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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

nur ein Ritter war.“ – Für sie war sein Verlust unersetzlich; mit ihm war Einheit in die Stämme gekommen, mit ihm entwich die Einheit. Die Gesammtvertheidigung wurde nicht fortgesetzt, mit den Einzelnen wurde Cäsar leicht fertig, Finis Galliae!

Es war eine Schuld der französischen Nation, die Napoleon III. einlöste (ihm verdankt überhaupt Frankreichs Geschichtsforschung vieles), daß er nach den Ausgrabungm Vercingetorix das schöne Denkmal setzen ließ. Wie das unseres glücklicheren deutschen Römerbekämpfers Hermann ist dieses Kunstwerk Meillet’s auch aus Kupfer getrieben. Napoleon ließ darunter schreiben: La Gaule unie formant une seule nation animée d’un même esprit peut défier l’univers. Vercingétorix aux Galois assemblés. Caes. de bell. Gall. l. VII. c. XXIX. Napoléon III. empereur des Francais à la mémoire de Vercingétorix[1] – Worte, die Cäsar an obiger Stelle als von dem großen Arverner beim Aufruf zum Kampfe gegen den Landesfeind zu seinen Landsleuten gesprochen überliefert hat.

So gleich ist sich das Volk in seiner Sprechweise geblieben; dieselben Zeilen könnten in Aufrufen Carnot’s, des ersten und dritten Napoleon, Gambetta’s, Victor Hugo’s stehen. Die Statue ist zugleich ein Denkmal Napoleon’s: zur Zeit seiner größten Macht, als er befahl, daß sie entstehe, dachte er wohl kaum daran, daß er, geschmäht von dem Volke, das damals sein vive l’empereur erschallen ließ, auf fremder Erde sterben würde, daß das Nachbarvolk, das er schwach zu erhalten bestrebt war, erstarken und, selbst durch Blut und Eisen geeinigt, „das vereinigte Gallien“, das es leichtfertig herausgefordert, niederwerfen würde, alle wie ein Mann, selbst die jüngsten mit. Ein solcher jüngster, ein Schulcamerad von mir, der zum Neid der andern, die das Unglück hatten für „zu jung und schwach vermeint“ zu werden, die Bänke der Unterprima hinter sich lassen durfte, um in den heiligen Krieg zu ziehen, war als Patrouillenführer in einer Winternacht an diese elastische Stätte verschlagen worden. Als er vom Thale aus die Riesengestalt bemerkte, die sich von den breiten Linien des Horizonts am Nachthimmel abzeichnete, fragte er den beholzschuhten Bauer, der in sanftem Zwang die Prussiens durch das schneebedeckte Land führte, was das sei.

„Ah, monsieur, voilà le Vercingétorix“ war die Antwort, mit welcher die Tertianerschulstube sich dem jungen Vaterlandsvertheidiger wieder in mächtiger Erinnerung aufdrängte, zu ungewöhnlicher Stunde, an noch ungewöhnlicherem Orte.

Ich hatte mich längere Zeit hindurch so ganz in die Vergangenheit zurückversetzt, daß herankommende Schritte mich unangenehm aus meinen Phantasien, erfüllt von „Schild- und Schwerterschall, Kampfgeschrei und Toben“ hochgewachsener Gallier und behender Legionäre, aufschreckten. Ich erhob mich; die sich näherten, waren zwei geistliche Herren, ein älterer und ein jüngerer. Sie waren sichtlich erstaunt mich mit Karte und Buch hier zu treffen; um ihnen das Erstaunen zu benehmen, fragte ich nach dem, was mir von der Oertlichkeit noch unklar geblieben. Auf’s Bereitwilligste gab man mir Auskunft; besonders der ältere, wie sich später bei gegenseitiger Vorstellung herausstellte, Mr. l’Abbé L., Chanoine von Dijon, der früher Pfarrer in der Nähe von Alise war, hatte sich selbst auf’s Eingehendste mit der Localität beschäftigt und war eine Autorität bei den Ausgrabungen gewesen. Er gab mir schließlich die Adresse eines Mr. Perney, der das Museum unter sich habe. Wir trennten uns; nach einem Abschiedsblicke auf Vercingetorix stieg ich abwärts und bog nach Süden um das Plateau, um in das Dorf zu kommen. Dieses liegt, theilweise förmlich angeklebt an die steilabfallenden Felswände, an dem Südwestabhange des Mont Auxois und scheint wohlhabend zu sein. Mr. Perney war leider nicht zu Hause; an seiner Stelle zeigte mir ein weiblicher dienstbarer Geist das „Musée“. Diese stolze Aufschrift trägt ein kleines Gartenhaus, welches in einigen Glaskästen Reste von Waffen, Münzen, Gefäßen, menschlichen Gebeinen enthält; den Löwenantheil der Ausgrabungen hatte seiner Zeit die Sammlung in St. Germain erhalten.

Nachdem ich eine Erfrischung eingenommen, und zwar auch wieder Bier (aus Dijon) in dem Weinlande, stieg ich die andere breite Straße des Ortes hinan. In einem kleinen Kramladen bei einer alten Frau fand ich unter Heiligenbildern (ich glaube, in Alise existirt ein wunderthätiges) die Photographie der Statue des stolzen Galliers, deren Holzschnittwiedergabe diesen Artikel ziert. Beim Heraustreten hatte ich die Freude wieder, diesmal allein, Mr. le Chanoine zu begegnen; der liebenswürdige Greis ließ es sich nicht nehmen, mich zu führen. Er ging mit mir nach Osten längs des Südabhangs, wo die Felsen des Plateaus am steilsten sind und wo die Gallier sicher keine Mauern brauchten. Er zeigte mir da ein wohlconservirtes gallisches Grab und knüpfte im Laufe der Unterhaltung längere Reflexionen an die Katastrophe von Alesia, indem er meinte, daß jetzt, „zwischen christlich-katholischen Völkern“ wohl nicht mehr die unnützen Esser einer belagerten Stadt zum Hungertode zwischen zwei feindlichen Wällen verdammt würden, und daß man tapfere Feinde jetzt nicht mehr hinrichte, wie er an Abd-el-Kader bewies. Auf dem Rückwege erzählte er mir, er weile zur Cur in dem Spitale des Dorfes; hier sei eine Heilquelle gefaßt, deren Kraft das Volk besonders rühme, weil das Wasser durch die Asche verbrannter Städte fließe. Er bedauerte sehr, mir andern Tages die Reste der Umwallungslinien im Thale und auf den umliegenden Höhen nicht zeigen zu können, nachdem ich ihm gesagt, daß meine Zeit beschränkt sei. Ich dankte ihm für seine Freundlichkeit und schied mit den herzlichsten Worten, die mir mein Französisch eingab: „Ich bin glücklich, daß ich einen Franzosen gefunden habe, welcher einen Deutschen nicht als ein Ungeheuer ansieht,“ was mir ja mehrfach begegnet war.

Mit raschen Schritten eilte ich, da es dunkel wurde, les Laumes zu. Hier saß die Gesellschaft von Mittags gerade wieder beim Diner. Frech geworden durch meine sprachlichen Erfolge des Nachmittags, nahm ich lebhaften Theil an der Unterhaltung, suchte den Herren die Meinung beizubringen, daß es doch das Beste sei, wenn Franzosen und Deutsche jetzt, nachdem Jeder habe, was ihm gebühre, sich in Frieden ließen, und daß ich besonders kein Spion, sondern nur aufgestiegen sei, um ihren großen Vorfahren Vercingetorix zu besuchen. Einen kleinen Erfolg glaube ich in der Sache davongetragen zu haben, weniger in der Sprache, denn die kleine Burgunderin, die uns bediente, kam fast nicht aus dem Lachen heraus.

Bis zum Eilzug um Mitternacht hatte ich noch einige Stunden Zeit, um zu ruhen und die Eindrücke des Tages zu verarbeiten. Der Zug kam mit einer halben Stunde Verspätung an; als er nach Dijon weiter sauste, an dem mondscheinbeglänzten Vercingetorix vorbei, war es mir, als nicke der letzte Ritter der Gallier von der Höhe mir seinen Abschiedsgruß zu. Sicher kann er sein, daß ich von der Stätte, die er geheiligt, die schönsten Erinnerungen mit in die Heimath nahm.




Dann geh’ zu ihr …

Das Beste ist, auf Dich allein zu bauen,
Doch wo nicht klar genug die Augen schauen,
Und Dich verläßt das muthige Vertrauen,
Aus eig’ner Kraft den Knoten zu durchhauen –
Den Rath der Männer suche ohne Grauen.

Wenn aber Zweifel Dir am Herzen nagen,
Dann geh’ zu ihr mit Deinem bangen Zagen,
Die unter ihrem Herzen Dich getragen,
Und frage Dich, kannst Du sie selbst nicht fragen:
Was würde wohl die Mutter dazu sagen?

Albert Traeger.




  1. Das vereinigte Gallien, bildend eine einzige, von demselben Geiste beseelte Nation, kann dem Weltall Trotz bieten. Vercingetorix an die versammelten Gallier. Caes. de bell. Gall. VII. Buch, XXIX. Cap. Napoleon III., Kaiser der Franzosen, dem Andenken des Vercingetorix.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_670.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2024)