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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Ich komme, um Dir Lebewohl zu sagen! Meine Abreise ist auf übermorgen festgesetzt.“

„So plötzlich? Du solltest Deine neue Stellung in M. ja erst im Herbste antreten.“

„Das hat sich geändert. Das dortige Pfarramt ist verwaist und bedarf dringend eines Vertreters, während mein Nachfolger in Werdenfels jede Stunde bereit ist. Ich nehme bereits morgen Abschied von meiner Gemeinde, aber wenn Du auch der kirchlichen Feierlichkeit beiwohnst, so werde ich doch schwerlich Gelegenheit finden, Dich allein zu sprechen, und deshalb komme ich heute!“

Anna’s Augen ruhten betroffen und forschend auf den Zügen des Pfarrers, endlich sagte sie:

„Diese unerwartete Beschleunigung ist Dein Werk, Gregor! Du gehst, weil Raimund kommt.“

Gregor widersprach nicht, und die junge Frau fuhr mit leisem Vorwurf fort:

„Ich glaubte, die alte Feindschaft sei zu Ende seit jener Fahrt auf Leben und Tod, welche Ihr zusammen unternommen habt?“

„Wir sind keine Feinde mehr,“ erwiderte Vilmut fest. „Gegner bleiben wir immer, denn hier handelt es sich um Ueberzeugungen, die Keiner opfert. Du solltest mir den Entschluß danken, den ich gefaßt habe. Bliebe ich, so würde der Kampf von Neuem beginnen, müßte beginnen, denn ein wirklicher Ausgleich ist nicht möglich.“

„Und Du räumst einem Gegner das Feld? Das sieht Dir nicht ähnlich.“

„Ich räume einen Platz, auf dem ich nicht mehr fest und unerschütterlich stehe, wie einst. All die stürmischen Proteste, die gegen meine Entfernung laut wurden, all die Bitten, zu bleiben, täuschen mich nicht darüber. Vor meiner ganzen Gemeinde hat mir Rainer den Vorwurf zugeschleudert, ich hätte das Dorf in das Verderben gebracht, und die Anderen stimmten ihm bei. Das ist nicht auszulöschen, weder für sie noch für mich, und darüber hilft auch keine Anhänglichkeit hinweg. Sie glauben nicht mehr an mich, und sie müssen diesen Glauben an ihren Priester haben, wenn sein Wirken nützen soll.“

„Also ist diese Berufung nach M. auf Deine Veranlassung geschehen? Ich ahnte es! Aber Deine Gemeinde wird Dich schwer vermissen.“

„Glaubst Du, daß mir die Trennung von Werdenfels leicht wird, mit dem ich seit zwanzig Jahren verwachsen bin, wo ich eine ganze Generation erzogen und eine andere geleitet habe? Aber es muß sein! Ich ertrage nun einmal nichts Halbes, und mit voller ungebrochener Kraft kann ich nur in einen neuen Wirkungskreis eintreten.“

Es lag wieder die alte, unbeugsame Energie in diesen Worten – und Anna fühlte zu sehr deren Wahrheit, um Widerspruch zu erheben.

„Willst Du Raimund sprechen?“ fragte sie. „Er ist im Schlosse, wenn Du ihn dort –“

„Wozu das? Ich habe ihn heute begrüßt, als er nach Werdenfels kam, und er wird mir dieselbe Rücksicht erweisen, wenn ich Werdenfels verlasse. Für seine, wie für meine künftige Stellung wird diese öffentliche Versöhnung von Nutzen sein, vertraulich haben wir nichts mit einander zu verhandeln. Ich wollte von Dir Abschied nehmen, Anna, da unsere Wege sich jetzt trennen.“

„Doch nicht für immer?“ sagte die junge Frau zögernd. „M. ist freilich sehr fern.“

„Und wenn es auch näher läge, unsere Beziehungen würden doch zu Ende sein. Meine Vormundschaft über Lily ist nur noch eine Form, seit ihre Vermählung beschlossen ist. Im nächsten Jahre trägt auch sie den Namen des Geschlechtes, dem Du jetzt angehörst – aber ich suchte heute nicht die Gemahlin des Freiherrn von Werdenfels, ich wollte Anna Vilmut noch einmal sehen, die ich als Kind in meine Obhut nahm. Leb’ wohl, Anna – für immer!“

Das Auge der jungen Frau verschleierte eine Thräne, als sie ihm die Hand reichte.

Gregor’s Auge blieb trocken, aber es haftete lang und düster auf ihrem Antlitz, als wolle er das Bild mit sich nehmen in die Ferne. Er drückte noch einmal ihre Hand, dann ging er festen Schrittes davon, ohne sich wieder umzuwenden.

Anna blickte ihm lange nach. Das Eine, was unausgesprochen zwischen ihnen blieb, war jetzt überwunden, sie hatte es in seinem Blick gelesen, aber sie las auch darin, was diese Ueberwindung ihn gekostet hatte.

Da tönten nahende Schritte, und als Anna sich umwandte, gewahrte sie ihren Gatten, der aus dem Schlosse gekommen war.

„Hast Du auf mich gewartet?“ fragte er. „Ich konnte Eckfried nicht so schnell verabschieden, er ist eigens mit seinem Toni vom Mattenhofe gekommen, um heute in Werdenfels zu sein.“

„Ja, der Toni stand im Dorfe an der Spitze der Kinderschaar und überreichte mir einen riesigen Strauß Alpenblumen,“ sagte die junge Frau lächelnd. „Aber er vergaß den eingelernten Vers zur Hälfte und half sich damit, daß er mir mit ungeheuerem Stolz erzählte, er und der Großvater hätten jetzt ein Pferd und ein Wägli, in dem sie gekommen seien und auch wieder heimfahren würden.“

„Das ist ihm allerdings etwas Neues. Es war ein glücklicher Gedanke, als Du mir riethest, den verschuldeten Mattenhof zu kaufen und dem Knaben zu verschreiben, der ihn ja eigentlich von den Eltern hätte erben sollen.“

„Es galt, den Starrkopf Eckfried’s zu beschwichtigen, der für sich selbst vielleicht nichts angenommen hätte. Er ist freilich wie verwandelt, seit Du ihm damals seinen Enkel in die Arme legtest, und er erhob auch keine Einwendung, als Du das Recht in Anspruch nahmst, für das gerettete Kind zu sorgen.“

„Nun, vielleicht erlebt er es noch, den Buben heranwachsen und den Hof antreten zu sehen! Die wenigen Wochen da oben haben ihn förmlich verjüngt. Es war allzu hart für den ehemaligen Bauer, bei Fremden als Knecht arbeiten zu müssen, jetzt kann er wieder auf eigenem Grund und Boden wirthschaften und für seinen Enkel schaffen, das verlängert sein Leben um zehn Jahre.“

„Gregor war vorhin bei mir,“ sagte Anna nach einer Pause. „Er kam, um Abschied zu nehmen. Er bleibt nicht bis zum Herbste, wie wir voraussetzten, sondern geht schon übermorgen.“

„Ich weiß es, Eckfried theilte es mir mit. Ich habe nie gezweifelt, daß Vilmut sobald als möglich gehen werde. Er hat eingesehen, daß für uns Beide nicht Platz in Werdenfels ist, und er weiß, daß ich nicht wieder von dem Platze weichen werde, den ich einmal errungen habe.“

„Du thust Gregor Unrecht. Er weicht nicht Dir, sondern jener Stunde, in der das Hochwasser über das Dorf hereinbrach. Wenn er die Schuld auch männlich gesühnt hat, ein Vorwurf bleibt es immer, und er mag ja Recht haben, der Glaube seiner Gemeinde an ihn ist einmal erschüttert, das könnte verhängnißvoll werden für sein späteres Wirken.“

„Besser, er geht in Frieden von uns,“ entgegnete Raimund ernst. „Friede wäre doch nicht geblieben, wenn er nach wie vor an der Spitze des Dorfes stand; zwei Herren taugen nicht an einem Orte, und nach dem, was geschehen war, konnten wir uns doch nicht wieder feindlich gegenüberstehen. Auch nach seiner Entfernung werde ich noch genug mit meinen Werdenfelsern zu kämpfen haben, sobald die Feststimmung dieser Tage erst verrauscht ist. Es liegt eine vierzehnjährige Entfremdung zwischen uns, und in all diesen Jahren hat Gregor Vilmut sie beherrscht und geleitet. Aber sie haben Vertrauen zu mir gelernt in der Stunde der Noth, und ich vertraue ihnen. Auf diesem Grunde, denke ich, wird sich eine Zukunft erbauen lassen.“

Anna deutete auf die einst so blühende und jetzt so wüste Umgebung des Schlosses.

„Sie haben es ja täglich vor Augen, was Du für sie gethan hast, und die Mahnung wird fruchten. Es thut mir doch weh, daß unsere schönen Gärten so ganz vernichtet sind, und dort drüben in der Niederung liegt noch unendlich mehr begraben. Du hast beinahe die Hälfte Deines Vermögens zum Opfer bringen müssen.“

Raimund’s Blick folgte der angedeuteten Richtung, aber es war ein heller, muthiger Blick.

„Ja, es wird Zeit und Arbeit kosten, die Verwüstungen jenes Tages zu tilgen. Verloren gebe ich meine Besitzungen trotzdem nicht, wenn ich mir sie auch erst wieder erobern und jeden Fußbreit Boden der Verheerung abtrotzen muß. Vielleicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_470.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2024)