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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Heiße Stunden.

Ein Idyll aus Bayreuth von Wilhelm Kästner.
(Fortsetzung.)

Nachdem die Vorstellung unter stürmischen Beifallsbezeigungen zu Ende gegangen war, beschloß Alfred die mannigfachen Ritterdienste dieses Tages mit der Aufsuchung des Wagens, der die Damen nach ihrem Hôtel, der „Sonne“, zurückbringen sollte.

Am anderen Morgen erachtete er es als seine erste Pflicht, nach dem Bureau des Verwaltungsrathes zu stürzen, um sich seinen Platz für die nächste Vorstellung, den kostbaren Platz an Rosa’s Seite zu sichern – Frau Commerzienräthin ließ ja die Plätze im Theater für die nächsten zwei Vorstellungen reserviren. Dann wurde ein Clavierauszug des „Parsisal“ von ihm erworben und möglichst ostentativ unter dem Arm getragen, denn Alfred wollte sich auf alle Fälle die Gunst der Mutter erhalten, da sie nach aller Erfahrung den Weg zum Herzen der Tochter bahnt.

Mit dem beruhigenden Gefühl, die weitere Belagerung der Feste in zweckentsprechender Weise eingeleitet zu haben, schlenderte er nun den Rennweg auf und ab, sich in nächster Nähe der „Sonne“ haltend. Der sehnlichst erwartete goldblaue Sonnenstrahl erschien jedoch nicht, wohl aber nach Verlauf einer halben Stande die Frau Commerzienräthin, glänzend und behaglich wie immer. Und wahrlich, der Clavierauszug verhalf ihm zum Sieg.

So sah man den auch den Referendar Nachmittags im Garten der „Sonne“, bei einer Tasse Kaffee, seinen Clavierauszug geöffnet auf den Tisch legen, während die Commerzienräthin, mit der Partitur und einigen Leitfäden und Erklärungen bewaffnet, ihm gegenüber Platz nahm und nun erläuternd und vergleichend ihren Redestrom zwischen den Büchern durchfließen ließ. Von einem benachbarten Tische klang das fröhliche Lachen Rosa’s zu ihm herüber, denn sie mied ihn augenscheinlich und hatte sich nach dem Mittagessen einer befreundeten Damengesellschaft angeschlossen, während er einige Dutzend Motive aussuchen, umkehren, bewundern mußte.

Mit Mühe bezwang er sich, diese Seelenqual zu ertragen, weil er immer hoffte, Rosa würde nach einiger Zeit an dem Tische erscheinen, aber auch in dieser Hoffnung sah er sich getäuscht, da gegen vier Uhr die Commerzienräthin ihren Vortrag mit dem Bemerken schloß, daß sie sich mit neuangekommenen Freunden zu einer Spazierfahrt verabredet habe. Als er im Begriff war, sich zu verabschieden, überbrachte ein Kellner der Commerzielträthin ein Telegramm. Fräulein Rosa’s scharfe Augen mußten dies bemerkt haben, denn sie kam sogleich herbeigehüpft und frug eifrig:

„Kommen sie endlich?“

„Ja, morgen mit dem Mittagszug, wie ich sehe.“

„Wie ich mich freue!“ rief Rosa.

„Wir haben Papa auch wirklich sehr lange nicht gesehen.“

„Und ich freue mich auch sehr auf Max.“

„Mein Mann,“ berichtete die Commerzielträthin dem bescheiden wartenden Alfred, „kommt morgen hier an. Er war vorher zur Cur in Karlsbad, mußte Geschäfte halber auf einige Tage nach Berlin zurück und bringt nun von da noch einen sehr lieben Verwandten von uns, Herrn Max Hillmann, mit.“

„Ich begreife gar nicht, wie es Max ausgehalten hat, so spät erst hierher zu kommen,“ meinte Rosa.

„Es war sehr freundlich von ihm, auf Papa zu warten, denn wer weiß, ob dieser sonst nicht unter dem Vorwand von Geschäften in Berlin sitzen geblieben wäre. Und es liegt mir doch so viel daran, daß Dein Papa den ‚Parsifal‘ kennen lerne.“

„Der arme Papa! Es wird ihm freilich recht heiß dabei werden,“ seufzte Rosa. Dann wurde sie plötzlich sehr roth und sah einen Moment scheu zu Alfred hinüber, dessen hübsches Gesicht gleichfalls verlegene Röthe überzog, obgleich er sich stellen wollte, als dächte er an gar nichts bei dieser unbedachten Ideenverbindung von Parsifal – und Hitze.

„Der Wagen wartet sicher schon seit einer halben Stunde auf uns,“ mahnte jetzt die Mama. „Adieu, Herr Referendar, lassen Sie sich morgen bei Zeiten sehen,“ rief sie diesem noch in gewohnter Leutseligkeit zu.

Alfred schaute dem davonrollenden Wagen eine Weile nach, ehe er sich anschickte, den Rest des Nachmittags und den Abend allein in dem fremden Städtchen zu verleben. Große Fortschritte, sagte er sich dabei, hatte er heute in der Gunst des Fräuleins nicht eben gemacht, aber doch auch keine weiteren Rückschritte. Ja, eine innere Stimme flüsterte ihm sogar zu, daß sie ihn einige Male unvermerkt sehr freundlich angesehen habe. – –

Auf dem Rennweg standen und promenirten am nächsten Tage die Fremden zahlreich umher, aber die Damen Jung konnte er zu seinem Verdruß nicht unter ihnen entdecken. Der ganze Vormittag verstrich unter fruchtlosem Warten und Suchen, bis ihm kurz vor ein Uhr einfiel, daß jetzt die Damen wahrscheinlich auf dem Bahnhof sein würden, um die Ankommenden zu empfangen. Es war zu spät für ihn, jetzt noch vor dem Eintreffen des Zuges dahin zu gelangen, und er zog daher vor, nochmals in der Nähe des Hôtels Posto zu fassen, da ihm so die Erwarteten nicht entgehen konnten.

Nach kurzer Zeit begannen Wagen und Omnibusse vom Bahnhof heranzurasseln, denen bald zahlreiche Fußgänger folgten. Auch Familie Jung schien bei dem kühlen, trüben Wetter, das heute herrschte, eine Wanderung zu Fuß einer Fahrt vorgezogen zu haben. Sie wurde soeben, die Straße herankommend, sichtbar, voran der Commerzienrath, ein gutmüthig aussehender dicker Herr, am Arm seiner Gattin, hinter ihnen ein zweites Paar, bei dessen Erblicken unserem Referendar ein Stich durch das Herz ging. Der schöne, hochgewachsene Mann von etwa dreißig Jahren, mit blondem Vollbart und etwas träumerisch blickenden grauen Augen, konnte nur der oft erwähnte „Vetter Max“ sein, denn Fränlein Rosa hing, vertraulich plaudernd und oft eifrig zu ihm empor sehend, an seinem Arm.

Ob sie Alfred’s tödtlichen Schrecken auf seinem blassen, verstörten Gesichte las? Wer kann die Gedanken errathen, die hinter solchen krausen blonden Stirnlöckchen in einem achtzehnjährigen Mädchenkopfe wirbeln? Gewiß ist nur, daß sie Alfred mit plötzlich aufstrahlendem Lächeln einen Gruß zunickte, wie er ihm so holdselig und verbindlich noch nie von der kleinen Schönen zu Theil geworden, worauf sie, immer noch mit dem strahlenden Lächeln, zu dem großen blonden Vetter hinaufsah.

Die Commerzienräthin wollte mit ihrem Manne in den Thorweg des Hôtels einbiegen, als sie Alfred, welcher in der Nähe stand, bemerkte, ihn zu sich heranwinkte und ihm eilig zurief:

„Wo stecken Sie denn den ganzen Morgen, Herr Referendar? Wir glaubten, Sie auf unserem Spaziergange in der Stadt irgendwo zu treffen. Ich habe Sie wieder zu uns decken lassen, wenn es Ihnen recht ist. Wir kommen sogleich nach dem Speisesaale.“

Dort hatte die vorsorgliche Dame die Plätze am Ende der Tafel belegen lassen, sodaß man, als Alle erschienen waren, sich sehr behaglich gruppiren konnte. Der Commerzienrath saß obenan, seine Gattin und Alfred Berger an seiner linken, Rosa und Vetter Max an der rechten Seite. Die Commerzienräthin stellte Alfred vor und erzählte rühmend, wie er ihr und der Tochter vom Augenblicke der Ankunft an fortgesetzt die liebenswürdigsten Gefälligkeiten erwiesen habe. Der Commerzienrath machte bald die Entdeckung, daß der junge Mann der Neffe seines besten Jugendfreundes, eines Justizrath Berger sei, und diese glücklich entdeckte Verwandtschaft bildete eine vortreffliche Grundlage für Alfred’s ferneren Verkehr mit der Familie Jung, der er, wie der Commerzienrath versicherte, als Neffe eines Jugendfreundes kein Fremder mehr sei. Die Unterhaltung bei Tisch wurde zwanglos und allgemein. Auch Fräulein Rosa nahm an dem Gespräche Theil, lachte herzlich mit und war überhaupt in so vergnügter Stimmung, daß sie ihren vorherigen Groll gegen Alfred ganz vergessen zu haben schien und ihn über den Tisch hinüber gelegentlich freundlich anblickte. Das wäre nun Alles ganz erfreulich für Alfred gewesen, wenn er sich dabei nicht mit innerer Wuth gesagt hätte, daß diese Umwandelung doch augenfällig erst seit dem Erscheinen des hübschen Vetters eingetreten war. Es blieb ihm indeß jetzt nicht Zeit, viel darüber nachzudenken, denn die Commerzienräthin mahnte zum Aufbruche nach dem Theater.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_506.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2024)