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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)


No. 34.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Ueber Klippen.

Erzählung von Friedrich Friedrich.
(Fortsetzung.)


Es war Sonnabend Abend. Hansel hatte mit der Geliebten eine Zusammenkunft verabredet, und als seine Eltern sich zur Ruhe begeben hatten, verließ er das Haus zu dem beschwerlichen Gange. Wohl machte er jetzt einen weiten Umweg, aber er würde zehnmal so weit gegangen sein, um die Geliebte zu treffen.

Und reichlich wurde er für den mühseligen Weg belohnt. Er traf Moidl bereits seiner harrend unter dem Felsen, sie trocknete ihm den Schweiß von der Stirn und schmiegte sich fester an ihn, um ihn zu erwärmen. Dann erzählte sie ihm, wie ihr Vater sie mit jedem Tage mehr dränge, dem Unterburgsteiner ihre Hand zu geben, wie er immer härter gegen sie werde und gedroht habe, sie zu verstoßen.

„Harre aus!“ suchte Hansel die Weinende zu beruhigen. „Er verstößt Dich nicht, und wenn er es thäte, dann weißt Du, bei wem Du Schutz findest. Mein Vater würde Dich mit Freuden in sein Haus aufnehmen.“

„Mein Vater würde mich enterben,“ warf das Mädchen ein.

„Moidl, wär’ das ein so groß Unglück?“ rief Hansel heiter. „Oder glaubst Du, ich rechne auf den Oberburgstein? Von dem Tag, an welchem Du mein wirst, will ich allein für Dich sorgen und meine Ehr’ darein setzen, daß die Leute sagen: des Hansel’s Frau hat es gut, die braucht Keinem nachzustehen. Mach’ Dir keine Sorgen und nimm ein drohendes Wort Deines Vaters nicht zu streng. Ich denk’, wenn Du ausharrst, dann wird David endlich selbst die Geduld verlieren und Dich aufgeben. Es steigt ihm schon jetzt das Blut in den Kopf, wenn seine Freunde ihn fragen, wann die Hochzeit sei. Ich kenn’ ihn auch, das erträgt er nicht lang’, er ist zu hochmüthig, um sich hänseln zu lassen, eines Tags wird er der Sache ein End’ machen und an andre Thür pochen.“

Zweifelnd schüttelte Moidl mit dem Kopfe.

„Ich würde ihm alles Gute wünschen, aber er thut’s nicht,“ entgegnete sie. „Und mein Vater würde seinen Sinn auch dann noch nicht ändern.“

„Doch, Moidl,“ fuhr Hansel fort. „Ein Leid hab’ ich ihm ja nie zugefügt, ich bin ihm zu gering und ich kann ihm nicht zürnen, wenn er mit seiner Tochter höher hinaus will. Das Gehöft meines Vaters ist herabgekommen, wenn er aber sieht, daß es durch mich wieder in die Höhe kommt, wenn er gewahr wird, daß ich keine Arbeit scheue und es weiter bring’, dann wird auch er ein Einsehn haben, denn er weiß, daß hier allein durch Fleiß etwas zu erreichen ist.“

„Du kennst seinen harten Kopf nicht, der bricht, ehe er nachgiebt.“

Trotzdem gelang es Hansel, die Geliebte mehr und mehr zu beruhigen, denn Alles, was er ihr sagte, wünschte ja ihr eigenes Herz.

Es war schon spät geworden, und er kehrte heim. Der Himmel war mit grauen Wolken bedeckt, die den Mond nicht durchdringen ließen, trotzdem war es nicht dunkel, der Schnee leuchtete und ließ ihn deutlich den Weg erkennen. Es begann langsam zu schneien. Er schritt schneller. Noch einmal wiederholte er im Geiste jedes Wort, welches Moidl zu ihm gesprochen hatte. Der Weg führte anfangs durch den Wald, dann zog er sich an einem ziemlich steil abfallenden Abhange zwischen Felsblöcken hin. Er ging langsamer, denn er mußte Obacht geben, daß sein Fuß nicht zwischen Steine gerieth.

Da blitzte es in geringer Entfernung vor ihm auf, und es war ihm, als ob er gleichzeitig einen Schlag auf den Kopf erhalte. Zurücktaumelnd brach er zusammen. Wenige Minuten lag er betäubt da, dann raffte er sich wieder auf, ohne sofort zu fassen, was geschehen war. Mit der Hand griff er nach dem Kopfe, der ihn schmerzte, aber er fühlte keine Verletzung. Es war ihm, als ob er einen Schlag erhalten habe, der ihn noch etwas betäubte.

Zur Gegenwehr gerüstet, blickte er sich um, aber er sah Niemand, es war still ringsnm. Seitwärts lag sein Hut im Schnee, er hob denselben empor, und jetzt erst wurde das Geschehene ihm klar. Der Hut war durchlöchert. Die Kugel, die seinem Kopfe gegolten, hatte denselben nur gestreift und ihn für kurze Zeit betäubt.

Er sah seinen Gegner nicht. Zum ersten Mal in seinem Leben erfaßte ihn ein banges Gefühl. Er trug keine Waffe bei sich. Konnte nicht jeden Augenblick aus sicherem Versteck eine zweite Kugel auf ihn gesandt werden? Sich zusammenraffend sprang er in wilden Sätzen den Abhang hinab. Er dachte nicht daran, wie leicht er zwischen den Felsblöcken stürzen könne. Das Glück war ihm indessen günstig. Ungefährdet langte er im Thale an. Jetzt hatte er nichts mehr zu fürchten. Der Schnee fiel in immer dichteren Flocken nieder. Langsam stieg er zu dem Gehöft seines Vaters empor. Die Gefahr, der er kaum entgangen war, hatte sich lähmend auf seine Glieder gelegt. Der Weg wurde ihm schwer.

Ueber Eins war er nicht einen Augenblick lang im Zweifel:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_545.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2024)