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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

auch nachher die meisten Luther-Biographien von Predigern und Theologen als „christliche Erbauungsschriften“ geschrieben worden sind, kommt gerade diese volksthümlichste Seite Luther’s selten genügend zur Geltung, und doch beruhte gerade auf ihr offenbar ein sehr großer Theil seiner Popularität.

Wie seine besonderen Naturanlagen, so hat aber auch die Erziehung, Bildung und Lebensschule, welche Martin Luther bis zum Jahre 1817 zu Theil geworden ist, ihn wohl dazu vorbereitet, der Führer der religiösen Reform im deutschen Reiche zu werden. Aus diesem Grunde ist seine Jugendgeschichte von besonders hohem Interesse.

Wie allbekannt, stammt Luther aus einer einfachen Bauernfamilie des unfern von Eisenach gelegenen Dorfes Möhra. Sein Vater, ein tüchtiger und schließlich wohlhabender Bergmann, war zuerst nach Eisleben gezogen, wo ihm sein Sohn Martin geboren wurde, und bald darauf in eine günstigere Stellung in dem nahen Mansfeld eingetreten, wo er schließlich Pächter mehrerer Schmelzöfen ward und bis nach dem Augsburger Reichstag (1530) als angesehener Bürger lebte.

In Mansfeld ist Luther in der damals üblichen strengen „Zucht“ herangewachsen, durch welche die seine ganze Jugendzeit erfüllende Verschüchterung und Betagtheit erzeugt wurde, die ihn später dazu trieb, aus Furcht vor Gottes Gericht und der verführerischen Macht der Sünden der Welt in’s Kloster zu gehen. Auch von den Schulen jener Zeit sagte er einmal, sie seien „Kerker und Höllen, die Lehrer aber Tyrannen und Henker gewesen“.

Von dem Segen einer gewissenhaften und treuen Erziehung aber, wie sie ihm von Vater und Mutter zu Theil geworden, hat er später die schönen Worte geschrieben:

„Wenn ich in des Kaisers Schmuck umherginge, oder eine junge Frau im Schmuck der Königin von Frankreich, das wäre ein so köstlich Ding von der Welt, daß Jedermann das Maul aufsperrte. Aber in Wahrheit ist’s nichts gegen diesen geistlichen Schmuck eines Christen, wenn ein Weib dahergeht in Gehorsam gegen Gott, ihren Ehemann lieb und werth hat, die Kindlein wohl und fein zieht, und sich in ihrem Beruf nach Gottes Wort und Befehl richtet. Gegen solchen Schmuck sind Perlen, Sammt, goldene Stück wie ein alter, zerrissener, geflickter Bettlersmantel.“

Von der nöthigen Strenge hat er aber auch ein ernst-heiteres Wort geschrieben:

„Es ist ein Werk der Barmherzigkeit, das Gott lohnen will, daß man, wo böse Kinder und Gesind im Hause sind, einen eichenen Butterwecken in die Hand nehme, und schmiere ihnen die Haut damit voll. Solches ist eine geistliche Salbe wider der Seele Krankheit, die da heißt Ungehorsam gegen Väter und Mutter.“

Im vierzehnten Lebensjahre kam Luther mit einem wohlhabenderen Mitschüler auf eine bessere Schule nach Magdeburg und ein Jahr darauf nach Eisenach, wo sich eine Patricierfrau, Ursula Cotta, seiner freundlich annahm.[1]

Mit dem Frühjahre 1501 siedelte der siebenzehnjährige Luther in die fromme und blühende Universitätsstadt Erfurt über, wo er zunächst in der Artistenfakultät diejenigen humanistischen Studien trieb, welche heutzutage in die Oberclassen der Gymnasien verlegt sind, oder als „Philosophien“ neben den akademischen Fachwissenschaften unserer Universitäten hergehen. Nach drei Semestern bestand er ruhmvoll das Examen eines „Baccalaureus“ und im Jahre 1505 mit größtem Lobe das unserem „philosophischen Doktorexamen“ entsprechende Magisterexamen. Nun kam die Zeit, ein Fachstudium zu wählen, und gern hätte sich Luther der Theologie zugewandt, mit der er sich schon viel beschäftigt hatte, aber sein Vater, „der die Pfaffen nicht leiden konnte, die wohlversorgt von fremden Gütern leben“, wollte, daß er die juristische Laufbahn betrete, und der Sohn gehorchte.

Aber ihn, der auch als Student noch täglich die Messe besuchte und in der Universitätsbibliothek eine vollständige Bibel gefunden, die er noch nie gesehen hatte und die ihn nun ganz gefangen nahm, beschäftigte bald die Frage seines Seelenheils so ausschließlich und so lebhaft, daß er endlich in eine überreizte Gemüthsverfassung gerieth. Bald meinte er in jedem Schrecken und Unfall, zumal im raschen Tode eines Freundes, die drohende Stimme Gottes erkennen zu müssen, und gelobte schließlich am 2. Juni 1505 bei einem furchtbaren Gewitterschlage im Walde bei Stotternheim der heiligen Anna, der angeblichen Mutter der Jungfrau Maria und Schutzpatronin der Bergleute, falls er diesmal noch durch ihre Fürbitte das Leben behalte, ein Mönch zu werden. Am 16. Juli lud er alle seine Freunde zu sich und überraschte sie nach froh und munter verlebten Stunden schließlich, wie er das nachher auch noch öfter gethan hat, mit einem fertigen unwandelbaren und sofort in’s Werk gesetzten Entschlusse. In der Frühe des folgenden Morgens am Alexius-Tage überschritt er, von den ihn vergeblich abmahnenden Freunden bis zum Thore begleitet, die Schwelle des in der Stadt gelegenen hochberühmten Augustinerklosters.

Aber auch hier fand er nicht, was er suchte: die heiß ersehnte Ruhe seiner Seele, weil er nicht Herr werden konnte „der Erregtheit des Herzens, das sich vor den Sünden entsetzt und unablässig trachtet nach der Fülle guter Werke der Gerechtigkeit und Seligkeit“. Auch mußte es ihn doch fort und fort betrüben, daß sein Vater über diesen Schritt sehr entrüstet war. „Er,“ so erzählt uns Luther selbst, „wollte darüber toll werden und es mir nicht gestatten. Er antwortete mir schriftlich und hieß mich Du – vorher hieß er mich Ihr, weil ich Magister war – und sagte mir alle Gunst ab.“

Schließlich hat sich der Vater freilich in das Unabänderliche geschickt und sogar, wenn auch ungern, am 2. Mai 1507 an dem Feste der Priesterweihe seines Sohnes persönlich Antheil genommen. Dieses sein trostloses Klosterleben schildert Luther später selbst in den bezeichnenden Worten:

„Wahr ist’s, ein frommer Mönch bin ich gewes’t, und hab’ meine Ordenspflicht so streng gehalten, daß ich sagen darf: Ist je ein Mönch in Himmel kommen durch Möncherei, so wollt’ ich auch hineingekommen sein. Das werden mir alle meine Klostergesellen bezeugen, die mich gekannt haben; denn ich hätte mich, wenn es länger gewährt hätte, zu Tode gemartert mit Wachen, Beten, Lesen und anderer Arbeit.“

Als er nun schließlich ernstlich krank wurde, trat dann, wenn auch nur sehr allmählich, jene von Grund aus entschiedene Veränderung in seiner religiösen Weltanschauung ein, die er in Anlehnung an die Redeweise seines liebsten Apostels, des Paulus, als den Uebergang von der „Werkheiligkeit“ zur „Glaubensgerechtigkeit“ bezeichnet hat. Je fester er sich dann in den folgenden Jahren in diese Grundidee der Paulinischen Schriften hineinarbeitete – „das ist,“ sagte er einmal, „die Saite, auf der ich immer leiere“ – um so ruhiger und freudiger wurde sein Gemüth. Um so eifriger aber warf er sich nun auch auf das Studium der ihm hierdurch persönlich so theuer gewordenen heiligen Schrift.

Im Spätjahre 1508 wurde der zum einfachen Mönche herabgestiegene Magister auf die Empfehlung des Generalvicars seines Ordens, Johannes von Staupitz, zunächst in das Wittenberger Augustinerkloster versetzt, um als „Magister der philosophischen Wissenschaften“ an der neugegründeten Universität Wittenberg Vorlesungen zu halten. Im folgenden Jahre schon wurde er zum „biblischen Baccalaureus“ und dann zum „Sententiarius“ promovirt, als welcher er nun das Recht hatte, auch dogmatische Vorlesungen zu halten. Aber schon im Spätjahre 1509 wurde er wieder als Professor nach Erfurt gerufen und 1511 in Ordensangelegenheiten sogar nach Rom geschickt. Dort steigerte sich seine Abwendung von dem äußerlichen Wesen der Werkheiligkeit um so mehr, als er nun auch „des Papstes Hinterseite ohne Majestät geschaut“ und erfahren hatte, wie die italienischen Priester die Messe in frivolster Weise abhielten, von dem bon Christian, dem „guten Christen“ wie von einem dummen Esel redeten und die „deutschen Bestien“ höchlichst verachteten. Nach seiner Rückkehr von Rom wurde er alsbald wieder nach Wittenberg berufen, wo er nun sein Lebenlang geblieben und schon im November 1512 fast wider seinen Willen Doctor der Theologie geworden ist. Wie er dieses Amt aufgefaßt hat, ist in den folgenden, aus dem Jahre 1531 stammenden Worten sehr charakteristisch ausgesprochen:

„Zu einem guten Werke gehört ein gewisser göttlicher Beruf und nicht eigene Anschläge. Ich, Doctor Martin, bin damals dazu berufen und gezwungen worden, daß ich mußte Doctor werden, ohne meinen Dank aus lauter Gehorsam. Da hab’ ich das Doctoramt müssen annehmen und meiner allerliebsten heiligen Schrift


  1. Der in den Gassen Eisenachs als armer Schüler mit herumsingende kleine Martin ist ein von den Luther-Malern oft behandelter Gegenstand; eine als Modell längst vollendete Statue dieses Currentschülers harrt noch ihrer Aufstellung.
    Die Redaction.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_714.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)