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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

ihnen, daß dies das einzige Mittel zu unser Aller Rettung sei, und daß es am besten sei, diesen Plan sofort auszuführen, so lange wir noch im Besitz des Bootes uns befänden. Da das Unternehmen ein sehr riskantes war, mußte ich den Steuermann, als einzigen den voraussichtlichen Strapatzen gewachsenen Europäer, zu zuverlässiger Hülfe in Nothfällen mithaben, den Malayen wollte ich nur zum Wasserausschöpfen gebrauchen, da das Boot leckte. Zuletzt stimmten Alle bei, nur Einer behauptete hartnäckig: ‚wenn Einer ginge, müßten Alle gehen oder Alle müßten dableiben,‘ deshalb wählten die anderen Matrosen selbst diesen Einen, daß er mit uns gehe.

Als die Sache soweit erledigt und beschlossen, ließ ich sofort die Schaluppe launschen und klar machen, Mast, Segel, Ruder, Steuer, Compaß etc. hineinbringen, meine Kiste mit Chronometer, Sextant, nautischen Büchern, Karten, den Schiffspapieren, holländische Flagge etc. als Ballast, und an Proviant eine Kiste mit Biscuit, 6 Dosen präservirtes Fleisch, 2 Flaschen Rothwein und 10 Flaschen Bier hineinsetzen. Dann nahmen wir Abschied, und bei munterer südlicher Brise, klarem, schönem Wetter und ruhiger See schifften wir uns ein.

Da die Piraten nichts merken durften (sie hätten uns vom Schiff aus noch leicht den Weg abschneiden können), ruderten wir erst direct auf’s Schiff los. Als wir endlich ziemlich nahe gekommen waren, sodaß der Wind uns günstig war, hörten wir plötzlich mit Rudern auf, setzten schnell den Mast auf, hißten das Segel und fort ging’s – in’s chinesische weite Meer hinein!

Als die Chinesen an Bord sich enttäuscht fanden und sahen, daß wir am Schiffe vorbei und in’s offene Meer hinaus segelten, erhoben sie ein großes Geschrei, doch wir spotteten bereits aller Verfolgung.

Wie wir später erfuhren, bekamen sie doch eine große Angst, als sie die beiden Europäer also entwischt sahen, verließen bald darauf insgesammt das Schiff und hielten große Berathung an Land. Den nächsten Tag fuhren sie wieder an Bord, richteten von vorn bis hinten mit ihren Beilen die größtmöglichste Verwüstung an, kappten dann den Fockmast halb durch, den Klüverbaum herunter, sägten das Ruder durch und hoben es aus, schlippten die Ankerketten und fuhren wieder an Land. Das arme Schiff aber wurde von einer Ebbesteigung seewärts geführt. Die Malayen konnten es noch am nächsten Tage – ein hülfloses Spielzeug von Wind und Wellen – weit ab am nordwestlichen Horizonte treiben sehen und bemerkten auch, daß über Nacht die Masten gefallen waren.

Unsere Bootreise verlief die beiden ersten Tage ziemlich glücklich, wir hatten mäßige Südwestbrise, mäßigen Seegang und schönes Wetter. Nur Nachts war es mißlich mit dem Steuern, da wir keine Laterne hatten und bei der bewölkten, nebeligen Luft die Neumondnächte pechdunkel waren, sodaß wir weder Sterne noch Compaß sehen konnten. Dennoch bekamen wir am Nachmittag des zweiten Tages die Berge der chinesischen Küste in Sicht, und Abends bei Dunkelwerden hatten wir das Feuer von Breaker-Point im Norden, bei etwa 10 Seemeilen Distanz.

Da wurde es gegen 9 Uhr windstill und eine Stunde später sprang ein steifer Nordoster auf. Der Wind steigerte sich in heftigen Böen rasch zum Sturm, und die See ging nach kaum einer halben Stunde schon so hoch, daß wir[WS 1] uns mit dem Boote nicht mehr bergen konnten. Ich ließ den Mast, das Segel mit Raae und Baum und ein paar Ruder zusammenlaschen, steckte das Ende der Fangleine mitten darauf, und wir warfen dies über Bord als schwimmenden Anker, worauf der Steuermann vorn, ich hinten, das Boot mit den zwei übrigen Rudern möglichst mit dem Kopfe auf der See hielten. Doch Sturm und See nahmen bald in einer Weise zu, daß all unsere Kraft und das schärfste Aufpassen kaum hinreichten, das Boot zu halten; der malayische Matrose hatte beständig zu thun, das hineinschlagende Wasser auszuschöpfen. Es war eine lange und traurige Nacht, und ich werde jene Stunden so leicht nicht vergessen, namentlich als das endlich anbrechende Tageslicht unsere verzweifelte Nothlage uns erst in ihrer ganzen nackten Schrecklichkeit erkennen ließ. Die See war gar zu hoch und wild, jede einzelne Woge ein Brecher, jeder Augenblick konnte unser letzter sein und ringsum nirgends Hülfe oder Rettung – wir waren allein in der weiten Meereswüste, allein auf uns selbst angewiesen. Schwere Böen brausten über uns dahin, Regen und Hagelschauer schlugen uns abwechselnd in’s Gesicht (wir hatten längst unsere Kopfbedeckungen verloren und waren nur leicht angezogen), doch mit hartnäckiger Ausdauer und höchster Anstrengung im Gebrauch unserer Ruder gelang es, uns selbst warm und das Boot flott zu erhalten, und wenn auch zuweilen ein gar zu wilder Brecher das Boot theilweise mit Wasser füllte, so gaben wir doch die Hoffnung nicht auf, schöpften rasch das Wasser aus und arbeiteten und ruderten weiter.

So ging es den ganzen Tag hindurch, es wurde Abend, und wieder brach die Nacht herein ohne irgend welche Veränderung im Wetter. Wir waren auf’s Aeußerste erschöpft; wie wir die Nacht überstanden, ist mir heute noch ein Räthsel. Zuweilen schien es, als wenn der Sturm etwas nachlassen wollte, und dann war die Gewalt der sich brechenden und überstürzenden Wogen um so schlimmer; dann wieder brauste der Wind mit neuer Wuth über uns dahin, und wir konnten nur mit Aufbietung aller noch übrigen Kräfte das Boot flott erhalten. Zuweilen wurde das Boot mit solcher Wucht von einem Brecher fortgerissen, daß die am schwimmenden Anker befestigte Fangleine mit schwerem Ruck und Krach sich spannte und wir stetig befürchten mußten, entweder das Tau reißen oder den Steven des Bootes herausbrechen zu sehen. Mehrere Male, da wir in einer unbezwingbaren Schlafsucht befangen waren, fielen uns die Ruder aus der Hand – der Körper verlangte sein Recht – bis nach wenigen Minuten eine See das Boot nahezu umwarf und uns immer auf’s Neue bis auf die Haut durchbadete. Zitternd vor Kälte griffen wir dann rasch auf’s Neue zu den (glücklicher Weise vorsichtshalber festgebundenen) Rudern, schöpften schnell das Wasser aus und nahmen den Kampf auf’s Neue auf. Der malayische Matrose war gar nicht mehr zu gebrauchen.

Endlich – endlich – endlich! graute der Morgen, doch die See war toller als je zuvor, der Sturm wüthete ungeschwächt weiter. Mehrere Male wollten wir schon den nutzlosen Kampf aufgeben – da sahen wir plötzlich etwa gegen 7 Uhr einen großen Dampfer auf uns zukommen. Rasch wurde die holländische Flagge an eins der Ruder gebunden, und ich ließ den Steuermann damit winken, während wir unsere Stimmen zu lautem Hülferuf vereinten und ich selbst mit dem anderen Ruder das Boot möglichst stetig hielt. Doch der Dampfer fuhr nahe vorüber, ohne von uns die mindeste Notiz zu nehmen. Man hatte uns zwar gesehen (wie ich später vom dritten Ingenieur des Schiffes in Hongkong erfuhr), doch man sprach: ‚das sind nur dumme Chinesen!‘ und fuhr weiter.

Bitter enttäuscht, doch ohne ein Wort zu sprechen, nahmen wir den Kampf gegen die Wogen auf’s Neue auf. Doch wir waren auf’s Höchste ermattet; der Wein war ausgetrunken, das Bier machte uns nur durstiger – die Noth fing an kritisch zu werden. Da nahmen Wind und See von etwa 10 Uhr an rasch ab; mit neu erwachender Hoffnung bemerkten wir es. Mittags konnten wir schon die Ruder einlegen, der Wind ging südöstlich. Gegen 2 Uhr war die See schon so nieder, daß wir das treibende Anker wieder einholen, den Mast aufsetzen und das Segel gerefft aufhissen konnten, dann steuerten wir vor dem Winde der Küste zu, die wir deutlich vor uns liegen sahen. Wir waren im Sturm, wie ich bald erkannte, von Breaker-Point bis Chelang-Point heruntergetrieben. Noch Abends liefen wir Fokai-Point vorbei und wollten dann in Lee, an der Nordseite von Mendoza-Eiland landen; doch als wir gegen 10 Uhr dorthin kamen, fanden wir nur steile Küste, Klippen und schwere Brandung. Schon wollten wir die Hoffnung aufgeben, da stießen wir auf ein großes Fischnetz, rasch wurde die Fangleine daran fest gemacht, Mast und Segel niedergenommen, und bald lagen wir im tiefsten Schlafe, dem ersten seit gut 90 Stunden.

Als wir am nächsten Morgen durch Stimmengeschrei geweckt wurden, war es bereits heller Tag; ein chinesischer Sampan lag neben uns mit etwa 8 Mann darin (wahrscheinlich die Eigner des Fischnetzes). Wir baten um etwas Wasser, doch statt dessen begannen die Chinesen unser Boot zu überholen und wollten sich Alles zueignen, wollten mir sogar den Ring vom Finger und den Rock vom Leibe ziehen, als ich indeß mit dem Steuermann Miene zu energischer Vertheidigung machte, entfernten sie sich rasch, wahrscheinlich in der Absicht, Verstärkung zu holen. So wie sie fort waren, schnitt ich die Fangleine des Bootes durch, wir setzten den Mast auf, hißten das Segel und bei frischer Ostbrise steuerten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: mir
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_747.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2023)