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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 32.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Ueber Klippen.

Erzählung von Friedrich Friedrich.
(Fortsetzung.)


Noch an demselben Tage lief die Kunde, daß der Unterburgsteiner durch Hansel Haidacher geworfen sei, fast durch das ganze Thal hin. Aber sie fand nicht überall Glauben, so sehr auch die Meisten dem großen Bauer eine solche Niederlage gegönnt hätten. Manche hielten es für unmöglich, denn sie kannten David’s überlegene Kraft, Andere glaubten, das Ringen könne kein ehrliches gewesen sein und Hansel werde eine List gebraucht haben, um seinen Gegner zum Sturz zu bringen.

Dem traten freilich Diejenigen, welche Zeugen des Raufens gewesen waren, entschieden entgegen, und selbst die Freunde des Unterburgsteiners mußten zugeben, daß das Ringen ein regelrechtes gewesen sei und Hansel sich keines unerlaubten Mittels bedient habe. Sie mußten auch einräumen, daß David den Heimgekehrten gereizt und zum Raufen aufgefordert habe.

Am wenigsten von Allen freute sich Hansel selbst über den Sieg, denn er wußte wohl, daß er einen schlimmen und unversöhnlichen Feind sich dadurch erworben hatte.

Am Abend zuvor war er heimgekehrt, und der Abend brach wieder herein, als er langsam zu dem Gehöfte seines Vaters, welches in einer Höhe von mehr denn tausend Fuß über der Thalsohle am Berge lag, emporstieg. Der Kopf war ihm vom Weine schwer.

Auf der Mitte des Weges ließ er sich auf einem Felsblocke nieder. Ihm gerade gegenüber an dem Bergabhange lag die große Besitzung des Unterburgsteiners. Wie stattlich sie sich ausnahm! Haus und Stallungen waren neu gedeckt. Sanft abfallende Aecker umgaben das Gehöft ringsum, und er wußte nur zu gut, wie prächtig dort das Getreide wuchs, wie reiche Ernten die Wiesen oberhalb der Besitzung gaben und wie weit der Wald, der zu der Besitzung gehörte, am Berge hinaufreichte.

Dann richtete er den Blick höher hinauf, und hoch oben, fast dem Bergesgipfel nahe, lag der Oberburgstein. Stolz blickte er von seiner Höhe in das Land hinein. Während das Thal tief unten längst im Schatten lag, vergoldete die scheidende Sonne noch die Fenster dort oben. So deutlich sah er sie, daß er die Moidl erkannt haben würde, wenn sie vor die Thür getreten wäre; so nahe erschien ihm das Haus, daß ein lauter, lustiger Jauchzer zu ihm hallen mußte; aber die Kehle war ihm wie zugeschnürt, denn er dachte daran, wie kalt und unfreundlich der Oberburgsteiner seinen Gruß erwidert hatte.

Langsam stieg er den Berg hinan. In dem elterlichen Hause angelangt, plauderte er noch kurze Zeit mit seinem Vater und seiner Mutter, dann legte er sich zur Ruhe. Er war müde. Nicht die Anstrengung des Ringens, sondern die Aufregungen und Eindrücke des Tages hatten ihn erschöpft.

Früh am folgenden Morgen stand er auf. Er schritt durch das Haus in den Stall. Zwei elende, abgemagerte Kühe standen in demselben, der Heuschober war nicht zur Hälfte gefüllt. Was er enthielt, reichte nicht einmal für die beiden Kühe aus. Das Haus war baufällig. Der Sturm hatte einen Theil des Daches fortgerissen und der Schaden war nicht wieder ausgebessert. Langsam schritt er weiter. Seine Mutter hatte ihm vor einem Jahre geschrieben, daß durch einen Bergsturz eine Wiese und ein Stück Feld verschüttet seien, daß sein Vater jedoch hoffe, beide wieder frei zu machen. Er erschrak, als er die Steinmassen, welche Feld und Wiese bedeckten, erblickte, denn so schlimm hatte er es sich nicht vorgestellt. Noch war nichts geschehen, um den Felsschutt fortzuräumen, sein Vater war ja schwach und krank, und hier entsank ihm der Muth und das Vertrauen auf seine eigene Kraft.

Ihn verlangte nach Arbeit. Während der Heimfahrt auf der Eisenbahn hatte er sich ausgemalt, wie er mit kräftiger, frischer Hand eingreifen werde, um das väterliche Gehöft wieder emporzubringen, er traute sich zu, mehr auszurichten, als zwei Knechte – hier stand er vor einer Arbeit, die ihm Bangen einflößte. Es gehörte die Arbeit von Monaten dazu, um nur die Wiese freizumachen, und dann hatte er noch nicht die geringste Sicherheit, daß nicht beim nächsten Regengusse oder im Frühjahre, wenn der Schnee aufging, die oberhalb liegenden Steinmassen Alles wieder verschütteten.

Er ging in den Wald, der seinem Vater gehörte. Den Bestand desselben hatte er nie als einen guten gekannt, aber so gelichtet wie jetzt war er vor zwei Jahren nicht gewesen. Das Herz sank ihm vor die Fuße, denn auf den Wald hatte er seine Hoffnung gebaut, die war nun auch dahin. Sein Vater hatte all die besten Bäume fällen lassen, um die Zinsen der Hypotheken, die auf der Besitzung hafteten, zu decken und das Leben zu fristen. Kein Vorwurf stieg in ihm auf, denn er wußte wohl, daß nur die Nothwendigkeit seinen Vater dazu getrieben hatte; in ihm zehrte nur der Gedanke, wie seine Hoffnung, das Mädchen, welches er so innig liebte, erringen zu können, mit jedem Schritte geringer wurde.

Konnte er jetzt noch wagen, vor den Oberburgsteiner hinzutreten und um die Hand seiner Tochter zu werben? Der Mann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_513.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2024)