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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

ersten Male die gesammte Idee dem größeren Publicum vor Augen, und von diesem Augenblicke an dürfte auch die allgemeinere Theilnahme des deutschen Volkes für die Angelegenheit zu rechnen sein.

Fast gleichzeitig erschien (im Februar 1872) ein Concurrenzausschreiben, gerichtet an die Künstler Deutschlands, „welches ihrer Wahl die Bestimmung des künstlerischen Charakters des Entwurfs, Plastik oder Architektur oder eine Verbindung beider“, frei überließ. Um die Uebernahme des Preisrichteramtes waren die Professoren Drake und Eggers in Berlin, Hähnel in Dresden, Lübke in Stuttgart, Oberbaurath Professor Schmidt in Wien, Oberhofbaurath Professor Strack in Berlin und Professor Zumbusch in München gebeten worden. Als Termin für die Einsendung der Modelle oder Zeichnungen wurde der 1. September 1872 festgestellt. Die Preise waren nicht eben hoch und beliefen sich für den besten Entwurf auf 3000 Thaler, beziehungsweise auf die Ausführung des Denkmals „innerhalb der durch die verfügbaren Mittel gezogenen Grenzen“, der zweite und dritte Preis waren auf 1000 und 500 Thaler bestimmt.

Indessen die Mittel flossen für den vaterländischen Zweck nicht allzu reichlich. Köln brachte zwar in einer ersten Versammlung nahe 3000 Thaler auf, Krupp in Essen, von Kramer-Klett in Nürnberg gingen mit gutem Beispiele voran, die Darmstädter Bank, die Aachen-Münchener-Feuer-Versicherungsgesellschaft, die Hessische Ludwigsbahn, die Rheinische Eisenbahn und die Taunusbahn, die deutschen Landsleute in St. Petersburg waren unter den ersten Stiftern, das Comité aber sah sich genöthigt, um die Angelegenheit mehr in Fluß zu bringen, im ganzen deutschen Vaterlande Localcomités zu bilden und 1638 Vertrauensmänner zu erwählen, die in allen Provinzen und Städten der Heimath sich der Sammlung liebevoll annahmen. Aber auch in dem Auslande regte sich deutscher Sinn für die gemeinsame Aufgabe.

Mittlerweile waren die Entwürfe (26 architektonische und 11 plastische) in Berlin eingeliefert, von denen jene der Architekten A. Pieper und H. Eggert und des Bildhauers Johannes Schilling den Preis davon trugen. Aber – sie überstiegen den ausgesetzten Kostenbetrag! Eine neue Concurrenz unter den Auserwählten entsprach ebenfalls den Vorbedingungen nicht, und endlich wurde Meister Schilling mit einem endgültigen Entwurf beauftragt, der nach Vollendung allseitig den Anschauungen entsprach, und der nunmehr tatsächlich zur Ausführung gekommen ist.

„Das gewaltige Schwert des streitbaren Weibes ist zur Ruhe gestellt, nicht geschwungen, den von ihm erkämpften Frieden andeutend; die ganze Gestalt athmet Adel, Milde, während aus dem edlen Antlitz hohe Begeisterung aufleuchtet. In der erhobenen Rechten ruht die mit Lorbeer umwundene Reichskrone, das glorreichste Resultat des heißerfochtenen Sieges, die Wiedererrichtung eines deutschen Kaiserreiches symbolisirend!“

Dies der Grundgedanke, welcher den Meister bei seinem Entwurfe leitete.




Die Belagerungsübung bei Graudenz im August 1883.

Die Manöverübungen unserer Armee werden von dem größten Theile des Volkes mit dem regsten Interesse verfolgt; hängt doch von unserer Kriegsbereitschaft die Freiheit des Landes ab und rücken doch Hunderttausende wackerer Bürger jahraus jahrein in’s Feld, um sich im kriegerischen Dienste zu üben. Trotzdem wirken die Beschreibungen der gewöhnlichen Feldübungen, der sich regelmäßig wiederholenden Kaiser- und Corpsmanöver auf die große Masse der Leser ermüdend. In unserem heutigen Artikel aber soll Allen insofern etwas Neues geboten werden, als sich die im August abgehaltene Belagerungsübung vor Graudenz auch auf einen völlig durchgeführten Minenkrieg erstreckte, wie ein solcher seit der Belagerung von Sebastopol in der Kriegsgeschichte sämmtlicher Völker unserer Erde nicht mehr vorgekommen ist.

Die auf dem rechten Ufer der Weichsel gelegene Festung Graudenz, seit Jahren das Uebungsobject der deutschen Pionniere, ist ein Werk des großen Königs Friedrich, welcher im Jahre 1776 den Bau des Platzes an Ort und Stelle persönlich anordnete und auch die ersten Entwürfe hierfür mit eigener Hand ausstellte und zeichnete. Die formidable Festigkeit des Platzes überstand, unterstützt von der bewundernswerthen Energie des Commandanten, General L’homme de Courbière, die Stürme der Jahre 1806 und 1807, und die Mauern, die Wälle tragen noch heute ihr stolzes Haupt hoch aufgerichtet in dem Bewußtsein, einst den ihnen gestellten Anforderungen in jeder Weise genügt zu haben.

Nach kaum hundert Jahren mußte jedoch die Bedeutung der Festung Graudenz den Ansprüchen moderner Kriegführung weichen, sodaß der Platz seit dem Jahre 1873 nicht mehr zu den deutschen Festungen zählt, sondern dem Verfalle überlassen nur noch als ein Uebungsobject für die Artillerie, den Sappeur und Mineur dient. Jedoch nur ein Wink unseres deutschen greisen Heldenkaisers ist erforderlich, und die von Friedrich dem Großen den todten Mauern eingehauchte Kraft wird sich von Neuem entfalten, und in Verbindung mit moderner Kriegskunst aus dem alten Graudenz einen Waffenplatz hervorzaubern, der sich den Festungen Königsberg und Thorn würdig an die Seite stellen und unsern Gegnern ein zweites Plewna werden wird.

Verrathen wir deshalb von den Festungsbauten nicht mehr, als zum Verständnisse unserer weiteren Darstellung erforderlich ist. Die uns Deutschen innewohnende militärische Phantasie dürfte wohl bei allen Lesern im Stande sein, die beigegebene Skizze soweit zu vervollständigen, um das zuvor Angedeutete zum vollen Bilde ergänzen zu können. Es sei nur noch gesagt, daß die Festung Graudenz auf einem die Weichsel um achtzig bis hundert Meter überhöhenden Plateau liegt, von dem sich eine Aussicht genießen läßt, welche der von dem Ufer des Rheins aus erblickten in keiner Weise nachsteht, und daß es sich unter der Pflege und Fürsorge der schönen Frauen der Provinz Preußen ebenso gut leben läßt, wie unter der Obhut der liebenswürdigen Anwohnerinnen unseres andern Grenzstroms im Westen, des Vater Rheins. Alldeutschlands Frauen sind in der Sorge für die Vaterlandsvertheidiger überall von dem gleichen Sinne beseelt. –

Nachdem schon ein kleines Vorcommando in den letzten Wochen des Juli in Graudenz von Danzig her eingetroffen war, um die erforderlichen Vorarbeiten für die Durchführung der Belagerungsübung vorzunehmen, namentlich die Depots zu formiren, die Minengänge der Festung in Holz weiter auszubauen und zu vervollständigen, fanden sich am 30. und 31. Juli auch die weiteren für die Uebung bestimmten Truppen ein. Am 1. August Morgens fand – leider bei strömendem Regen – eine Parade dieser zehn Pionnier-Compagnien statt, welcher sich bereits Mittags, und zwar bis zum 8. August, alle diejenigen pionniertechnischen Arbeiten anschlossen, die einer Belagerung sowohl seitens des Angreifers wie der Verteidigung voranzugehen pflegen.

Gleichzeitig mit diesen Arbeiten, welche namentlich in der Anfertigung von Sappenkörben, Faschinen von Seiten des Belagerers, in der Armirung der Festung – Anlage von Palissiadirungen und sonstigen Hindernißmitteln, Aufstellen von Blockhäusern etc. – von Seiten des Verteidigers bestanden, wurden die ersten Stadien der Belagerung von einem Theil der hierzu commandirten Infanterie-, Artillerie- und Ingenieurofficiere theoretisch, das heißt auf eine applicatorische Weise, durchgeführt, indem die einzelnen Momente, wie z. B. Berennung und Einschließung, Anlage der Batterien, im Terrain besprochen und hierbei aufstoßende Fragen derartig schriftlich bearbeitet wurden, daß das Ergebniß der angestellten Betrachtungen in Form eines Befehls gebracht werden mußte, wie dergleichen von den einzelnen Ressorts für den Ernstfall zu geben sein würden, um den Erfolg der beabsichtigten Unternehmungen bis in das kleinste Detail zu sichern.

Es läßt sich ohne weitere Specialkenntniß der militärischen Verhältnisse schließen, daß eine derartige Uebung höchst lehrreich und von großer Bedeutung für die Ausbildung derjenigen Officiere sein muß, welche vielleicht einst berufen sein können, vor oder in einer Festung zu stehen, um diese entweder in Besitz zu nehmen oder unserem Reiche zu erhalten.

Die applicatorische Uebung schloß mit der Durchführung der engeren Einschließung des Kernwerkes des Platzes und mit dem Festsetzen des Angreifers auf dem Festungsplateau, unter gleichzeitiger Annahme aller artilleristischen Maßregeln, welche für die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_619.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)