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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 29.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Alle Rechte vorbehalten.

Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Schluß.)


Anna stand noch an demselben Platze, wo Werdenfels sie verlassen hatte. Sie hörte nichts von all den Tröstungen, mit denen Paul und Lily sie zu ermuthigen suchten, sah nichts von der ganzen Umgebung. Bleich und stumm starrte sie immer hinaus in den Nebel, wo Raimund verschwunden war, in die Fluth, die ihn vielleicht schon deckte. An ihrer Seite knieete Eckfried und betete, und all die Anderen standen rathlos und thatlos ringsum, mit jeder Viertelstunde, die verfloß, sank ihnen mehr der Muth.

Da plötzlich zuckte die junge Frau zusammen und beugte sich weit vor. Sie hatte entdeckt, was noch Niemand sah. Dort in dem Dunste regte sich etwas, noch dunkel und unbestimmt, aber es kam immer näher, wurde immer deutlicher. Jetzt unterschied man schon die Umrisse des Bootes und endlich erkannte man auch die Gestalten darin. Es war Leben und Rettung, was aus jenem Nebelmeere auftauchte.

Langsam glitt das kleine Fahrzeug daraus hervor, das nur mit unsäglicher Mühe vorwärts kam. So weit es auch seitwärts steuerte, es mußte doch jetzt gegen die Strömung ankämpfen, die es vorhin getragen hatte. Am Boden, zwischen den schwer arbeitenden Männern kauerten zwei Menschen, erstarrt von Nässe und Kälte, betäubt von der ausgestandenen Todesangst – der Fischer und sein Weib, und zu den Füßen des Freiherrn, der mit beiden Händen das Steuer hielt, saß ein Kind, das ängstlich seine Kniee umklammerte und sein Gesicht daran verbarg, um das schäumende Wasser nicht zu sehen.

Bei diesem Anblick stürzte Alles hinunter, den Ankommenden entgegen. Die Männer sprangen rücksichtslos in das Wasser, und von allen Seiten streckten sich helfende Hände dem Boote entgegen, das mit stürmischem Jubel empfangen und bewillkommnet wurde.

„Da bringen wir sie alle drei!“ rief Rainer, der zuerst heraussprang. „Es war Zeit, daß wir kamen, das Haus wankte schon, als wir abstießen, und hinter uns fiel es zusammen. Aber das war eine Arbeit zurückzukommen! Ich dachte, wir würden es nicht zwingen gegen den Strom, doch der Freiherr und unser Pfarrer haben ausgehalten, als wären sie von Eisen!“

Vilmut unterstützte die Fischersleute, die kaum ihre Glieder regen konnten, während Werdenfels, der ja der Letzte war, den kleinen Toni emporhob. Das Kind fürchtete sich jetzt nicht mehr vor dem „Felsenecker“, dessen Arme es von dem wankenden Gebälk losgerissen und sicher durch Nebel und Wogen geführt hatten, es umklammerte mit beiden Händen seinen Hals und wollte ihn nicht wieder loslassen.

Raimund grüßte nur mit einem Blick und einem Lächeln seine Braut, die ihn am Ufer empfing, dann wandte er sich zu dem alten Manne an ihrer Seite und mit einer Stimme, in der die tiefste Bewegung zitterte, sagte er:

„Hier, Eckfried, ist Euer Toni! Ich lege ihn heil und gesund in Eure Arme – nehmt ihn zurück!“

Es waren dieselben Worte, die Eckfried ihm einst in wildem Hohne entgegengeschleudert hatte, als er bei jener Brandstiftung ergriffen wurde. In den Zügen des alten Mannes zuckte es seltsam, starr und wortlos blickte er den Freiherrn an, und wie mechanisch streckte er die Arme aus nach seinem Enkel. Erst als sich Toni’s blonder Krauskopf an seine Brust schmiegte und die blauen Augen aus dem verweinten Gesichtchen ihn anblickten, erst da schien auch Eckfried Leben und Bewegung wieder zu finden. Er riß das Kind an sich und mit einem Aufschrei, der halb einem Jauchzen und halb einem Weinen glich, sank er in die Kniee vor dem Manne, den er so lange und glühend gehaßt hatte.

Anna hatte sich unbekümmert um all die Zeugen an Raimunds Brust geworfen, und er hielt sie umfaßt, als seien sie allein auf der Welt. Da trat Gregor Vilmut heran, sein Auge glitt düster, aber ruhig über die Beiden hin, es stand nichts mehr von Haß darin. Jetzt, wo er selbst zum Retter und Helfer geworden war, fanden die Lippen des stolzen Priesters endlich die Worte, die er vorhin nicht hatte aussprechen können, und er sprach sie so laut, daß alle Umstehenden sie hörten:

„Ich danke Ihnen, Herr von Werdenfels, im Namen des Dorfes, das Sie gerettet haben. Ohne Ihre hochherzige That war es verloren und seine Bewohner waren dem Elend preisgegeben.“

„Sie haben ja auch gerettet, Hochwürden, was ich im Drange der Gefahr preisgab und preisgeben mußte,“ sagte Raimund tiefernst. „Wir haben zwei Stunden lang Seite an Seite gekämpft um drei Menschenleben, und sind wie durch ein Wunder bewahrt geblieben – ich denke, wir kehren nicht wieder zu der alten Feindschaft zurück.“

Er streckte die Hand aus, aber als Vilmut die seinige hineinlegte, rief Anna erschrocken:

„Gregor, was ist das? Deine Hände sind ja voll Blut!“

„Von der Arbeit!“ erwiderte Gregor gelassen.

Die inneren Handflächen waren in der That blutig von der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_465.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2024)