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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

dann hinter ihrem Stuhl, ihr die Blätter umzuschlagen, oder lehnte sich ihr gegenüber auf’s Clavier und rief von Zeit zu Zeit ein 1eises Bravo hinüber. Es war ärgerlich genug, daß er immer dreister wurde, aber sie litt es doch nicht seinetwegen.

Der Frau Consul war es jedesmal ein Stich in’s Mutterherz, wenn sie die Beiden zusammenstehen, Herrn von Brendeln sich geschäftig um das schöne Mädchen bemühen, Helene aber mit gerötheten Wangen munter lachen und plaudern sah. Sie faßte einmal den Muth, Doctor Grün auf das Paar hinzuweisen.

„Ist Ihnen das Benehmen des Herrn Assessors nicht auffällig?“ fragte sie ihn.

„Er interessirt sich unzweifelhaft für meine Cousine,“ antwortete er, leicht die Achsel zuckend.

Die Frau Consul wurde sehr unruhig. „Aber Herr Doctor –“ zischelte sie, „Sie sagen das so, daß ich vermuthen muß … Nein! auf etwas der Art darf man ja gar nicht kommen. Vergessen Sie nicht, daß Helene Braut ist.“

„War –“

„O! in ihrem Herzen kann Robert nicht gestorben sein. Man soll sie dessen aber auch nicht mit einem Schein von Grund beschuldigen dürfen. Und sie ist wirklich recht unvorsichtig. Es sind schon von anderer Seite Bemerkungen gefallen, die mich besorgt machen müssen, daß sie sich schadet. Und doch ist mein Verhältniß zu ihr – meines Sohnes wegen – so zarter Natur, daß ich unmöglich eingreifen kann, ohne ihr etwas Kränkendes zu sagen. Sie aber –“

„Ich, gnädige Frau –?“

Walter versprach nichts. Er hatte über das, was die Frau Consul anregte, seine eigenen Gedanken, die er denn auch am liebsten für sich behielt. Das nächste Mal aber, als Herr von Brendeln wieder mit mehr als gewohnter Dreistigkeit Helene von der Gesellschaft im Garten zu isoliren wußte und sie sich’s sogar gefallen ließ, daß er ihr den Fächer aus der Hand zog und damit allerhand Spielereien trieb, stand er doch auf und ging zu ihr, irgend eine gleichgültige Frage einwerfend. Der Assessor, der seine Absicht merken mochte, zog sich bald zurück. Walter legte Helenens Arm in den seinigen und führte sie durch den Garten, der Laube zu, in der die Anderen saßen. Sie war sich augenscheinlich nicht klar darüber, wie sie sein Benehmen deuten sollte, sah zur Erde, oder schielte zur Seite, wie er’s eigentlich meine. Er bemerkte es. „Du bist eine kleine Kokette,“ sagte er in scherzendem Tone.

Sie machte sogleich ihren Arm frei und blieb stehen.

„Gefällt Dir das nicht?“ fragte sie herausfordernd.

„Aufrichtig gesagt – nein!“ antwortete er.

„Und warum nennst Du mich so?“

„Nun … ich habe doch Augen.“

Die Thränen perlten ihr über die gerötheten Wangen. „So bin ich also doch für Dich noch auf der Welt!“ rief sie mit schluchzender Stimme.

„Helene –!“

„Du siehst wenigstens, was Dir mißfällt! Aber ich verdiene diesen Vorwurf von Dir nicht.“

„Von mir oder einem Andern. Man beobachtet Dich.“

„Mag man doch!“ Ihre Lippen zitterten. „Man täuscht sich – ich weiß es am besten.“

„So ist Dir’s wirklich voller Ernst, Helene?“

„Was?“

„Du läßt Herrn von Brendeln glauben, daß er sich nicht umsonst bemüht.“

Die Thränen flossen reichlicher. „Und was geht’s Dich an?“

Die Frage setzte ihn in Verwirrung. „O! mich …? Ich bin Dein Vetter.“

„Das spricht nicht mit,“ entgegnete sie rasch. „Das gar nicht.“

„Du bist sonderbar, Helene. Ich verstehe Dich nicht.“

Sie wendete sich mit Heftigkeit ab und drückte das Tuch auf die Augen.

„Wie willst Du mich denn auch verstehen,“ sagte sie trotzig, „da Du von mir gar nichts wissen magst?“

„Du hörst ja, Helene, daß ich –“

„Ach! wenn Du schelten kannst. Das war ja auch früher so Deine Art und damit hast Du alles verdorben.“

Er wiegte den Kopf. „Aber ich habe ja noch gar nicht gesagt, daß ich Dich tadle, wenn Du diesem Herrn von Brendeln in allem Ernst –“

„Siehst Du, daß ist Dir ganz gleichgültig,“ rief sie. „Und wenn es Dir gleichgültig ist, so mache ich mir auch nichts daraus, was Herr von Brendeln von mir glaubt. Ach, ich – ich …!“ Sie preßte das Tuch in der Hand zusammen, warf ihm einen zornigen Blick zu und entfernte sich schnell nach dem Hause.

Walter folgte ihr nicht. Einen Moment nahm sein Gesicht einen recht heiteren Ausdruck an. „Er wird doch der Glückliche sein,“ murmelte er. „Was darf es mich kümmern? Sie sollte ja volle Freiheit haben …“ Der Kopf schien ihm heiß, er zog den Hut ab und trug ihn in der Hand, während er nach der Laube ging. „Aber unbegreiflich ist’s – unbegreiflich. Dieser Faun –!“

Er blieb nur noch kurze Zeit. –

In den nächsten Tagen ließ er sich gar nicht blicken. Dann stattete er eine flüchtige Visite ab. Und dann kam er seltener und immer seltener, sich mit überhäufter Arbeit entschuldigend. Gegen Helene zeigte er sich ganz unverändert, wenn nicht freundlicher. Sie aber that, als ob sie ihm nicht frei in’s Gesicht sehen könne. Er meinte, sie schmolle, weil er zu dreist in ihrem Herzen geforscht und eine wunde Stelle getroffen habe.

Eine wunde Stelle gewiß. –




8.

Helene trieb’s nun wieder auf den Kirchhof. Sie fühlte sich sehr unglücklich und hoffte, daß die melancholische Stimmung der Gräberstätte ihr wohlthun würde. Auf dem Plätzchen vor dem Monument war ihr nur noch beklommener zu Muth. Sie quälte sich absichtlich mit Gedanken an Robert. Sein Bild blieb nebelhaft verschwommen; sie konnte mit dem Herzen nicht zu ihm. Der Assessor beirrte sie dabei nicht. Aber desto mehr Walter. Nicht daß sie mit zärtlichen Empfindungen seiner gedacht hätte. Sie konnte sich einreden, daß sie ihn recht aus Herzensgrund hasse. Wer sonst verschuldete denn auch, daß sie sich selbst so zuwider geworden war?

Die Frau Consul begleitete sie jetzt wieder öfter. Das war ihr anfangs lieb. Sie meinte, so werde sich am leichtesten das gewohnte Verhältniß wieder herstellen. Bald mußte sie erkennen, daß Mißtrauen im Spiel war. Nun hatte es die alte Dame ganz bei ihr verschüttet.

Indessen rückte der Hochzeitstag immer näher heran. Hauptmann von Gräwenstein war sehr ungeduldig geworden und hatte so dringend die Abkürzung der Wartezeit gewünscht, daß die Mama schon nachgeben mußte. Die Hochzeitsreise im Spätsommer versprach auch erfreulicher zu werden, als weiter hinaus im Herbst. Dazu kam, daß man jetzt noch auf den Garten rechnen durfte, der, wenn auch nicht am Hochzeitstage selbst, doch am Polterabende die sehr wünschenswerthe Aushülfe schaffen konnte. In der Hoffnung auf gutes Wetter war ein Gartenfest geplant, bei dem sich die Gäste, aus dem Hause ab- und zugehend, abwechselnd betheiligen konnten.

Wichtige Fragen waren schon Wochen lang vorher zu erörtern: wie viel Brautführerpaare erwünscht sein könnten, wie man Civil und Militär möglichst gleichmäßig heranziehe, wer den Brautkranz zu überreichen habe. Vera weigerte sich mit aller Entschiedenheit, den Kranz aus Helenens Händen anzunehmen. So starkgeistig sie sich sonst gerne bewies, hier behielt die abergläubische Vorstellung die Oberhand, daß eine Kranzjungfer, deren Bräutigam gestorben sei, ihr Unglück bringen müsse. Sie hielt dieses Bedenken auch gegen Helene selbst nicht zurück; unter den zärtlichsten Liebkosungen versicherte sie, daß ihr der Gedanke schreckhaft wäre, von einer Braut in Trauer geschmückt zu werden; sie würde die Empfindung nicht los werden, daß ihr ein Todtenkranz geweiht sei. „Es ist ja auch ganz unmöglich,“ rief sie, „daß Du in Deinem schwarzen Kleide das Gedicht sprechen kannst!“ Helene beruhigte sie völlig. „Uebrigens,“ fügte sie lächelnd hinzu, „würde mein schwarzes Kleid nicht gestört haben. Ein so frohes Ereigniß, wie Deine Hochzeit, giebt mir den schicklichen Anlaß es abzulegen.“

Natürlich erfuhr die Frau Consul von dieser „sehr merkwürdigen“ Aeußerung. Sie gab sich den Anschein, sie leichthin zu nehmen, spürte aber doch nach, was Helene etwa wegen ihrer Garderobe veranlasse. Es war lange nicht dahinter zu kommen. Eines Nachmittags kurz vor dem Feste fand sie endlich Helenens

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_710.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)