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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Hier erscheint Faust schon in etwas idealerer Fassung. Noch aber steht der eigentliche Teufelspact im Mittelpunkte der Handlung; noch ist der Fluch der Kirche nicht von ihm genommen. Erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, als eine neue geistige Strömung in die Zeit hineindrang und die gefesselten Geister entfesselte, nahm die Faust-Sage eine mächtige Wendung. Faust wurde nicht mehr gerichtet, er wurde gerettet. Und der zuerst diese rettende That vollzog, war kein Geringerer als Lessing. Lessing hatte im Jahre 1753 in der Schuch’schen Bretterbude auf dem Gensd’armenmarkte in Berlin das alte Volksschauspiel vorstellen sehen und sich dadurch zur dramatischen Bearbeitung des Stoffes angeregt gefühlt. Gleich wie Goethe, hat er den Stoff sein ganzes Leben lang mit sich herumgetragen. In der ersten Bearbeitung schloß er sich noch an die alte Faust-Fabel an, in einer zweiten brachte er die Sage dem menschlichen und zeitlichen Empfinden näher. Von dem erstern dieser beiden Lessing’schen Fauste sind uns nur einzelne Bruchstücke überliefert worden; das Manuscript des zweiten ging Lessing nach seiner eigenen Angabe auf einer im Jahre 1775 unternommenen italienischen Reise spurlos verloren. Neuerdings hat man zwar gemeint in einem in demselben Jahre zu München ohne Angabe des Verfassers gedruckten Faust-Drama den verlorenen Lessing’schen Faust wiedergefunden zu haben, es ist jedoch diese von Engel aufgestellte Annahme besonders von Kuno Fischer bestimmt widerlegt worden. Nur die Idee des Stücks und der ungefähre Gang der Handlung lassen sich aus den zerstreuten Andeutungen Lessing’s und seiner Freunde erkennen. In einer Rathsversammlung des Teufels, in welcher die einzelnen Sendboten der Hölle über den Erfolg ihrer Absendung nach der Erde ihrem Obersten Beelzebub Bericht erstatten, meldet einer dieser Unterteufel, er habe auf Erden einen Menschen gefunden, dem durchaus nicht beizukommen sei. Er habe keine Leidenschaft, keine Schwachheit, nur einen Trieb und eine Neigung: einen unauslöschlichen Durst nach Wissenschaften und Kenntnissen.

„Ha,“ ruft Beelzebub aus, „dann ist er auf immer mein, sicherer mein, als bei jeder andern Leidenschaft.“

Nun erhält Mephisto den Auftrag, diesen Faust der Hölle zu gewinnen; eine Stimme vom Himmel aber ruft: „Ihr sollt nicht siegen!“

Die Geister der Hölle wähnen nun zuletzt doch, gesiegt zu haben, und stimmen bereits einen Triumphgesang an.

„Triumphirt nicht,“ ruft ihnen die Schaar der Himmlischen zu, „Ihr habt nicht über die Menschheit und Wissenschaft gesiegt. Die Gottheit hat dem Menschen nicht den edelsten der Triebe gegeben, um ihn ewig unglücklich zu machen. Was Ihr sahet und zu besitzen glaubet, war nur ein Phantom.“

Ein Engel hatte vorher den echten Faust in einen tiefen Schlummer versenkt und an seiner Statt ein Schemen geschaffen, mit dem die Teufel ihr betrogenes Spiel trieben.

Damit ist Faust mit einem Male dem Banne der alten kirchlichen Tradition entrückt und das spätere Goethe’sche: „Wer immer strebend sich bemüht“, bereits vorbereitet. Der Höllenpact, früher die Hauptsache, ist jetzt ganz nebensächlich geworden; selbst dem Gebiete der Magie ist der Held bereits entzogen.

Auch in dem gedachten Lessing’schen Pseudo-Faust von einem unbekannten Verfasser geht der Himmel siegreich aus dem Kampfe hervor. Faust, der bereits am letzten Tage seiner Erdenfrist angelangt ist, erklärt dem Mephistopheles, daß er die ihm vom Teufel gegebene Macht nur dazu verwandt habe, Wohlthaten auszuüben, und Mephisto beweist ihm mit vernichtendem Hohne, daß er mit all diesen Wohlthaten nur Böses gestiftet habe.

Gleichwohl gewinnt auch in diesem Drama Faust den Himmel. „Die Wage der Gerechtigkeit,“ kündet zuletzt der Engel des Lichts, „ist zwar bei ihm zu leicht gefunden worden, aber die unendliche Barmherzigkeit hat seine Laster weit überwogen.“ Es ist der die Zeit bereits durchwogende Humanitätsgedanke, der hier siegreich triumphirt!




Blätter und Blüthen.

Faust als Mysterium auf der Bühne des Leipziger Stadttheaters. Im Anschluß an Fr. Helbig’s Aufsätze über die Faust-Sage bringen unsere Illustrationen Scenen aus der Leipziger der beiden Theile von Goethe’s „Faust“ als Mysterium, in der Einrichtung Otto Devrient’s.

Aus Devrient’s Annahme, daß Goethe in der Dichtung selbst die dreitheilige Bühne fordert, wofür die Worte des Directors im „Vorspiel auf dem Theater“:

„So schreitet in dem engen Bretterhaus
Den ganzen Kreis der Schöpfung aus
Und wandelt, mit bedächt’ger Schnelle,
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“

in’s Treffen geführt werden, könnte man erwidern, daß der Dichter an eine Bühnenaufführung des „Faust“ zunächst wohl gar nicht gedacht hat und seine dichterische Phantasie durch keine Fessel beengte. Dies zugegeben, bleibt dennoch die Thatsache bestehen, daß der Faust-Stoff, wie ihn Goethe vorfand und in den Umrissen beibehielt, für die Mysterienbühne zurechtgeformt war und ohne gewaltsame Einengung der modernen Bühne nicht angepaßt werden konnte. Gleich im „Prolog im Himmel“ ist die Dreitheiligkeit der Bühne nach mittelalterlichem Muster eine gebotene Nothwendigkeit, um Himmel, Erd’ und Hölle gleichzeitig dem Auge vorzuführen. Aber die Fabel des Gedichtes fordert nicht nur die mittelalterliche Bühne, sondern auch die mittelalterliche Naivetät des Herzens, das fromme Gemüth treuherziger Zuschauer, um die Sage von verkaufter Seligkeit, Hexenspuk, Zauberwerk und betrogenem Teufel gläubig entgegen zu nehmen.

Die Mysterienbühne gliedert den Raum der Scene in drei Theile. Die ebene Vorderbühne umfaßt etwa ein Drittel der Scene, der mittlere Raum füllt das zweite Drittel derselben auf etwa drei Meter Höhe, das letzte Drittel beherrscht den Hintergrund, welcher bis zu doppelter Höhe der Mittelbühne ansteigt. Zu den Emporräumen führen verstellbare Treppen, welche es gestatten, der Scene die jeweilige Gestalt anzupassen. In den einfachen Scenen, in denen die Tiefe der Bühne nicht nothwendig ist, begnügt sich die Darstellung mit dem ebenen Vorderraum. So bleibt für die Scenen in Faust’s Studirzimmer, in der Hexenküche, in „Auerbach’s Keller“ etc., welche in Leipzig sämmtlich in geschlossener Decoration spielen, die Dreitheiligkeit der Bühne ganz außer Betracht. - Die Mysterienbühne bietet mithin den allergrößten Spielraum für scenische Effecte, ohne im Geringsten die Vortheile einfacher Scenierung aufzugeben.

Otto Devrient’s Faust-Einrichtung verwerthet nun die Dreitheiligkeit des Bühnenraumes zur Gewinnung decorativer Arrangements, durch welche die zusammengehörenden, aber örtlich aus einander liegenden Scenen einen gemeinsamen Schauplatz erhalten. Dies geschieht namentlich mit den Gretchen-Scenen, den Scenen in der kaiserlichen Pfalz und der classischen Walpurgis-Nacht. Daß die steigende Bühne den Scenen, die im Himmel spielen, besonders zu statten kommt, hat sich bald herausgestellt. – In diesen gliedert sich der Schauplatz in Hölle (Tiefe aus der Versenkung), Erde (ebene Vorbühne mit der Mittelbühne) und Himmel (Emporbühne). Auf der höchsten Höhe, in lichten Wolken, durch welche das Gottesauge strahlt, erscheinen die in Anbetung versunkenen Engel in mattfarbener Gewandung. Die Erde wird durch Felsengruppen dargestellt. In der Tiefe des Vordergrundes, in einer Felsenkluft, gähnt der teufelspeiende Höllenrachen, dem Mephisto entsteigt. Auf der felsigen Halbhöhe spielt die Scene mit dem Herrn.

Dieselbe Deoration bildet auch den Schluß des zweiten Theils. Diesmal ist der Himmel anfangs geschlossen: sieben Wolkenschleier, die sieben Himmel darstellend, öffnen sich erst nach und nach und zeigen die himmlischen Heerscharen, zuletzt aus höchstem Wolkenthrone die Mater gloriosa, im Strahlenglanze, eine Schaar schwebender kleiner Engel um sie gruppirt.

Unten treiben kurz vorher die Trabanten Mephisto’s ihren Teufelsspuk. Nachdem die schlotternden Lemuren Faust’s Grab ausgeworfen und dessen Körper der Erde zurückgegeben, beginnt der Kampf um seine Seele. Die Dick- und Dünnteufel wollen dieselbe haschen, werden aber durch den Anblick des Erzengels und der Rosen auf das Grab streuenden Büßerinnen, darunter Gretchen, bestrickt und geblendet, welchem Zauber auch Mephisto erliegt und als der dumme betrogene Teufel des Mittelalters zornsprüend durch den Höllenrachen den Rückzug in’s Reich der ewigen Finsterniß nimmt.

Die Scene, gehoben durch die weihevollen Engelchöre, steigert sich am Schlusse zu wahrhaft überwältigender Wirkung, ergreifend, zur Andacht zwingend – ein Beispiel, wie die Kunst der Religion dienen kann, wie sie in ihren erhabensten Werken Religion ist!

Unsere erste Illustration (S. 672) zeigt die Decoration, in welcher sich die gesammten Gretchen-Scenen abspielen. Auf der Höhe des Hintergrundes erhebt sich der Dom, vor welchem die erste Begegnung mit Faust stattfindet, im Mittelgrunde rechts Gretchen’s Haus, eine breite Straßentreppe, wie man sie in älteren Städten noch häufig findet, führt in eine tiefer gelegene Gasse, in welcher links sich das Haus der Frau Marthe Schwertlein mit Vorgarten befindet. In diesem Gärtchen spielen die Liebesscenen. Unter Gretchen’s Fenster befindet sich der Brunnen, an welchem Lieschen ihre Schmähungen ergießt, und am Fuße der Treppe die Mater dolorosa den Dolch im Herzen. Die Fenster Gretchen’s sind, nach mittelalterlichem Muster, zur Seite zu schieben und gewähren so einen vollen Einblick in das von süßem Dämmerschein durchwebte Heiligthum.

Dieses Arrangement ermöglicht es, die gesammten Scenen der Gretchen-Episode ohne Verwandlung, ja ohne Unterbrechung durchzuspielen, denn die zeitlichen Zwischenräume, welche die einzelnen Vorgänge trennen, werden durch die scenischen Hülfsmittel, durch Uebergang von Tag zur Nacht etc., wie durch die vermittelnde und verbindende Musik überdrückt. Die Vereinfachung des scenischen Apparates drängt die Dichtung zusammem, dieselbe wird nicht mehr durch unzählige Verwandlungen fortwährend unterbrochen und zerrissen, sondern giebt sich als ein geschlossenes Bild, welches uns durch keinerlei technische Vorrichtungen gestört oder beeinträchtigt wird. Dazu geben sich alle Arrangements leicht, ungesucht und wirkungsvoll. Die dargestellte Scene zeigt uns Valentin’s Tod.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_675.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2024)