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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

abschlagen. Sie setzten sich also zu ihm und thaten ihm Bescheid, bestellten auch, um des Gegenbescheides willen, eine Kanne Wein, obwohl ihr Zehrgeld nicht darauf eingerichtet war.

„Ihr seid,“ sprach der Rittersmann dann weiter, „Schweizer?“ Er mochte das wohl aus der Mundart, welcher die Beiden sich bedient, schließen. „Woher seid Ihr aus dem Schweizerlande?“

„Von Sanct Gallen!“

„Und wollt –“

„Gen Wittenberg, um allda die heilige Schrift zu studiren.“

„Dort werdet Ihr gute Landsleute finden; den Doctor Hieronymus Schurf und seinen Bruder Doctor Augustin.“

„Wir haben Briefe an sie,“ fiel der Jüngere ein, der sich seither ziemlich schweigsam gehalten und dem Aelteren allein das Wort gegönnt hatte.

Im Scheine der hohen Zinnlampe, welche der Wirth jetzt auf den Tisch stellte, konnte man sehen, daß die Erscheinungen beider Jünglinge sich eigenthümlich gegenüberstanden. Der eine, um mehrere Jahre ältere war von brünetter Farbe, das Gesicht war blaß und ziemlich scharf geschnitten und von einem fast schon männlichen Gepräge; der andere, jüngere war blond, ein wahrer Johannes-Kopf, das Antlitz voll, frisch und rund, fast mädchenhaft. Jener getragen von einem frühzeitigen Ernste, dieser uns befangen und munter in die Welt schauend.

Der Erstere, dessen Wißbegier durch die räthselhafte Erscheinung des Fremden lebhaft angeregt schien, frug nach einer Weile weiter:

„Mein Herr, wisset Ihr uns nicht zu bescheiden, ob Martinus Luther jetzt zu Wittenberg, oder an welchem Orte er sonst sei?“

Darauf antwortete der Fremde mit verhaltenem Lächeln:

„Ich habe gewisse Kunde, daß der Luther jetzt nicht in Wittenberg ist; er wird aber bald dahin kommen.“

„Gott sei gelobt! Denn so Gott unser Leben fristet, wollen wir nicht ablassen, bis wir den Mann sehen und hören. Denn seinetwegen haben wir diese Fahrt unternommen, da wir vernehmen, daß er das Priesterthum sammt der Messe als einen ungegründeten Gottesdienst umstoßen will. Dieweil wir nun von Jugend auf von unseren Eltern dazu erzogen und bestimmt sind, Priester zu werden, wollen wir gern hören, was er uns für einen Unterricht geben will und mit welchem Fug er solchen Vorsatz zu Wege bringen wird.“

Der fremde Reitersmann schwieg auf diese Rede eine Weile, als ob er darüber nachdächte, dann fuhr er fort:

„Wo habt Ihr bis jetzt studirt?“

„In Basel.“

„Wie steht es zu Basel? Ist Erasmus Rotterdamus noch daselbst und was thut er?“

„Wir wissen nicht anders, als daß es dort wohl steht; auch ist Erasmus noch da, was er aber treibt, ist Jedermann unbekannt und verborgen, da er sich gar still und heimlich verhält.“

„Lieber,“ frug dann der Fremde weiter, „was hält man im Schweizerlande von dem Luther?“

„Mein Herr, es sind wie allenthalben mancherlei Meinungen. Manche können ihn nicht genugsam erheben und Gott danken, daß er seine Wahrheit durch ihn geoffenbart und die Irrthümer zu erkennen gegeben hat; manche aber verdammen ihn als einen verruchten Ketzer. Das sind vor Allem die Geistlichen.“

„Ich denk mir’s wohl, es sind die Pfaffen.“

Während dieser Reden hatte der Jüngere voll Neugier das Buch des Reitersmannes heimlich aufgeschlagen und dabei wahrgenommen, daß es ein hebräischer Psalter war. Dann klappte er es schnell wieder zu. Der Reiter aber, der den Dieb wahrgenommen haben mochte, steckte es zu sich und ging hinaus, um, wie er sagte, nach seinem Rößlein zu schauen.

Inzwischen trat der Wirth an den Tisch heran und verrieth den Studenten, daß der, so bei ihnen sitze, der Martin Luther sei. Diese zweifelten jedoch daran und der Aeltere der Beiden wurde durch die Ritterkleidung und das Buch desselben zu der Ueberzeugung geführt, daß es der Hutten sei, der bei ihnen sitze, und so behandelten sie ihn denn hinfort auch als den Ulrich von Hutten.

Inzwischen hatte sich die Zahl der Gäste um zwei weitere Ankömmlinge vermehrt. Es waren zwei Nürnberger Kaufleute, welche die Absicht hatten, nach Naumburg zur Messe zu reisen.

Nachdem sie sich ihrer Oberkleider und der großen Sporen an ihren Reitstiefeln entledigt, nahmen sie ebenfalls Platz an dem Tische, zu dem auch der Reitersmann, der angebliche Luther oder Hutten, wieder zurückgekehrt war. Der eine der Kaufleute zog hierauf ein ungebundenes Buch aus dem Wamse und legte es neben sich auf den Tisch.

„Was ist das für ein Buch?“ frug alsbald der Reitersmann.

„Es ist Doctor Luther’s Auslegung etlicher Evangelien und Episteln, erst neu gedruckt und ausgegangen. Habt Ihr die noch nicht gesehen?“

Da lächelte der räthselhafte Fremde und sprach:

„Sie werden mir, denk ich, auch bald zukommen.“

Darauf trat der Wirth wieder zur Thür Herrin und lud die Gäste ein, sich zum Nachtmahl zu setzen, das indessen eine Magd vorgerichtet hatte.

„Was bringt uns der Speisezettel?“ frug einer der Kaufleute.

„Fleischbrühe mit Brodschnitten, gepökelt Rindfleisch, süßen Brei und Lämmerbraten,“ zählte der Wirth an den Fingern auf.

Da nahm Johannes den Wirth zur Seite und bat, er möge mit ihnen Nachsicht haben und ihnen besonders auftragen. Es genüge ihnen schon ein bescheiden Süpplein.

Da erwiderte der Wirth:

„Liebe Gesellen! Macht Euch keine Sorge, setzet Euch nur zu den Herren an den Tisch. Ich will Euch anständig halten.“

Das hatte auch der fremde Reitersmann gehört. Da trat er heran und rief:

„Kommt nur herzu. Ich will die Zehrung mit dem Wirth schon abmachen.“

Vor dem Beginn des Nachtmahls sprach der Rittersmann ein Tischgebet vor. Dann erging er sich in allerlei herzgefälligen und gottseligen Reden, sodaß die Schweizer und Nürnberger Kaufleute wie andächtig saßen und weit mehr der Reden wie des Essens achteten. Da kam er unter Anderem auch zu reden auf den Reichstag zu Nürnberg, der zu jener Zeit dort versammelt war „wegen Gottes Wortes und der schwebenden Händel mit Rom und der Beschwerung deutscher Nation willen“.

Die Kaufleute erzählten, daß die dort versammelten Fürsten und Herren sich gar wenig Zeit nähmen zu ernstem Thun, sondern ihre Zeit ausfüllten mit kostbarem Turnier, Schlittenfahrt, Tänzen und dem Hoffiren schöner Frauen.

„Das sind also,“ brauste da der Ritter aus, „unsere christlichen Fürsten! Ich meinte wohl, Gottesfurcht und christliche Bitte zu Gott würde ihnen eher zu ihrem Vorhaben verhelfen. Ich bin indessen,“ fuhr er dann mit größter Ruhe fort, „der Hoffnung, daß die evangelische Wahrheit mehr Frucht an unsern Kindern und Nachkommen bringen wird, da diese nicht mehr von dem päpstlichen Irrthum vergiftet, sondern jetzt auf lautere Wahrheit und Gottes Wort gepflanzt werden, als an den Eltern, bei denen die Irrthümer so eingewurzelt sind, daß sie schwerlich ausgerottet werden.“

Da sprach der ältere der beiden Kaufleute:

„Ich bin nur ein einfältiger Laie, verstehe mich auch auf die geistlichen Händel gar nit besonders, das spreche ich aber, wie ich die Sache ansehe: der Luther muß entweder ein Engel vom Himmel oder ein Teufel aus der Hölle sein. Ich hätte Lust noch zehn Gulden ihm zur Liebe aufzuwenden, wenn ich ihm beichten könnte, denn ich glaube, er würde mein Gewissen wohl unterrichten.“

Als das Nachtmahl beendet war, sammelte der Wirth der Reihe herum bei jedem der Gäste das Speisegeld ein. Die beiden Studenten machten dabei etwas verlegene Gesichter und zogen schüchtern ihre ledernen Beutelchen. Der Wirth aber ging mit dem Teller an ihnen vorbei und sagte halblaut:

„Laßt es nur gut sein. Er hat’s für Euch mit berichtigt,“ und dabei zeigte er auf den Rittersmann.

Die Kaufleute stunden denn auf und gingen in den Stall, ihre Rosse zu versehen. So blieben die Schweizer mit dem fremden Ritter allein in der Stube. Sie naheten diesem in Ehrfurcht und dankten dem „gnädigsten Junker“ für die Spende, indem sie ihm dabei merken ließen, daß sie ihn für den Ulrich von Hutten hielten.

„Viele Eurer Schriften, edler Junker,“ fügte Johannes an, „sind auch bei uns in der Schweiz verbreitet, so das Büchlein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_575.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2023)