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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

offenbar die mehrmalige Verwundung Starhemberg’s. Wäre der Mann, Kopf und Herz der Vertheidigung, gefallen, wie wäre das Ende geworden! Eine andere Gefahr erschien mit einer so hartnäckigen Ruhrkrankheit, daß durch sie die an sich schwache Zahl der Kämpfer noch verringert wurde. In dieser Noth erwarb sich der Bischof Kollonitz hohes Verdienst an den Krankenbetten. Auch eine Art Anerkennung dafür ist der Schwur Mustapha’s, ihn, wenn er in seine Hände falle, zu enthaupten und seinen Kopf dem Sultan zu senden. Später sendete man dem Bischof den Kopf des Mustapha, der in der Wiener historischen Ausstellung zur Erinnerung an den Sieg von 1683 zu sehen war; ebenso das Fernrohr, mittels dessen Starhemberg auf dem Stephansthurm die Bewegungen des Feindes zu beobachten pflegte.

Wie immer, wenn ein großes Schicksal die Menschen erhebt, fehlte es auch hier nicht an großherzigen und aufopfernden Zügen.

Nachdem ein Kürassier, welcher durch die Donau schwamm, der Lieutenant Michael Gregorowitsch, welcher bei den Türken gefangen gewesen war, und Jacob Heider, der Diener des im türkischen Lager gefangen gehaltenen kaiserlichen Residenten Freiherrn Kuniz, mit ihren Briefen glücklich in die Stadt gekommen, dann aber mehrere Couriere, die man aus der Stadt an den Herzog von Lotringen gesandt, nicht mehr zurückgekehrt waren, unternahm es der dreiundvierzigjährige Bürger und Kaufmann Georg Franz Koltschitzky, ein geborener Serbe, der lange im Orient gewesen und geläufig türkisch sprach, am 13. August Abends freiwillig in türkischer Kleidung und begleitet von seinem Diener Michailowitsch das Lager zu durchschreiten, er kam über die Donau und brachte dem Herzog seine Briefe. Auf dem Rückwege, am 17. August, wurden sie bei dem Versuche, wieder in die Stadt zu gelangen, von den Türken überrascht, konnten aber noch rechtzeitig die Palissaden übersteigen. Da Koltschitzky erkannt war, durfte er den gefährlichen Gang nicht wieder wagen; aber Michailowitsch unternahm ihn noch dreimal, scheint aber doch bei dem letzten Wagstück umgekommen zu sein, denn man hat später nichts mehr von ihm gehört.

Wenn die Wiener ihre Mauern und mit ihnen ihre Lieben und ihr Leben, trotz der furchtbarsten Noth und steigenden Drangsal noch mit der Aussicht auf Erlösung vertheidigten, so geschah auf dem platten Lande der Kampf gegen die blut- und beutegierigen Bedränger mit dem Mute der Verzweiflung. Nur im Norden der Donau hatte das Volk des offenen Landes in der Armee des Herzogs von Lothringen einigen Schutz; im Süden, wohin jetzt kein Soldat kam, mußten Bürger, Bauern und Mönche ihre Städte, Dörfer und Klöster elligst durch Verhaue wenigstens gegen die Streifzüge mordender und plündernder Horden zu decken suchen, und oft thaten sie es nicht ohne Erfolg. Noch häufiger aber wurden sie die Opfer der entmenschten Asiaten. Nicht weniger als 30,000 Landbewohner Oesterreichs sind damals von Türken und Tataren ohne Kampf niedergemacht und 40,000 in die Gefangenschaft geschleppt worden.

Bis zum 1. September waren die sehr kunstvoll angelegten türkischen Laufgräben ohne Erfolg gewesen, und die mit höllischer Musik und betäubendem Allahgeschrei vollführten Stürme mit fast übermenschlicher Tapferkeit abgewiesen worden. Am 3. September aber fiel der dreiundzwanzig Tage lang heldenmüthig verteidigte Burg-Ravelin in die Hände der Janitscharen, die freilich bei dieser Arbeit Tausende ihrer Mordbrüder verloren.

Nun war die Gefahr zu erschreckender Höhe gestiegen, die Gräben und Palissaden mußten in jener Gegend in die Straßen der Stadt verlegt und konnten offenbar nicht mehr lange gehalten werden, wenn nicht baldigst Hülfe herannahte. Am 4. September explodirte eine Mine an der Spitze der Burgbastion mit solchem Krache, daß die halbe Stadt erzitterte und Tausende von Feinden mit wildem Jubelgeheul antworteten. Die Türken kletterten bereits über den Schutt der Mauer hinauf, des Geschoßhagels nicht achtend, der auf sie niederprasselte; es wurde anderthalb Stunden verzweiflungsvoll gerungen und schon wehten Roßschweife auf der Bastion. Da erschien Graf Starhemberg selbst mit seinem ganzen Stabe an der Spitze der Reservetruppen und stürzte die bereits siegestrunkenen Barbaren mit gewaltiger Hünenkraft über die Mauertrümmer hinab in den Graben. Tag und Nacht arbeiteten nun alle Hände, Männer und Weiber, an der Ausfüllung der Bresche. Aber schon am 6. September führte eine neue springende Hauptmine an derselben Stelle einen neuen Sturm herbei, und auch dieser wurde glücklich abgeschlagen und hat 1500 Türken und nur 100 Christen das Leben gekostet.

Noch nie hatten die Türken so wüthend die Stadt beschossen und bestürmt, wie an diesen und den noch übrigen Tagen der Belagerung; denn Zweierlei war ihnen klar geworden: einmal, daß sich die Stadt nicht mehr lange halten könne, und zweitens, daß der Entsatz herannahe, und daß sie diesem zuvorkommen müßten, wenn sie Wiens Herr werden wollten.

Jetzt war der Augenblick der höchsten Noth für die edle Stadt gekommen! Und gerade in diesen schwersten Tagen mußte (am 10. September) der Tod den Mann rauben, welcher neben dem Commandanten von unschätzbarem Werth, ein unersetzlicher Verlust für Alle war, den Bürgermeister Liebenberg! Er sollte die Befreiung seiner Stadt nicht mit erleben!

Da nahte aber auch die Hülfe und Rettung.

Schon am 11. September bemerke man von den Thürmen der Stadt aus im Lager ein geschäftiges Hin- und Herrennen; Pferde wurden gesattelt, Kameele bepackt und Reiter zusammengezogen. Die Türken hatten sichere Kunde erhalten von dem Herannahen des Entsatzheeres, und des Wütherichs Kara Mustapha Hochmuth befand sich am Vorabend des jähen Falles.

Herzog Karl von Lothringen hatte am 24. August bei Bisamberg eine Abtheilung der Türken glänzend geschlagen, ein Ereigniß, das die Stadt, in welche, trotz aller Absperrung, diese Nachricht gedrungen war, als den ersten Hoffnungsstrahl mit Jubel begrüßt hatte. Und nun rückten, Fahnen um Fahnen, die Entsatztruppen an. Schon vor jenem Treffen waren die Baiern angekommen, geführt vom Kurfürsten Max Emanuel und dem F.-M.-L. Freiherrn von Degenfeld, und bald nach ihnen die Salzburger, Württemberger und Franken unter dem Reichsmarschall Fürsten von Waldeck. Ohne einen besonderen Vertrag mit dem Kaiser abzuwarten, zogen die Sachsen unter dem Kurfürsten Johann Georg dem Dritten heran und waren am 5. September in der Nähe Wiens. Die Polen, deren Anmarsch durch die Schwerfälligkeit ihrer Regierung und französische Ränke verzögert war, standen am 30. August in Nikolsburg, und am 31. hatte der ritterliche König Johann Sobieski die erste Zusammenkunft mit Herzog Karl bei Oberhellabrunn. Am 3. September schlug der König sein Hauptquartier bei Tulln an der Donau auf. Es folgten schließlich noch kaiserliche Truppen, die zerstreut im Reiche und den Erbländern gestanden hatten. Und nun übernahm den Oberbefehl der König von Polen.

Das Heer der Befreier überschritt die Donau und lagerte auf der Ebene bei Tulln. Es teilte sich in das Corps de bataille unter dem Kurfürsten von Baiern und dem Fürsten von Waldeck, den linken Flügel unter dem Herzog Karl von Lothringen und dem Kurfürsten von Sachsen, und den rechten Flügel unter dem polnischen Großfeldherrn Fürsten Jablonowski. Die Angaben über die Stärke des Entsatzheeres schwanken zwischen 65,000 und 83,000 Mann. Bei demselben befand sich als junger Officier der spätere Kriegsheld Prinz Eugen von Savoyen.

Kara Mustapha hatte dem Entsatzheere, das nun über den Kahlenberg heranzog, noch über 100,000 Mann entgegenzustellen, nachdem er über 30,000 Mann in den Laufgräben vor Wien zurückgelassen hatte; es waren Türken, das heißt Orientalen verschiedener Abkunft aus Europa, Asien und Afrika, neben ihnen Tataren, Ungarn, Siebenbürger, Walachen, Moldauer als Vasallenheerhaufen; Tököly befand sich mit etwa 30,000 Mann zu ihrer Unterstützung in Ungarn.

Kara Mustapha teilte sein Heer ebenfalls in drei Theile; das Mitteltreffen führte er selbst, den linken Flügel Pascha Ibrahim von Ofen, den rechten Pascha Kara Mehemed von Diarbekir, und so erwartete er seinen Gegner auf den Höhen zwischen Nußdorf und Dornbach.

Endlich erschien der 12. September, der Tag der Entscheidung. Noch am Tage zuvor waren die Truppen, nach Möglichkeit, in ihrer Ausstellung vorgedrungen, aber mit unsäglicher Mühe, denn ein anhaltender Regen hatte die Wege grundlos gemacht und die Waldwasser waren angeschwollen. Dennoch gelang es fünf sächsischen Bataillonen den Gipfel des Kahlenbergs zu ersteigen und, durch Oesterreicher verstärkt, bei der Leopolds-Capelle drei Geschütze aufzustellen. Diese drei sächsischen Kanonen brachten der Stadt den ersten Gruß der nun sicheren Hülfe, und gewiß ist nicht oft ein Kanonendonner mit solchem Jubel begrüßt worden, wie dort von den Tausenden in höchster Noth.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_598.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)