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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)


In frommer Sammlung schreitet die Gemeinde zur Kirche – aber von den Kleinen hat doch die Eine mehr Gedanken für ihren duftenden Blumenstrauß und der Andere mehr für ein Vögelchen, das rechts im Laub zwitschert, als für die Predigt, die ihrer harrt. Wir aber, die wir diese kleinen „Schwächen“ bemerken, glauben nun denen, die ernst und fromm erscheinen, viel eher – ja, wir haben jetzt erst daran unsere volle Freude, denn wir wissen: der Mann, der sie so geschildert, ist wahr.

Ganz und gar aus dem deutschen Volksherzen herausgewachsen ist auch Ludwig Richter’ s Humor. Ich kann auch auf ihn, der fast in Alles leise hineinklingt, nicht im Einzelnen hinweisen – an Einiges möcht’ ich doch erinnern – nicht an das Derb-Komische, das ja auch dem flüchtigsten Blicke sofort auffällt! Kann es aber eine liebenswürdigere Schalkheit geben, als auf jenem merkwürdig seelenvollen und in’s Feinste durchgeistigten Bilde vom „Kleinhandel“ der Contrast zwischen der sorgsam abwägenden Käsefrau im Vordergrunde und der halbdunklen Brunnenfigur im Hintergrunde, die mit verbundenen Augen als Justiz die Wage der Gerechtigkeit emporhebt? Und wer möchte nicht über den Hund dort lächeln, der dem naschenden Spatzen auf seinem Futternapf behaglich zuguckt, indeß ein drohendes „Ich beiße“ auf seiner Hütte steht? Oder über den ehrlichen Nachtwächter auf dem „Johannisfest“, diese Verkörperung des Philisteriums, auf dessen urnüchterner Filzmütze ein paar riesenmäßige Rosen duften? Das sind so feinempfundene Züge, daß der größte Poet sich ihrer nicht zu schämen brauchte.

Da aber, wo sie sich finden, verleihen sie unmittelbarste Lebenswahrheit. Und noch kommt hinzu, um diese letztere zu bilden, daß wir bei Richter niemals etwas Gestelltes oder Arrangirtes wahrnehmen, niemals ein Modell. Er hat in der That auch keine anderen gebraucht, als jene, die er nach dem redlichen Lernen seiner Werdezeit im Kopfe, und zwar so gut im Kopfe hatte, daß sie nicht blos darin, wie einst in seinen Augen, standen, daß sie in seinem Kopfe auch lebten, lachten und sprachen, wie’s ihr Meister wollte. „Hatte ich ein Bürschchen unter dem Bleistift,“ sagte Richter einmal zu mir, „so verstand sich’s für mich ganz von selbst, daß es eben nur so einen Kittel und gerade so eine Hose anhaben mußte, und keine andere.“ Und an dieser Kraft der inneren Anschauung liegt’s eben auch, daß in unseren Bildern stets Alles bei der Sache ist. Dies geht bis auf’s Ornament, das bei Richter nie ein todter Rahmen ist. Es redet immer mit in die Geschichte hinein und macht sozusagen seine Randbemerkungen dazu.

Es ist wahr, der moderne Mensch, der in der Geisterschlacht unserer Zeit vorn in erster Linie mitkämpft, wird sein volles Leben in Richter’s Bildern nicht finden. Die Darstellung jenes höchsten Seelenringens, das, immer nur auf Wenige beschränkt, darum nicht minder ein Anrecht auf künstlerische Gestaltung hat, das eines GoetheFaust“, eines Kaulbach Wandgemälde zur Weltgeschichte durchgeistigte, ward von Richter nicht erstrebt – er wollte zeigen, „was Jeder einmal erlebte“. Es wäre trotzdem von Grund aus irrig, deshalb seine mächtige Bedeutung schmälern zu wollen. Ein Goethe war auch darin groß, daß er denen, die über der Mehrheit ihres Volkes standen, das Liebenswürdige und Schöne dort zeigte, wo sie es vielleicht sonst wenig beachtet hätten. Und darin ist auch Richter groß. Für immer werden ihm auch die „obersten Zehntausend“ dafür Dank schulden, daß er ihnen mit beredtem Stift das Gute und Schöne zeigte, das ihre verwöhnten Augen sonst vielleicht unter dem „Staub der Alltäglichkeit“ nicht gesucht und gefunden hätten.

Unserem Volke aber – dem großen ganzen Volke – wurden Richter’s Bilder zum Zauberspiegel, der ihm sein eigenes Bild verklärt zurückstrahlte. Es erkannte sich selbst, doch an seinem Besten erkannte es sich. Und dieses Beste ward gekräftigt, indem es stärker und stärker bewußt ward. Das ist Richter’s Bedeutung als Volkserzieher. Indem er schlicht seine eigene reine Menschlichkeit gab – sie, die in all ihrer Tüchtigkeit als die Verkörperung seines besten Theils aus dem Volke selbst herausgeboren ward – lehrte er sich und in sich eben jenen besten Theil dessen lieben, was in Allen war. Dem Lehrer aber danken wir am meisten, der uns nicht fühlen läßt, daß er lehrt, der das Gute in uns zu wecken, der dem Erwachten, wenn es gekräftigt, die rechten Wege vor’s Auge zu führen weiß, ohne sich mit gewichtiger Miene als Schulmeister zu präsentiren. Das ist der Grund von Richter’s beispielloser Popularität.

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Wir sind am Schlusse. Möchten meine Worte auch ihrerseits ein wenig dazu beitragen, daß unseres Volkes Liebe zu seinem Künstler nicht erkaltet! Möchte Richter’s Kunst auch dort immer wärmere Aufnahme finden, wo sie bisher nur wenig ihrer friedenbringenden Blätter ausgestreut, möchte insbesondere ihre Perle, die köstliche Sammlung „Für’s Haus“, bald auch in jedem Hause des Vaterlandes zum Familienschatze werden! –

Du aber, lieber Meister, der du, wie du’s einmal niederschriebst, „halbtaub, halbblind, aber in Gott zufrieden“ deine Tage nun in ruhiger Feierabendstille dahinlebst, sieh keine Anmaßung darin, wenn Einer der Jüngeren hier, wo eine Million Deutscher ihn hört, in ihrem Namen dir danken zu dürfen glaubt. Du hast unser Volk wie Wenige geliebt – möge es dein Greisenalter verschönen, daß es dich liebt, wie Wenige. Wenn aber dereinst auch jene, die jetzt dir am nächsten stehen, dir nicht mehr in’s Auge schauen dürfen: dein Geist wird in deiner Kunst fortleben und fortwirken, so lange wir seiner werth sind!




Das National-Denkmal auf dem Niederwald.

Von Ferdinand Hey’l.
1.00Anregung und Vorbedingungen.

Die Freiheit sei der Stern!
Die Losung sei der Rhein!
Wir wollen ihm auf’s Neue schwören;
Wir müssen ihm, er uns gehören;
Vom Felsen kommt er frei und hehr,
Er fließe frei in Gottes Meer!
Max von Schenkendorf.

Noch war der Jubel des letzten nationalen Krieges über die glücklichen Erfolge nicht verhallt, nach drangen die Trauerkunden schmerzlicher Verluste in die Familien, in Dorf und Stadt der Heimath, als sich auch schon aller Orten das Bestreben regte, den gefallenen Helden jenes aufgenöthigten Kampfes ein sichtbares Denkmal der Erinnerung zu weihen. Jedes Dörflein schickte sich an, das Angedenken an seine Gefallenen in einem Denksteine zu ehren, und Kunde dessen sind heute die zahlreichen Monumente, welche rings im deutschen Vaterlande für lange Zeit hinaus von den Thaten unserer Söhne in Waffen erzählen.

Noch bevölkerten die französischen Gefangenen die Lager in den Festungen, auf dem Lechfelde und in unseren offenen Städten, und in Frankreich wütheten die selbstmörderischen Kämpfe der Commune, während wir – erstarkt in dem Gedanken der endlichen Einigung der deutschen Stämme – nach einem sichtbaren Ausdrucke, nach einem Wahrzeichen suchten, das unauslöschlich nicht allein unseren Sieg im Kampfe feiern, sondern zumeist die „Wiederaufrichtung des deutschen Reiches“ den kommenden Geschlechtern eindringlich kund thun sollte.

Nur schüchtern wagten sich die ersten Vorschläge an das Tageslicht. Jetzt, in den Tagen der Enthüllung des nach zwölfjähriger Thätigkeit endlich vollendeten Denkmals, ist es ein wohlbegründetes Recht der „Gartenlaube“, eine kurz gedrängte Geschichte der Entstehung des Denkmals ihrem zahlreichen Leserkreise vorzuführen; war es die „Gartenlaube“ doch zunächst, welche einem größeren Theile des deutschen Volkes den Gedanken der Errichtung eines gemeinsamen Denkmals durch Wort und Bild nahelegte. –

In Münster im Westfalenlande wurde bei Gelegenheit der Feier des Geburtstages des Kaiser-Königs Wilhelm am 22. März 1871 der Gedanke zuerst ausgesprochen, einen Denkstein zur Erinnerung an die Erhebung des deutschen Volkes zu schaffen. Fast gleichzeitig traten in ähnlicher Bestrebung Bewohner von Bonn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_616.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)