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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

der herrlichsten Gebirgsströme – in der östlichen der Yellowstone selbst, in der westlichen der als Quellarm dem Missouri zuströmende Madison – gewissermaßen den schimmernden Faden bilden, an dem die einzelnen Naturwunderperlen dieses Zauberlandes aufgereiht sind.

Auch eine sichtbare Gebirgsscheide besteht zwischen diesen beiden Parkregionen. Sie erstreckt sich, dem Lauf des Yellowstoneflusses aufwärts folgend, über den 10,600 Fuß hohen Mount Washburne bis zu dem fast ebenso hohen „Elephantenrücken“ im Nordwesten des hier den Fluß entsendenden Yellowstonesees, um sich dann um diesen letzteren herum noch weiter südlich bis zu dem 9800 Fuß messenden Flat Mountain zu schwingen. Ihr gegenüber aber, auf dem Ostufer, erhebt sich eine Gruppe kaum weniger hoher Pics – Mount Langford, Mount Doane, Mount Stevenson – welche den bereits in der Höhe des Rigigipfels liegenden Seespiegel auf allen Seiten mit einer wolkenentrückten, firnenschimmernden Alpeneinfassung umgeben.

7427 Fuß über der Meeresfläche liegend und in seiner von einem unregelmäßig gezackten Maulbeerblatt entlehnten, wechselvollen Gestalt einen Flächenraum von nahezu 400 englischen Quadratmeilen bedeckend, ist der Yellowstonesee von dem halben Dutzend Alpenseen, welche wie krystallene Kleinode über das Wald-, Wiesen- und Bergland des Nationalparks ausgestreut sind, nicht nur der weitaus größte, sondern auch sicherlich einer der schönsten Hochgebirgsseen der Erde.

Und aus diesem 300 und mehr Fuß tiefen, vom ewigen Schnee der umliegenden Bergriesen genährten Fluthenreservoir fließt der Yellowstonefluß majestätisch zu Thal. Ruhig und gemessen strömt er krystallklar und eisigfrisch während der ersten zwölf Meilen seines Laufes durch einen natürlichen Hochpark dahin, welcher im Frühling und Sommer den üppigsten Gras- und Pflanzenwuchs entfaltet, und dem man es in diesem Vegetationsschmuck um so weniger ansehen würde, daß er sich über einem ununterbrochenen Reich vulcanischen Lebens dahindehnt, bräche nicht dasselbe auch hier in der Gestalt unzähliger heißer Quellen auf Schritt und Tritt an die Oberwelt.

Am See wie am Flusse, ja an mehr als einer Stelle bis in das eiskalte Bereich des ersteren selbst hinein, kochen, brauen und qualmen diese Wasser- und Schlammvulcane. Bald sieden sie, winzigen, oft kaum handgroßen Wasserspringteufeln gleich, unmittelbar aus dem Boden heraus; bald erscheinen sie in der großartigeren Gestalt von dampfenden Teichen und Becken mit jenen magischen Azurfluthen und kaleidoskopisch-bunten Niederschlägen, die wir schon bei den Mammuth-Thermen bewundert haben; bald kochen sie in fußhohen Kraterkegeln eigenen Aufbaues empor, in denen sie hier und da sogar die flachen Uferwasser des Sees durchbrechen und über ihre Umrandung hinweg glühende Sturzwellen in das eiskalte Element umher entsenden. Indessen nicht das heiße Gequell des Innern der Erde, sondern der schönste und frischeste aller Hochlandströme ihrer Oberfläche ist der gebietende Held des grandiosen Naturdramas, das sich hier vor uns entrollt.

Die Fälle des Yellowstone und das Grand Cañon! Es ist ein zweimaliger Sturz, den der junge Stromriese vollführen muß, um in die Abgrundtiefen des ersten und ungeheuerlichsten jener vier Cañons zu gelangen, in denen er sich auf einer Laufstrecke von nahezu achtzig Meilen quer durch die ehernen Rippen der Felsengebirge den Weg in die offenen Plains von Montana erzwingt. Den Namen des „Grand Cañon“ hat man diesem Schlunde zum Unterschiede von den drei übrigen Yellowstoneschluchten beigelegt, deren zwei letzte bereits jenseits der Nordgrenze des Nationalparks liegen. Aber wenn es hier auch das einzige Naturgebilde seiner Art wäre, hier oder in sonst einem andern Gebirge der Welt – der Name des „Großen“ wäre ihm doch zugefallen.

Fünfzehn Meilen lang klafft die Schlucht in die Erde hinein, zwischen jäh abstürzenden, von Klippen und Zacken starrenden Wänden, deren Höhe zwischen 1000 und 1800 Fuß wechselt. In der Tiefe aber, wo diese gelb- und rothleuchtenden, hier und da in geradezu unheimlichem Contraste von trotzenden, schwarzen Basaltsäulen und Gesimsen durchbrochenen und getragenen Wandungen spitzwinklig zusammenstoßen, rast der gestürzte Fluß. Wer schwindelfrei genug ist, von einer der scharfen Kanten des Absturzes aus einen Blick in die Tiefe hinunterzuwerfen, vermeint auf dem Grunde eine blaugrün schillernde Silberschlange dahinschießen und zischen zu sehen. Mehr jedoch, als den Blick hinunterzusenden, ist auch dem Schwindelfreiesten nicht gestattet. Selbst nur ein Stück des Absturzes hinabzuklimmen, ist einstweilen kaum unter den größten Schwierigkeiten und auch unter ihnen nur an einzelnen Stellen möglich, obschon versichert wird, daß gleich im Beginne des Schlundes ein Kletterpfad existire, auf dem man unter Zuhülfenahme von Gemsensehnen im Stande sei, sich die ganze Cañonwand hinabzuarbeiten und aus nächster Nähe zu schauen, „was sich birgt auf des Schlundes tiefunterstem Grunde“.

Wer einst diesen Pfad gefunden, hat wohl ein Recht, auf die Unbeirrbarkeit seiner Nerven, die Unfehlbarkeit seiner Muskeln zu trotzen. Und wer ihm nachwandelt, kaum minder. Ist es doch noch keineswegs für ihn damit gethan, daß er nur die Tiefe selbst erreicht. Dort beginnt für ihn der Kampf um einen festen Halt für Fuß und Hand erst recht, dort hat er sich des selber zerschmetterten und darum alles in seinen Bereich Kommende seinerseits wieder zerschmetternden Wildstroms zu erwehren. Nur an die Zacken des unmittelbaren Wasserrandes festgeklammert, oder auf einem der Steinblöcke im Fluß selber Fuß fassend, mag er nach der Oberwelt zurückblicken – denn ein Pfad, ein Uferrand, ein Rastfleck neben diesem rasenden Acheron ist nirgends gelassen. Nichts herrscht dort unten, als er!

Aber er hat auch seinen Preis für diese Herrschaft zu zahlen gehabt. Ein Fluthen-Phaëthon mußte er hinunterstürzen in die grausige Tiefe, damit sie Niemandem gehöre, als ihm, hinunterstürzen in die Nacht des Abgrundes aus den Sonnenregionen des Wald- und Wiesen-Hochthals, welches der krystallgeborene Seesprößling bis dahin durchflossen. Und nicht einmal ein einfaches Phaëthon-Schicksal war dazu hinreichend. Ein zwiefacher Sturz war nöthig, um diese Niederfahrt in die Unterwelt zu vollführen. Kaum eine Meile von einander entfernt liegen die beiden Wasserfälle und sind durch eine sich immer mehr vertiefende Schlucht verbunden, in welcher der Fluß als ununterbrochene Stromschnelle abwärts schäumt, der obere hat eine Höhe von 150 Fuß und der untere, in das Grand Cañon herabstürzende eine solche von 350 Fuß. Nur das Doppelmeer des Niagara-Sturzes übertrifft an Masse des Wassers diese Fälle. An Höhe erreicht selbst er den unteren kaum zur Hälfte. Weithin hallt der Donner der niedertobenden Fluthen. Ein stetes Schleiergewölk steigt, die eigentlichen Geheimnisse des Sturzes verhüllend, aus der Tiefe empor. Seine Feuchtigkeit wird einer üppigen Sommer-Vegetation an den Basalt- und Sandsteinwänden umher zum Lebenselement und wölbt, wenn der Sonnenglanz auf sie niederstrahlt, des Regenbogens Friedensbrücke über all den Vernichtungskrieg der gähnenden Tiefe. Dazu grüßt aus der Höhe ein durch zwei Drittel des Jahres in ungetrübter Bläue strahlender Himmel, von den Rändern des grimmen Schlundes selber aber ein compacter Waldwuchs hernieder, der nicht nur wie ein gigantischer Moosteppich über die schärfsten Kanten quillt, sondern vereinzelte Tannen-Vorposten nach der Tiefe entsendet, wo eben nur die gelben und rothen Geröll-Abstürze einen Platz zum Wurzelfassen gewähren.

Fünfzehn Meilen nach Norden erstreckt sich das Grand Cañon – je weiter von den Fällen fort, um so tiefer, um so mehr seine oberen Ränder einander nähernd, um so schauriger. Ganz aber, als ob Dante Alighieri hier einst den Schatten des Virgil getroffen, um mit ihm die Reise in das furchtbare Reich der Unterwelt anzutreten, schiebt und drängt sich das aufstarrende Felsengemäuer und Klippengezack am Ende des Cañons zusammen, dort, wo dem Yellowstone von Westen her der Wildbach des Tower Creek[1] in Gestalt einer scheinbar aus der Mitte der linken Schluchtwand hervorschießenden Cascade von 150 Fuß Tiefe zuschäumt.

Die Seitenschlucht, in der dieses tolle Wildwasser, fast einen beständigen Fall bildend, aus den ewigen Schneespalten des Mount Washburne herniederjagt, hat ihrer Schauerlichkeit halber den infernalischen Namen „The devil’s denn“ („Des Teufels Spelunke“) erhalten. Um den letzten Wassersturz aber, in welchem sich der Tower-Bach nach dem Yellowstone hinunterschleudert, thürmt sich vulcanisches Gestein in Zinnen, säulenartigen Thürmchen, spitzigen Nadeln und sonstigen Formen von wahrhaft wunderbarer Phantastik auf. Ihr dunkles Zacken- und Rankenwerk drängt dem Beschauer unwillkürlich die Vorstellung auf, daß es der gothische Gestaltungsgedanke war, welcher der Natur vorschwebte,


  1. Creek = Bach.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_571.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2024)