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verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

eine Weile lang sogar lauter – endlich schlief die Unermüdliche aber auch ein, wenigstens hörte Frau Nährkorn nichts mehr … denn sie war weit weg in einem andern Lande. Auch war dort gut sein. Es regnete daselbst alle Tage und dazu schien allezeit die Sonne. Die aufgespannten Regenschirme aber, mit denen die Leute gingen, waren große runde Holzschüsseln, weiß wie Schinkenteller. Und darauf lagen herrliche, flachgerollte Kuchen, so wie sie die Dienstmägde in der Festwoche in’s Backhaus tragen. Die Regentropfen aber, die auf die Schirme niederfielen, waren eitel Mandeln und Rosinen. …

„Wach’ auf, Alte, wir wollen zu Bette gehen!“ hörte die Träumende jetzt wie aus weiter Ferne sagen. Sie beantwortete die Aufforderung vorläufig nur mit einem Gähnen.

„Wenn ich wüßte, daß sie derweil einmal herum schlief, so blieb ich noch,“ lachte der zurückgekehrte Herr Nährkorn seelenvergnügt. „Köstlicher Spaß das – solch ein Weinchen! Wirklich nette Leute, die neuen Miether – besonders der junge – wie nannten sie ihn doch? ‚Doctor, Doctor Fritz‘, der immer mit mir anstieß – wie gesagt: ausgezeichnet,“ setzte er zungenschnalzend hinzu.

Frau Nährkorn hatte sich endlich ermuntert. Ihr erster Blick traf die Schwarzwälder Uhr, die just eben wieder erwacht war und ihr Ticktack hören ließ und eine vorgerückte Stunde zeigte.

„Wo hast Du denn eigentlich so lange gesteckt, Alter?“ frug sie. „Was Wunder, wenn man müde wird – mutterseelenallein! Aber was war’s denn mit dem Lärm oben – doch nichts Schlimmes?“

„Nein, gar nichts Schlimmes – gar nicht, Alte,“ lachte Herr Nährkorn wieder voll Vergnügen – „ganz contrair im Gegentheil. …“

„Hör mal, Du kommst mir ganz curios vor – ich glaube fast, Du hast einen – Haarbeutel?“

„Meinst Du? Nun, ’s kann schon ein bischen sein! Mit den Wölfen muß man heulen, wie in der Kirche mitsingen!“

„Ich verstehe Dich nicht – was schwatzt Du eigentlich für dummes Zeug?“

„Schilt nicht mehr, Alte, ’s ist alleweil Feierabend! Ich sage Dir, das war ein Weinchen, wie ihn Dein Alter all sein Lebtag noch nicht getrunken hat. Der Herr Assessor hatte den Maitrank aber auch selbst gebraut, und die junge Frau präsentirte mir selbst das erste Glas. Charmantes Weibchen, noble Familie … Du mußt nämlich wissen, sie feierten irgend etwas, wahrscheinlich, daß sie nun wieder zu Hause sind. …“

„Sie sind wieder da, hier im Hause?“ frug die würdige Dame, indem ihr vor Erstaunen der Mund spannweit offen blieb. „Du träumst wohl, Alter, oder siehst doppelt?“

„Freilich sind sie da, oben in ihrem Quartier. Ganz heimlich sind sie gekommen – gestern oder vorgestern – ich glaube es wenigstens, hier sind sie jedenfalls!“

Die Nachricht klang der ehrenwerthen Frau Nährkorn wie ein Märchen. Ja, bunter als ein Märchen! Riesen und Zwerge, von denen die Märchen erzählen, giebt’s zuweilen noch in der Welt, ja vielleicht findet sich irgendwo in einem Winkel versteckt auch noch ein respectables Gespenst, dem die Polizei nichts anhaben kann. … Aber daß sich in einem Hause, dem sie und ihr Alter gegen halben Miethzins als Vicewirth respective Aufseher vorgesetzt waren, etwas Derartiges zutragen konnte, ging über alle Märchen und Märchenbücher hinaus. … Wußte sie nicht allezeit alles haarklein, was bei den verschiedenen Miethern geschah? Sie kannte alle Kinder beim Namen, und dazu die Geburtstage, wenigstens wenn, was häufig geschah, der Storch, hier im Hause geklappert hatte. Sie wußte fast allemal, was die Köchinnen der ersten Etagen ihren Herrschaften anrichteten, und daß die arme Zimmermannsfamilie im Hinterhause während der arbeitslosen Wintermonate ihr Mittagessen aus dem Suppenvereine geholt hatte. Sie kannte selbst beinahe alle Ein- und Ausgehenden bis auf die beiden stämmigen Artilleristen und den schmucken flinken Fünfunddreißiger der Dienstmädchen herab. … Und nun sollte der Assessor und die Frau Assessorin, die sie als Bewohner der ersten Etage unter ihre besondere Obhut zu nehmen gesonnen war, ohne Sang und Klang eingezogen sein und ohne „Willkommen“ und Bekränzung, wie es sich schickt, wenn ein junges Ehepaar einzieht und von der Hochzeitsreise eintrifft! Was mochte die Frau Assessorin gedacht haben? Sie war aus einem der besten Häuser der Stadt, und sie, Frau Nährkorn, kannte die ganze hochrespectable Familie, den Herrn Stadtrath, die Frau Stadträthin, die zu ihrer langjährigen Kundschaft gehörten, selbst der junge Herr Sohn war ihr bekannt, er hatte ihr nach der letzten Ferienreise noch eigenhändig den entenpfotenfarbenen Touristenschirm zur Ausbesserung überbracht. … Sonderbar blieb die ganze Geschichte jedenfalls – sonderbar und unerklärlich … es konnte fast nicht sein!

Alle diese vernünftigen Gedanken schossen blitzschnell durch den Kopf der würdigen Dame. Aber dem „es kann nicht sein!“ stellte sich alsbald die eben vernommene Thatsache gegenüber. Und wieder als Beweis dieser Thatsache der – Spitz ihres Alten! …

Nun – sie würde sich morgen von allem selbst überzeugen und das Geheimniß jedenfalls ergründen. Denn irgend etwas Wunderbares, Geheimnißvolles war dabei im Spiele: das sich abstreiten zu lassen, war sie, Frau Nährkorn, viel zu schlau! Bis morgen mußte sie freilich Geduld haben, vielleicht gab’s wieder eine schlaflose Nacht, wie gestern, wo ihr, von dem sonderbaren Lärm oben, die Gänsehaut über den Rücken lief. … Denn von dem Alten war heute Abend schwerlich noch etwas herauszupressen. Man hatte eben die Rollen getauscht. Von ihr war jede Müdigkeit gewichen, während der Herr Gemahl den schnurrenden Kater vom Sopha gescheucht und seinen Platz eingenommen hatte. Und bald darauf waren ihm die Augen zugefallen, nur das stillvergnügte Lächeln, mit dem er von seinem Besuche in der ersten Etage erzählt hatte, lag noch über den Lippen.




6.

Am andern Tage machte sich Frau Nährkorn allerlei auf den Haus- und Treppenfluren zu thun. Vermuthlich sah sie „der Ordnung wegen“ nach, ob die verschiedenen Dienstmägde das Fegen und Säubern ordentlich besorgten.

Plötzlich kam ihr von oben herab der Assessor entgegen. Er trug ein leichtes Aktenstück unter dem Arm und eilte spornstreichs zur Hausthür hinaus.

„Also doch!“ kopfschüttelte Frau Nährkorn und wollte schon wieder in ihr Hinterstübchen zurückkehren, als ihr noch zu guter Stunde einfiel, doch wenigstens der jungen Frau ihre unterthänige Gratulation zum neuangetretenen Ehestande zu überbringen. Das war doch das Mindeste, was man thun konnte. Dabei wollte sie natürlich auch um die geehrte Kundschaft bitten: die Frau Assessorin gebrauchte gewiß bald einen neuen Sonnenschirm.

Sie stieg vollends die Treppe hinan. Die Thür zum Vorzimmer war offen geblieben, der Assessor hatte es eilig gehabt. So trat Frau Nährkorn ungehindert ein.

Es war Niemand anwesend – wenn ihr nicht der Miether soeben im Hausflur begegnet wäre, so würde sie die ganze Geschichte von Neuem angezweifelt haben. Doch – die Flügelthüren zum anstoßenden Eßzimmer standen offen, und drinnen vor dem Büffetschranke stand eine junge Dame im Morgenhäubchen mit Rosaschleifen, so wie es junge vornehme Frauen zu tragen pflegen. Sie hatte der Eintretenden den Rücken zugekehrt und war beschäftigt, hellglänzende, feingeschliffene Krystallgläser wieder in die Fächer zu räumen, vermuthlich waren sie gestern Abend gebraucht worden. Ja, die Frau Stadträthin Wegner, die als vorzügliche Hausfrau stadtbekannt war, hatte das einzige Töchterchen gleichfalls häuslich und wirthschaftlich erzogen, mit der wurde kein Mann betrogen!

„Erlauben die Frau Assessor, daß ich mir die Freiheit nehme, Ihnen bestens zum angetretenen heiligen Ehestande zu gratuliren!“ begann Frau Nährkorn mit einem wohlgelungenen Knix. „Du lieber Gott, was werden Sie nur gedacht haben! Keine Guirlanden und Kränze um die Thüren – nehmen Sie’s nur nicht übel!“

Käte, die am Morgen von Marie beauftragt worden war, an ihrer Stelle das Aufräumen des Speisezimmers zu besorgen (die junge Frau selbst hatte auswärts einige Besorgungen zu machen), ließ sich vorläufig nicht in ihrer Arbeit stören und dachte mit schelmischem Wohlbehagen:

„Man hält mich für die Tante! … Nun, warum könnte ich nicht auch eine Frau Assessorin sein, oder noch lieber – eine Frau Doctorin?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1883, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_414.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2024)