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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Uniform mit gutmüthig dummem Gesichte. Nachdem der Himmelblaue mich eine zeitlang betrachtet, öffnete sich der breite Mund und fragte im reinsten österreich-ungarischen Dialekt:

„Sie sein Deutscher?“

„Ja“, erwiderte ich, froh, ein deutsches Wort zu hören, und that die Gegenfrage:

„Sie sprechen deutsch?“

„O,“ erwiderte mein Mann und warf sich in die Brust, „ick deutsch kann serr gut sprecke: ick bin gewese viele Jahren in der Oesterreik, wissen’s, hab’ ick gesprocke nicks als deutsch!“

In der Hoffnung, etwas von ihm über den eigentlichen Grund meiner Einsperrung zu erfahren, that ich eine hierauf bezügliche Frage.

„Ja, schaun’s,“ erwiderte Bruder Meiniges, „weil die Polizei Sie halt nit kennen, mer kann nit wissen, wer und woher sein.“

„Das steht ja in meinem Paß,“ erwiderte ich.

„Ja,“ versetzte er, schlau blinzelnd, „mer kann nit wisse, ob das ist Paß Ihriges, könne auch habe gestohle die Papier.“

„Nun, was will man denn machen, um zu erfahren, daß es wirklich meine Papiere sind?“

„Ja,“ erwiderte er bereitwilligst, „das kann warten drei oder vier Woche, bis hab’n beschriebe an Ihriges Polizei, wer sein.“ Und erzählend setzte er hinzu: „Hab’n hier gewesen eine Baier, der hat auch gehabt Papier, gut Papier, hat hier muß warte vier Woche bis Antwort.“

„Hatte er nichts verbrochen?“

„O nicks, gar nicks, mer wußt nit, ob sein Papier war ordentlich.“

„Aber man kann mich doch unmöglich so lange hier einsperren ohne Grund.“

„O, warum nit?“ erwiderte er gutmüthig, „das mackt nicks. Wenn hab’ gemackt nicks weiter, könne nachher gehe, wo Ihr wollen hin.“

Das waren ja herrliche Aussichten! Auf blosen Verdacht hin vier Wochen hier eingesperrt sein, in dieser Gesellschaft? Ich stellte mir vor, was man denken würde, wenn ich in den nächsten Tagen, wo mein Unterricht beginnen sollte, in M. nicht einträfe, auch in einigen Wochen nicht, und meine Erregung kannte keine Grenzen. Doch da kam mir ein glücklicher Gedanke. An den Consul in M. schreiben und seine Hülfe anrufen! Schon war Bruder Meiniges, über mein längeres Schweigen scheinbar verdrießlich, im Begriff, fortzugehen, als ich mich an ihn wandte.

„Können Sie mir nicht sagen, ob ich einen Brief schreiben kann?“

Erschrocken fast sah er mich an.

„O,“ rief er, „das kein Haus sein zum Schreiben! Hier nicks schreiben!“

In dem Augenblicke faßte ich an meine Rocktasche und vermißte einen dem Culturmenschen unentbehrlichen Toilettengegenstand.

„Aber ich werde doch mein Taschentuch, auch Seife, Kamm und Bürste aus meiner Reisetasche erhalten können?“

„No,“ war die phlegmatische Antwort, „die bekommen’s erst, wenn sein verurtheilt: vielleicht zwei, drei Monat, oder vier Woche, oder ick nit weiß, wie viel.“

„Verurtheilt? Weshalb denn?“

„Ja, schaun’s, weil nit hab’ bezahlen der Wirth.“

Damit ging er lachend fort, die Doppelthür schloß sich, und ich war allein, oder vielmehr nicht allein, woran mich das lebhafte Zwiegespräch der beiden Strolche, das sich nach Entfernung des Unterofficiers erhob, erinnerte. Ich lief in der Zelle auf und ab, die Gedanken gingen kreuz und quer, ohne daß ein vernünftiger kam, der aus dieser Lage Erlösung zu verschaffen fähig gewesen wäre. Endlich faßte ich den Entschluß, ruhig zu werden und die Entwickelung der Geschichte geduldig abzuwarten – blieb doch nichts anderes übrig.

Des Wanderns müde, setzte ich mich auf meinen Strohsack - einen anderen Sitz gab es nicht - und fing an die Zelle und deren Insassen zu studiren. Der eine derselben, ein jüngerer Mann, lief fortwährend von einer Ecke zur anderen und gab sich anscheinend alle Mühe, mir die vortheilhafteste Meinung von seinem Tenor beizubringen, denn unaufhörlich tremolirte er:

„O cara mia
Bella donna“
etc.

wobei er die Endvokale lang verklingen ließ. Jedenfalls ein Opernsänger, den man hier gewaltsam seinem eigentlichen Berufe fern hielt zum Bedauern des Publicums, das ihn schmerzlich vermißte. Der Andere, ein älterer Mann in grauem Haar, stand stumm und in sich versunken da.

Die Nacht kam. Licht gab es natürlich nicht. Um zehn Uhr erschien die Wache mit einer Fackel und untersuchte die Zelle genau, ob nicht etwa ein Ausbruch vorbereitet werde. Doch der Opernsänger und sein stummer Genosse, letzterer in Adam’s Costüm, lagen und schliefen fest. Ich schlief nicht und war in meinen Kleidern geblieben. Man bedeutete mir, daß ich mich zu entkleiden habe, was ich aber ablehnte, obgleich man drohte, Gewalt anwenden zu wollen. Nach Entfernung der Wächter starrte ich wieder schlaflos in die Dunkelheit. Die Mosquitos umschwärmten mich in Schaaren und zerstachen mir Hände und Gesicht. Von halber Stunde zu halber Stunde ertönte der langgezogene Zuruf der Wachen auf den Wällen der Festung. Aus der Ferne schallte der mehrstimmige Gesang von männlichen und weiblichen Stimmen im Chor bis gegen Morgen. Die beiden gegenüberliegenden Fensterlöcher ließen nach Mitternacht eine kalte Nachtluft hereinströmen, die zwar die Mosquitos, wie es schien, verjagte, mich aber, der ich am Tage stark transpirirt hatte, frösteln machte. Endlich kam der Morgen, mit ihm aber auch ein bis dahin mir unbekannter Schmerz in meiner rechten Körperhälfte und Athmungsbeschwerden. Ich fürchtete, als die Schmerzen größer wurden und bestimmter in der Gegend der Lungen auftraten, eine Entzündung. Im Laufe des Vormittags kam Bruder Meiniges.

„Komm mit!“ sagte er zutraulich, und bald befand ich mich in einem Zimmer vor dem allgewaltigen Staatsanwalt. Ihm zur Seite saß ein Herr, in welchem ich den Deutschen erkannte, der, wie sich bald herausstellte, als Dolmetscher fungiren sollte.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Der tausendjährige Rosenstock am Dom zu Hildesheim. (Mit Abbildung S. 700.) Der tausendjährige Rosenstock auf dem Friedhofe des Domes zu Hildesheim wächst und blüht, ringsum gegen starke Winde geschützt, inmitten der Mauern des ehrwürdigen Domes, emporgerankt an der Ostseite der halbrunden Gruftzelle heute noch wie zur Zeit Ludwig’s des Frommen.

Wäre es nicht eine bekannte Thatsache, daß die wilde Rose an vielen alten Gemäuern und Steinwänden von Geschlecht zu Geschlecht weiter wuchert, so müßte das Bestehen dieses merkwürdigen Strauches dem Wunderglauben reiche Nahrung zuführen. Aber wo die Verhältnisse so günstig sind wie hier, wo die Wurzeln sich tief in die Steinklüfte einbohren können und wo von ihnen äußere vernichtende Einflüsse abgehalten werden, da treibt diese wundervolle Pflanze ihre Blüten gewissermaßen in die Ewigkeit hinein.

Es bestehen über das Alter dieses Strauches unantastbare geschichtliche Ueberlieferungen seit dem elften Jahrhundert. Bischof Hezilo (gestorben 1079), der den durch Feuer zerstörten Dom neu aufbauen ließ, befahl, dem verschont gebliebenen Rosenstock „als einem merkwürdigen Denkmal der Vorzeit die sorgfältigste Pflege angedeihen zu lassen“.

Zweige und Wurzeln wurden während des Baues durch einen gemauerten Canal gedeckt, der gleichwohl den vergrabenen Wurzeln und einigen Ausschüssen so viel Luft und Licht ließ, daß sie bestehen konnten; und nachdem im Jahre 1120 der Rundbau, die Apsis, vollendet worden war, ward der Rosenstrauch an dem Mauerwerk emporgeführt.

Als vor 800 Jahren der Rosenstock bereits ein merkwürdiges Denkmal der Vorzeit genannt wurde, war er zweifelsohne schon von bedeutender Größe, denn seit unvordenklichen Zeiten hat er sich nicht verändert. Seine Wurzeln liegen unter dem mittleren Altar der Domgruft und der Stamm ist durch die zwei Meter dicke Mauer gewachsen. Hiernach ist die Ueberlieferung von der Entstehung des Domes an der Wurzelstätte des Rosenstockes nicht wohl anzuzweifeln, ebenso sind die skeptischen Aeußerungen mancher Besucher des Platzes, es würden von Seiten der Domgeistlichkeit, um das Wunder zu erhalten, von Zeit zu Zeit neue Setzlinge eingegraben, hinfällig.

Die ganz neuen ausgeschlagenen Triebe aus den alten Stämmen reden deutlich.

Die Geschichte des uralten Rosenstammes ist folgende. Ludwig der Fromme war in der Waldgegend, wo jetzt Hildesheim steht, „zu jagen den weißen Hirsch“. Er verlor beim Ueberschreiten des Flüßchens Innerste Pferd und Hunde und kam von seinem Jagdgefolge ab.

Als er vergeblich in sein Histhorn geblasen und, ganz verlassen, in der Einsamkeit knieend gebetet, sank er in tiefen Schlaf. Ein heiliges Gefäß, das er bei sich trug, hatte er über einen Rosenstock gehängt. Erwachend, sah er die Gegend weit und breit mit Schnee bedeckt, aber der Rosenstock leuchtete mit frischen Blüthen. Die Sache ist, wenn es etwa im Mai oder im Spätherbst gewesen, ganz erklärlich.

Dem vom Schlafe Erwachten kam die Erscheinung wie ein Wunder vor, und als auf erneutes Ansetzen seines Hornes die Jagdgesellschaft sich wieder einfand, beschloß Ludwig an der Stelle des Rosenstockes eine Capelle zu bauen.

Das wird schon damals ein alter, kräftiger Strauch gewesen sein, denn seine Wurzelfasern wurden durch den Bau nicht zerstört.

Und seine Rosen lachen noch heute dem stillen Beobachter entgegen und predigen von der Ewigkeit der vielgestaltigen Liebe, deren unvergängliches Bildniß die Rose ist.

Robert Geißler.



Inhalt: Die Braut in Trauer. Von Ernst Wichert (Fortsetzung). S. 693. – Die elektrische Kraftübertragung. Ein Bild aus der elektrischen Ausstellung in Wien. Von Alfred Birk. S. 696. Mit Abbildungen. S. 697. – Wie verpflegen wir unsere gefiederten Hausfreunde? Rathschläge für eine verständige und ersprießliche Stubenvogelpflege. Von Dr. Karl Ruß. S. 699. – Kleine Bilder aus der Gegenwart. Nr. 7. Bei J. Wickersheimer. S. 701. Mit Illustration. S. 701. – Der Ablaßstreit im Jahre 1517. Von Paul Zittel. S. 702. Mit Illustration. S. 704 und 705. – Unter Spitzßbuben. Ergötzliche und lehrreiche Geschichte aus dem schönen Italien. S. 706. – Blätter und Blüthen: Der tausendjährige Rosenstock am Dom zu Hildesheim. S. 708. Mit Abbildung. S. 700.


Für die Redaction bestimmte Sendungen sind nur zu adressiren: „An die Redaction der Gartenlaube, Verlagsbuchhandlung Ernst Keil in Leipzig“.

Unter Verantwortlichkeit von Dr. Friedrich Hofmann in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_708.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)