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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

beim Sehen zu bewirken. Nun giebt es jedoch Augen, in denen die erwähnte Verschiedenheit eine sehr große und dadurch störende ist. Dieser Baufehler ist dann gewöhnlich angeboren, und es gelten in der Regel die damit Behafteten für einfach schwachsichtig von Geburt aus. Ihr Blick hat oft einen eigenthümlich stechenden oder unbestimmten, unruhigen Ausdruck und die Hornhaut derselben läßt bei Beobachtung des Bildes der Gegenstände, die sich auf derselben abspiegeln, z. B. eines Fensters, ein eigenthümliches Verzogensein dieses Spiegelbildes deutlich erkennen. Die Ausdauer und Sehtüchtigkeit solcher Augen ist oft eine sehr schlechte.

Setzt man jedoch das richtige, freilich oft erst nach zeitraubenden und schwierigen Proben zu findende Cylinderglas vor, so werden beide Fehler wenigstens sehr gebessert, in einzelnen Fällen sogar nahezu gänzlich aufgehoben.

Die Wirkung dieser Gläser aber ist nicht leicht zu erklären, um so weniger, als die merkwürdigsten Krümmungsunterschiede in den genannten Richtungen vorkommen; doch wollen wir dies an einem möglichst einfachen Beispiele wenigstens versuchen.

Fig. 2.

Fig. 3.

Wir nehmen an, die senkrechte Wölbung der Hornhaut (c d) sei regelrecht (Fig. 2), die von rechts nach links (e f) dagegen viel zu flach. Die Aufgabe ist also, diese letztere der ersteren möglichst gleich zu gestalten. Dies geschieht dadurch, daß man ein in richtigem Grade convex geschliffenes (g) Cylinderglas (Fig. 3) senkrecht vor das Auge bringt. Auf diese Weise wird die zu geringe Wölbung der Hornhaut in der Quere künstlich ersetzt, ausgeglichen und das Sehen dadurch ein regelmäßiges. Wäre dagegen die senkrechte Wölbung zu stark, die quere aber richtig, so begreift es sich, daß man ein hohlgeschliffenes Cylinderglas quer vor das Auge halten müßte, um jene zu starke Krümmung bis zu dem Maße der schwächeren horizontalen zu verkleinern etc.

Augen, welche den eben beschriebenen Baufehler zeigen, nennt man astigmatische, den Fehler selbst Astigmatismus, weil die Besitzer solcher Augen einen Punkt (Stigma) nicht als solchen kreisrund, sondern nur länglich verzogen und ausgezackt sehen.

Fig. 4.     Fig. 5.

Eine andere Art von Brillen ist im Gegensatze zu den vorigen schon von der Schulzeit her, ihres berühmten Erfinders wegen, viel mehr gekannt, als sie benutzt wird, wir meinen die sogenannten Franklin’schen Brillen. Sie enthalten zwei, vielmehr zwei halbe Gläser (h): oben ein halbirtes hohl geschliffenes, unten ein halbes convexes Glas in einem Gestell (Fig. 4). Franklin construirte sich dieses Instrument, weil er kurzsichtig und alterssichtig zugleich war; zum Sehen in die Ferne gebrauchte er das Concavglas, zum Lesen, bei dem der Blick nach unten gerichtet ist, das Convexglas.

Aehnlich sind die Gläser mit doppelter Brennweite (i, Fig. 5); sie sind so geschliffen, daß der obere Theil ein schwächer gewölbtes und deshalb schwächer brechendes, der untere Theil ein stärkeres Convexglas darstellt. Sie dienen Fernsichtigen, die zum Lesen eines stärkeren Glases bedürfen, als zum Sehen in größere Entfernung. Beide Arten sind zwar hübsch erfunden, aber nur selten mit Vortheil praktisch anwendbar, dazu theuer; dagegen besitzt wieder die letzte hier zu erwähnende Brille, die prismatische (k, Fig. 6), diese Nachtheile nicht. Ihre Verwendbarkeit erstreckt sich auf Fälle von lähmungsartigen Zuständen einzelner das Auge bewegender Muskeln. Sie hat den Zweck, das durch den Ausfall einzelner Augenbewegungen gestörte Sehvermögen wieder herzustellen und den Strahlengang regelrecht zu machen.

Fig. 6

Anstatt die optische Wirkung derselben näher zu erläutern, was mit wenigen Worten doch nicht geschehen kann, wollen wir den uns noch zur Verfügung stehenden kleinen Raum zur Beantwortung einiger von Laien häufig an den Arzt gerichteten praktischen Fragen benutzen.

Die erste lautet gewöhnlich: Welche Form der Gläser ist die beste, die runde oder die ovale?

Jedenfalls die runde, weil bei ihr die optische Güte durch das Einschleifen gar nicht benachtheiligt wird und der Blick nach allen Richtungen stets der Mitte des Glases nahe bleibt. Sie ist zumal bei Altersbrillen vorzuziehen, besonders seitdem die frühere unschöne Pflugradgröße derselben auf anständigeres Maß zurückgeführt worden ist. Geboten ist die runde Form aber stets bei Staarbrillen und fast immer auch bei den cylindrischen Brillen. Die Vorzüge der runden Gläser erreichen die ovalen nicht, selbst wenn sie groß sind; doch können sie im letzten Falle jenen wenigstens möglichst wenig nachstehen, weil dann die Ränder des Glases selbst im kleinen Durchmesser noch hinreichend fern von der Mitte liegen. Dagegen sind die kleinen Brillen dieser Form, wie man sie häufig sieht, gerade so verwerflich, wie die kleinen achteckigen Lorgnettengläser, welche letzteren aber mit den ersteren verglichen wenigstens den Vorzug haben, daß sie nur kurze Zeit vor dem Auge sind. Das sogenannte Monocle ist, wenn auch rund, schon als geckenhafte Spielerei verwerflich.

Periskopische Brillengläser.

Was ferner die optische Schleifung anbelangt, so sind die auf beiden Flächen gleichmäßig convex oder concav (Fig. 7 und 8) geschliffenen den sogenannten planconvexen oder planconcaven Gläsern entschieden vorzuziehen, die sogenannten periskopischen aber sind die besten, weil der Strahlengang durch dieselben selbst an ihren Randtheilen gar nicht ungünstig beeinflußt wird, was bei den anderen beiden Sorten immer der Fall ist. Jene wirken an ihren Rändern stets auch noch wie schwache Prismen lichtbrechend.

Eine andere sehr wichtige Frage ist die nach der Fassung und dem Gestell der Brille.

Am häufigsten sind die Gläser in eine an der inneren Seite der Fassung befindliche Rinne gebettet. Dadurch werden die Ränder bei schwächeren Nummern, welche ja die häufigst getragenen sind, vollständig gedeckt, sodaß falsche Strahlenbrechungen von dem Einschleifrande her nicht stattfinden können. Bei stärkeren Nummern dagegen, oder, was in der Regel dasselbe sagt, bei dickeren Brillengläsern sind die reifartig gestalteten breiteren Fassungen vorzuziehen, weil nur durch solche die Glasränder in diesen Fällen ganz vom seitlichen Lichte abgeschlossen sind. Ganz verwerflich aber sind die den Glasrand überall freilassenden nicht gefaßten Brillengläser, wenn sie auch vielleicht eleganten Eindruck machen; ganz abgesehen von dem großen Fehler, daß bei ihnen von den Rändern her alle Arten störender Lichtreflexe das Auge treffen, können sie auch bei zufälligem Anstoßen und dergleichen dadurch gefährlich werden, daß dann Glassplitter leicht in das Auge dringen, was bei den durch eine Fassung geschützten Brillengläsern nicht oder doch viel weniger zu befürchten ist; zudem werden die nur in zwei kleinen Oeffnungen des Glases befestigten Gestelltheile sehr leicht wackelig, was begreiflicher Weise ein weiterer großer Nachtheil ist.

Die Construction des Nasensteges ist insofern von Wichtigkeit, als durch denselben das feste Sitzen der Brille wesentlich mitbestimmt wird. Die Auswahl unter den vorhandenen Formen sollte deshalb eine viel sorgfältigere sein, als dies gewöhnlich der Fall ist, das heißt, es sollte die dem Nasenrücken des Trägers ganz entsprechende jedesmal mit Sorgfalt ausgesucht werden. Weniger in’s Gewicht fällt dies nur bei dem sogenannten neutralen Nasenstege, der seinen Namen daher hat, daß er auf beiden Seiten gleichartig eingebogen ist, damit die Brille auch bei Umkehrung derselben gut sitzt und auf diese Weise bald das eine, bald das andere Glas bequem vor das Auge gebracht werden kann. Diese Möglichkeit ist bei Staaroperirten von großer Wichtigkeit, weil dieselben zwei meist sehr verschieden starke Convexgläser in einem Gestell für das eine operirte Auge nöthig haben, wovon sie das schwächere zum Sehen in die Ferne, das stärkere zum Lesen etc.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_739.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)