem Tode in lebhaftem Gedankenaustausch, wie über antike Werke so über die modernen Literaturerscheinungen.

Das Palais mit seiner Pflege der Künste, mit seinen edeln geselligen Freuden sollte aber auch gar trübe Tage erleben, und diese Tage sollten für die Herzogin verhängnißvoll werden. Am 14. October 1806, dem Tage der Jenaer Schlacht, verließ auf inniges Bitten der edeln regierenden Herzogin Louise die Herzogin-Mutter Amalie mit ihrer Enkelin Prinzessin Karoline die Stadt Weimar und flüchtete über Erfurt und Göttingen nach Kassel. Von Sehnsucht getrieben, kehrte sie am 30. October nach Weimar zurück. Sie fand das schwerste Unglück und Elend vor. Zwar hatte das Palais selbst, da es bald eine Sauvegarde bekam, während der brutalen Plünderung der Stadt wenig gelitten, nur die dort aufbewahrten Kunstschätze und die Kellervorräthe waren von der Einquartierung theilweise geschädigt. Aber die ganze furchtbare Katastrophe, das grenzenlose Unglück, das über Deutschland und zumal über Weimar und über ihre eigene Familie so plötzlich hereingebrochen war, hatte die Herzogin auf das Tiefste erschüttert. Hören wir Goethe’s rührenden Bericht:

„In diesen letzten Zeiten, da der unbarmherzige Krieg uns endlich und sie ergriff, da sie, um eine herzlich geliebte Jugend aus dem wilden Drange zu retten, ihre Wohnung verließ, eingedenk jener Stunden, als die Flammen sie aus ihren Zimmern und Sälen verdrängten, nun bei diesen Gefahren und Beschwerden der Reise, bei dem Unglück, das sich über ein hohes verwandtes, über ihr eigenes Haus verbreitete, bei dem Tode des letzten einzig geliebten und verehrten Bruders, in dem Augenblick, da sie alle ihre auf den festesten Besitz, auf wohlerworbenen Familienruhm gebauten jugendlichen Hoffnungen, Erwartungen von jener Seite verschwinden sah: da scheint ihr Herz nicht länger gehalten und ihr muthiger Geist gegen den Andrang irdischer Kräfte das Uebergewicht verloren zu haben. Doch blieb sie noch immer sich selbst gleich, im Aeußeren ruhig, gefällig, anmuthig, theilnehmend und mittheilend, und Niemand aus ihrer Umgebung konnte fürchten, sie so geschwind aufgelöst zu sehen. Sie zauderte, sich für krank zu erklären, ihre Krankheit war kein Leiden, sie schied aus der Gesellschaft der Ihrigen, wie sie gelebt hatte.“

Am 10. April 1807 entschlief sie, und der geistvolle Fernow sprach nur das allgemeine Gefühl aus, als er dem Ausdruck der tiefsten Trauer die Worte beifügte: „Sie wußte den Fürsten und den Menschen in sich zu vereinigen. Sie zog die besseren Geister an, wo sie sie fand. Wir wollen uns glücklich preisen, daß wir in dieser Zeit gelebt und diese Fürstin gekannt haben; eine bessere sehen wir nicht wieder, auch ihres Gleichen nicht.“

Das Witthums-Palais stand verwaist. Die Räume desselben dienten zeitweise der Loge, eine Zeit lang dem Landtag und dessen Präsidenten, später dem Lese-Museum, und Weimars größter Künstler, der Landschaftsmaler Friedrich Preller, schuf hier, von echter Kunst und homerischem Geiste beseelt, jene einzig-schönen Odyssee-Bilder, deren Ausführung das Weimarische Museum als dessen höchste Zierde schmückt. Viele Gegenstände, die einst diese Räume gefüllt hatten, waren in andere Schlösser und Kunstsammlungen, sowie in das Theater übergegangen. Doch die ehemalige Wohnung der Herzogin Amalie sollte in all der alten traulichen und behaglichen Einrichtung, als treues Bild ihrer Zeit neuerdings wieder erstehen. In pietätvoller Verehrung für seine Ahnin und die klassische Weimarische Epoche, deren Mittelpunkt sie mit ihrem großen Sohne war, hat der Großherzog Karl Alexander seit den letzten Jahren die Wiederherstellung des Witthums-Palais in den Zustand, als Anna Amalie es bewohnte, betrieben und hat mit genauer Kenntniß der Einzelheiten Alt-Weimars unter Beistand des Hausmarschalls Grafen Wedel diese schwierige Ausgabe gelöst. Aus den großherzoglichen Schlössern, den Kunstsammlungen und dem Theater sind fast alle die Möbels und Bilder, die zu Amaliens Zeit deren Wohnräume schmückten, wieder herbeigeschafft und, so weit möglich, treu dem damaligen Standort wieder ausgestellt und geordnet worden. So geben nun diese Zimmer uns wieder ein Gesammtbild von dem Heim, in welchem Herzogin Amalie einst gelebt und gewaltet hat. Mit dankenswerther Munificenz ist auch diese neue klassische Stätte Alt-Weimars dem Besuche des Publicums geöffnet. Treten wir ein!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_403.jpg&oldid=- (Version vom 22.6.2023)