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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Echter Adel“, „Daheim“ und „Draußen“, auch Novellen, Romane und Gedichte.

Marie Calm, 1832 als die Tochter des Bürgermeisters in Arolsen geboren, bildete sich ihrer innersten Neigung nach als Lehrerin aus, ging ein Jahr nach Genf, um die französische Sprache gründlich zu erlernen, war sieben Jahre in England und Rußland als Erzieherin und übernahm, als sie heimgekehrt, zwei und ein halbes Jahr die Vorsteherschaft einer Töchterschule zu Lennep.

Begeistert schloß sie sich im Jahre 1865 an den „Allgemeinen deutschen Frauenverein“ an, in dem sie eine agitatorische Wirksamkeit entfaltete. In Kassel begründete sie mit anderen Damen einen Zweigverein, aus dem eine „Fachschule für confirmirte Mädchen“ hervorgegangen ist, welche, Dank ihrer Vortrefflichkeit, sich der Unterstützung der Behörden erfreut. Jetzt der Vereinsthätigkeit als Vorsitzende des „Frauenbildungsvereins“ mit voller Kraft sich widmend, hat sie zu unterrichten aufgehört.

Außer den genannten Damen sind es Fräulein Marianne Menzzer in Dresden, Frau Stadtrath Winter in Leipzig und Frau Lina Morgenstern in Berlin, welche den Vorstand des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ vervollständigen. Die kleine Gestalt der Ersteren mit dem vom weißen, schlichten Scheitel umrahmten lieben, ehrwürdigen Gesicht, verbirgt einen hohen edlen Sinn, ein warmes Gemüth für die Leidenden und Unterdrückten. In stiller bescheidener Zurückgezogenheit lebend, nahm sie dennoch von Beginn an lebhaften Antheil am „Allgemeinen deutschen Frauenverein“, auf dessen Versammlungen sie die Lohnfrage der Arbeiterinnen auf das Eingehendste erörterte.

Durch ihre auf statistische Beweise begründeten Anklagen der Arbeitgeber, sowie durch ein mühselig zusammengeholtes Material über das Elend der Arbeiterinnen wußte sie mit ihren einfachen, einem edel entrüsteten Gemüthe entsprossenen Worten die lebhafteste Sympathie der Zuhörerinnen zu erwecken, so daß als nächste Aufgabe der Betheiligten beschlossen wurde, über ganz Deutschland Frauenvereinigungen zum Rechtsschutz der Arbeiterinnen zu veranlassen, die sich in jeder Beziehung der hülflosen Arbeiterinnen anznnehmen und sie vor Ausbeutung zu schützen haben.

Der Vortrag des Fräulein Menzzer fiel in die letzte Düssesdorfer öffentliche Versammlung. Unter den Theilnehmenden war es Fräulein Joh. Friedr. Wecker aus Frankfurt am Main, welche gleich mit einer That antwortete, indem sie erklärte, die Initative bereits ergriffen zu haben: noch in diesem Winter werde sie Feierabendsäle für Arbeiterinnen eröffnen und damit versuchen, verbessernd auf das Loos derselben, ihre sittlichen Anschauungen und ihre materielle Lage einzuwirken.

Wenngleich Frau Stadtrath Winter dasjenige Vorstandsmitglied ist, das selten einen Frauentag besucht oder sonst in die Oeffentlichkeit tritt, so hat sie doch einen der wichtigsten Ehrenposten, als Schatzmeisterin des Vereins, den sie seit 10 Jahren mit anerkennenswerther Pflichttreue und Umsicht vertritt.

Hier sei gleich bemerkt, daß ein Jahresbeitrag von 6 Mark jede unbescholtene Frau berechtigt, Mitglied des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ zu werden, und jeder Zweigverein für je 100 Mitglieder 6 Mark an die Hauptcasse zu zahlen hat, womit die Vereinskosten gedeckt werden. Außerdem besteht eine Stipendiencasse für weibliche Studirende.

Die kleine Frau mit der Brille, an die wir uns jetzt wenden, ist unsern Lesern wohl bekannt, denn gerade in letzter Zeit hat die „Gartenlaube“ gelegentlich der Hygiene-Ausstellung auf ihre Verdienste mehrmals hinweisen können. Es ist Frau Lina Morgenstern, die sich vor den andern Damen namentlich durch ihren praktischen Sinn und ein hervorragendes Organisationstalent auszeichnet.

In Breslau am 25. November 1830 als das dritte Kind des Fabrikanten Albert Bauer und seiner Frau Fanny, geb. Adler, geboren, erhielt sie von ihrer Mutter eine sehr sorgfältige Erziehung und das Beispiel, sich mit selbstloser Hingebung wohlthätigen und gemeinnützigen Werken zu widmen und darin den höchsten Lebenswerth, nächst einem beglückenden, friedlichen und geordneten Familienleben zu erkennen. 1848 begründete sie an ihrem Geburtstage den in ihrer Vaterstadt noch heute bestehenden „Pfennigverein zur Unterstützung armer Schulkinder“.

Nachdem ihre Verheirathung mit Theodor Morgenstern sie im Jahre 1854 nach Berlin geführt, gab sie sich als Lieblingsbeschäftigung in den Mußestunden, welche die Pflege der Kinder freiließ, der Dichtung und Schriftstellerei hin. Ihre „Jugendschriften“ und „Kindererzählungen“ sind meist der eigenen Kindheit und dem Umgang mit den eigenen Kindern entnommen.

Im Jahre 1859 schloß sie sich den Frauen und Männern an, welche den „Verein zu Beförderung der Kindergärten“ in Berlin begründeten, dessen Vorsitzende sie fünf Jahre lang bis 1866 gewesen ist. Die Frucht ihres Fröbel-Studiums war das für Mütter geschriebene Büch „Das Paradies der Kindheit“ und mehrere Kinder- und Jugendschriften. Innerhalb des Vereins begründete sie neben dem bestehenden „Seminar für Kindergärtnerinnen“ das „Kinderpflegerinnen-Institut“. Mit Vorliebe wirkte sie für Verbreitung der Volkskindergärten.

Der Krieg von 1866 gab ihr Veranlassung zur Gründung des „Vereins der Berliner Volksküchen“, den sie, Dank den treuen Mithelfenden, die sie gefunden, mit ausdauernder Energie seit bald achtzehn Jahren leitet und der zugleich Nachbildung in vielen Städten und Fabrikorten gefunden hat.

Die Excesse der sogenannten Engelmacherinnen und die große Kindersterblichkeit bei den Armen gab ihr den Gedanken, im Jahre 1868, im Zusammenwirken mit tüchtigen Frauen und Männern, den „Kinderschutzverein“ in’s Leben zu rufen, den sie als Vorsitzende bis 1871 leitete und der noch heute Hunderte von Kindern rettet, die sonst dem Untergang geweiht worden wären.

Der Eintritt in den „Allgemeinen deutschen Frauenverein“ ließ sie der Erziehungsidee erwachsener Mädchen ihre volle Aufmerksamkeit zuwenden. Um ihrerseits ein Ideal zu verwirklichen, das ihr dabei vorschwebte, errichtete sie 1869 im April auf eigene Kosten eine „Wissenschaftliche Fortbildungsschule für junge Damen“, der sie bis 1873 vorstand und welche sie alsdann nur aufgab, weil das eigene Haus sie zu sehr beanspruchte. In dieser sehr besuchten Anstalt gab sie selbst, neben einer großen Anzahl männlicher Lehrkräfte, den Unterricht in Kindespflege und Erziehungslehre. Verbunden mit dem Institut war ein Privatkindergarten, in welchem die Fortbildungsschülerinnen hospitirten.

Während des Kriegsjahres 1870 und 1871 übernahm sie die Oberleitung bei der Verpflegung und Erfrischung durchziehender Truppen auf den Ost- und Niederschlesischen Bahnhöfen, unterstützt von den Vorsteherinnen der Berliner Volksküchen und andern Damen.

Die in jedes Hauswesen tief eingreifenden wirthschaftlichen Veränderungen in Folge der Gründerjahre waren Veranlassung, daß die kleine Frau ihre Mitschwestern aufforderte, zur Selbsthülfe zu greifen, um die häuslichen Interessen der Familie zu wahren, und so begründete sie mit Gesinnungsgenossinnen den „Berliner Hausfrauenverein“, der die zersplitterten Frauenkräfte aufforderte, sich zu einer Macht zu vereinigen, um erfolgreich gegen die das Haus gefährdenden Uebelstände anzukämpfen. Seit zehn Jahren besteht dieser Verein, dessen Einfluß auf den Lebensmittelmarkt die hiergegen errichteten Verkaufsstätten vorläufig überflüssig macht, während er nach anderer Richtung hin Veranstaltungen traf, die einen dauernden Segen für Frauenwohl haben, wie die unentgeltliche Stellen- und Arbeitsvermittelung, die Kochschule, die Prämien- und Altersversorgungscasse für Dienstboten u. a. m. Seit zehn Jahren redigirt Frau Morgenstern die „Deutsche Hausfrauenzeitung“, Organ des Vereins und der gesammten Fraueninteressen, welche sich zu einem wahren Anwalte für das weibliche Geschlecht, seine Pflichten und Rechte herausgebildet hat.

Ihre letzte Vereinsstiftung unter Mitwirkung anderer Damen ist eine „Hausindustrie- und landwirthschaftliche Schule für minorenne Mädchen, die aus dem Gefängnisse kommen“; dieselbe steht seit 1880 unter Leitung eines größeren Damen-Comités, das seine schwierige Aufgabe nach Kräften zu lösen sucht.

Die Theilnahme an den Frauentagen war für die vielbeschäftigte Frau stets ein freudiges Ereigniß; ihres Lebens Sonnenstrahlen aber sind ihre erwachsenen Kinder, drei Töchter und zwei Söhne und das glückliche Eheleben mit ihrem Manne, Theodor Morgenstern, der alle ihre Bestrebungen begünstigte. –

Unter den vielen Frauen, welche hervorragende Verdienste um den „Allgemeinen deutschen Frauenverein“ hatten, nenne ich besonders Emma Laddey in München und Frau Professor Weber in Tübingen. Die Letztere, welche in Düsseldorf einen durchschlagenden Erfolg mit ihrem Vortrage: „Die Pflichten der gebildeten Frau gegen die Frau aus dem Volk“ hatte, ist eine der liebenswürdigsten Persönlichkeiten. In ihrer äußeren Erscheinung repräsentirt sie die echte deutsche Hausfrau, aus deren freundlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_720.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)