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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Der Hansel!“

Da stand oben auf der jäh abstürzenden Felsenwand eine junge, kräftige Männergestalt und schwenkte grüßend den Hut. Ein lauter, freudiger Gruß drang aus dem Thale zu ihm hinauf. Dann eilte der Obenstehende auf einem von unten kaum bemerkbaren und nur für geübte und schwindelfreie Bergsteiger möglichen Pfade, der sich an der Bergwand hinzog, hinab. In vollem Laufe, jeden den Weg versperrenden Felsen wie eine Gemse leichtfüßig überspringend, kam er thalwärts. Selbst die mit dem Wege und den Gefahren vertrauten Burschen verfolgten den Tollkühnen mit den Augen, nicht ohne daß ihre Herzen schneller schlugen, denn keiner unter ihnen hätte gewagt, ihm dies nachzumachen.

In wenigen Minuten war der Hansel unten und mit dem lustig klingenden Gruße: „Grüß Gott!“ trat er in den Kreis seiner Freunde, die er seit Jahren nicht gesehen.

Zwanzig Hände streckten sich ihm entgegen, volle Weingläser wurden ihm hingehalten und lachend leerte er einige.

„Ich bin warm und durstig geworden,“ sprach er, indem er den Hut abnahm und mit der Hand über die feuchte Stirn hinfuhr.

Es war eine auffallend hübsche Erscheinung. Mittelgroß und kräftig gebaut und doch leicht in jeder Bewegung. Das Gesicht verrieth deutlich das italienische Blut, welches in seinen Adern war. Seine Wangen waren selbst durch den schnellen Abstieg kaum geröthet, seine großen, schwarzen Augen blickten lustig, unbefangen. Den Kopf bedeckte ein dunkles, lockiges Haar.

Alle Bekannten drängten sich an ihn heran, um ihm die Hand zu schütteln, nur der Unterburgsteiner kehrte ihm den Rücken zu und bezahlte dem Wirthe den getrunkenen Wein.

„Hansel, wie bist Du frei gekommen vor der Zeit?“ fragte einer seiner Freunde.

„Ich hab’ Glück gehabt!“ entgegnete der Gefragte, dessen Brust von dem schnellen Abstiege noch immer heftig athmete. „Es ist mir als Soldat gut ergangen, und ich wüßte nicht, worüber ich hätte klagen sollen, es ist auch schön in Wien, aber wie hier ist’s doch nicht. Es fehlen die Berge, und es fehlt die Luft. Es legt sich dort etwas schwer auf die Brust; was es ist, weiß ich nicht.“

„Es wird das Heimweh sein,“ warf Sepp ein.

„Ich weiß es nicht,“ fuhr Hansel fort. „Ich hatt’ mich auch darein ergeben, noch ein Jahr zu dienen, denn ändern konnt’ ich’s nicht. Vor einigen Wochen setzten wir zur Uebung in großen Booten über die Donau. Vorn an der Spitze meines Bootes stand der Oberst und ertheilte die nöthigen Befehle. Da stürzt’ derselbe rücklings in den Strom und das Wasser schlug über ihm zusammen. Bestürzt fuhren Alle empor. Ich warf schnell mein Käppi fort und stürz’ mich ihm nach. Und wie ich tauch’, sehe ich ihn vor mir im Wasser hintreiben, es gelingt mir, ihn zu erfassen, und dann arbeite ich mich mit ihm empor. Als ich auftauche, waren wir wohl fünfzig Schritte vom Boote entfernt und die Strömung riß mich weiter, denn ich mußte alle Kraft zusammen nehmen, um den Oberst über Wasser zu halten, der kein Lebenszeichen von sich gab. Aber das Boot kam uns schnell nach, wir wurden Beide gerettet. und nach kurzer Zeit kam auch der Oberst wieder zu sich. Ein Schwindelanfall hatte ihn erfaßt und er wußte kaum, was mit ihm geschehen war. Nach zwei Tagen wurd’ ich zu ihm in seine Wohnung befohlen. Er lag krank darnieder, als ich aber an sein Bett trat, streckte er mir die Hand entgegen. Dann fragt’ er mich, ob ich Lust hab’, weiter zu dienen, dann soll’ es mir nicht fehlen, daß ich weiter rück’. Offen sagt’ ich ihm, daß es mich heim zieh’ und daß mein Vater, der schwach und krank sei, meiner bedürf’. Er ließ sich erzählen, woher ich stamm’ und was ich sei. Dann gab er mir zehn Gulden und hieß mich gehen. Vor wenigen Tagen ließ er mich wieder zu sich rufen. Da gab er mir einen Urlaubsschein für den Rest meiner Dienstzeit und fünfzig Gulden als Reisegeld. Er fügt’ hinzu, daß ich mich an ihn wenden solle, wenn es mir einst schlecht ergeh’, aber ich solle mich brav halten. Nun bin ich da!“

„Und kein Wort hast hierher geschrieben,“ warf Franz Steger ein.

„Glaubst, ich hätt’ mir Zeit dazu genommen?“ rief Hansel, dessen große dunkle Augen den Freund lustig und glücklich anlachten. „Was sollt’ ich schreiben? Ich wußt’ schon, daß es meinem Vater und meiner Mutter am liebsten sei, wenn ich ihnen selbst das Alles erzähl’. Nun gebt mir einen Wein.“

Zehn Gläser wurden ihm entgegengehalten.

Der Unterburgsteiner hatte seine große Gestalt an die Thür des Wirthshauses gelehnt, auf seinem Gesicht lag ein spöttisches, geringschätzendes Lächeln. Kein Wort, welches Hansel gesprochen, war ihm entgangen, aber er gab sich den Schein, als ob derselbe gar nicht für ihn da sei.

„Nun, Hansel, ich glaub’, es ist noch etwas andres, was Dich hierher getrieben hat!“ rief Sepp. „Die Moidl wirst schwerlich vergessen haben!“

Dunkle Röthe übergoß das Gesicht Hansel’s, ehe er aber antworten konnte, ertönte die Orgel in der nahen Kirche, und die Burschen gingen in die Messe.

David folgte ihnen langsam, Er hatte die Lippen fest auf einander gepreßt, und seine Faust hatte sich unwillkürlich geballt. Vor der Kirchthür blieb er zögernd stehen, als ob er unschlüssig sei, was er thun solle.

„Er soll wagen, mir meinen Weg zu kreuzen!“ rief er halblaut, dann trat er in die Kirche.

Zwei Jahre war Hansel fortgewesen. Ehe er das Thal verlassen, war es kein Geheimniß gewesen, daß er die Moidl, die Tochter des Oberburgsteiners, gern hatte, und die ihm wohl wollten, konnten es ihm nicht verargen, denn sie war das hübscheste Mädchen im ganzen Thal.

Aber auch David liebte das Mädchen, deshalb haßte er Hansel.

Noch war es ihm nicht gelungen, Moidl’s Herz zu gewinnen. Wenn er ihr auf dem Wege zur Kirche begegnet war, oder ihren Vater, dessen Gehöft wohl noch fünfhundert Fuß höher am Berge lag, als sein eigenes, besucht hatte, dann hatte er sich ihr stets in der freundlichsten Weise genaht, aber Moidl war ihm gegenüber stets ruhig und kalt geblieben, und selbst durch seine Späße war er nicht im Stande gewesen, ein Lächeln auf ihrem Gesichte hervorzurufen.

Das hatte ihn zwar geärgert, aber nicht beunruhigt, denn wenn sein Trauerjahr verflossen war und er um ihre Hand werben konnte, dann mußte sie doch die Seinige werden, denn so thöricht konnte sie nimmer sein, ihn, den reichsten Bauer im ganzen Thal, zurückzuweisen.

Daß die Moidl den Hansel gern gehabt hatte, wußte er auch. Der Bursche war indessen schon zwei Jahre fort und mit seinem Vater ging es von Jahr zu Jahr rückwärts. Sein Gehöft war verschuldet und konnte kein Mädchen verlocken, Herrin desselben zu werden.

Das hatte er sich oft genug gesagt, nun der Hansel aber unerwartet zurückgekehrt war, war seine Zuversicht doch in’s Wanken gerathen.

In der Kirche schwand sein Groll nicht. Er sah, daß Hansel sich so aufgestellt hatte, daß er die Moidl sehen konnte, und sie hatte ihn auch bereits bemerkt, denn ihr Gesicht war mit Gluth übergossen.

Wohl beugte sie sich nieder auf das Gebetbuch, sobald sie indessen die Augen aufschlug und dieselben dem Blicke Hansel’s begegneten, schoß ihr auf’s Neue das Blut in die Wangen.

David wandte nicht eine Minute lang den Blick von den Beiden. Es gährte und kochte in ihm. Er hätte vorstürzen und den Welschen, wie er Hansel stets nannte, niederschlagen mögen.

Ehe die Messe beendet war, verließ er die Kirche. In dem nahen Wirthshause suchte er das verzehrende Feuer in seiner Brust durch Wein zu löschen. Dann lachte er wild auf. Er lachte über den Welschen, der es wagte, seinen Weg zu kreuzen, er wollte ihm bald die Lust für immer verderben. Heftig schlug er mit der Faust auf den Tisch.

Als die Messe beendet war und die Leute aus der Kirche traten, blieb Hansel neben der Thür stehen. Und als die Moidl kam, trat er zu ihr und streckte ihr die Hand entgegen.

„Guten Tag, Moidl!“ rief er, und seine Augen leuchteten.

Wieder erröthete das Mädchen, aber sie legte ihre Hand in die seinige und bemerkte es kaum, daß er dieselbe festhielt.

„Guten Tag, Hansel,“ entgegnete sie mit leise bebender Stimme. „Wie geht’s Dir?“ fügte sie fragend hinzu.

„Fragst noch!“ rief der Bursche mit heiterem Lachen. „Wie

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