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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Dr. Eck eine Disputation über ein Büchlein vorschlug, in dem er mehr als 400 Ketzereien aus Luther’s Schriften zusammengestellt hatte. Der Kaiser zog am 15. Juni mit großem Pompe ein; vor der Stadt segnete der päpstliche Nuntius die Versammlung, die mit Ausnahme der protestantischen Fürsten niederknieete, doch als im Dome ein zweites Niederknieen stattfand, sah man den Kurfürsten von Sachsen und den Landgrafen von Hessen allein stehend über die Menge ragen; da erhob sich auch wieder der Markgraf von Brandenburg, der schon in Speyer die Protestation mit unterzeichnet hatte.

Der Kaiser aber ließ dann Abends die Drei mit dem Lüneburger Herzog zu sich rufen und verbot ihnen durch seinen ebenfalls anwesenden deutschredenden Bruder, den König Ferdinand, ihre mitgebrachten Theologen predigen zu lassen. Im Namen der Ueberraschten und Erschreckten antwortete darauf der Landgraf von Hessen, daß doch ihre Prediger nichts Böses oder Neues predigten, sondern allein das Wort Gottes, wie es die alten christlichen Lehrer ausgelegt und geschrieben hätten. Da erglühte des Kaisers Antlitz vor Zorn, und kurz erklärte er, er werde das Predigen nicht dulden. Darauf aber brach der Markgraf hervor:

„Ehe ich mir das Wort Gottes nehmen lasse und meinen Glauben verleugne, will ich lieber jetzt gleich niederknieen und mir den Kopf abhauen lassen.“

Betroffen rief der deutsche Kaiser, der der deutschen Sprache fast gar nicht mächtig war: „Nit Kopf ab, lieber Fürst, nit Kopf ab.“

Nochmals erklärten sie, sie könnten von ihren Predigern nicht lassen, nochmals versicherte Ferdinand, der Kaiser, dem es Gewissenssache sei, werde es durchaus nicht leiden, da erklärte auch der Landgraf:

„Kaiserlicher Majestät Gewissen ist nicht Herr und Meister über unser Gewissen.“

Darauf gingen sie mit einem Tage Bedenkzeit davon.

Das war die Lage des Jahres 1530. Es schien Alles verloren! Man hatte mit Rom jede mögliche Verständigung gesucht und zog sich auch jetzt in der Augsburgischen Confession, die nicht aus Luther’s Geist noch aus seiner Feder stammt, auf das Aeußerste zurück, sodaß Luther schrieb, so sanft und leise hätte er freilich nicht treten können; Melanchthon aber, der Verfasser der Confession, seufzte:

„Wollte Gott, daß wir den Frieden erhielten, wäre es auch um noch härtere Bedingungen als diese.“

Ja noch in letzter Stunde faßte dieser ängstliche Gelehrte den Arm des Kurfürsten, als derselbe die Confession unterschreiben wollte, und meinte, die Fürsten sollten nicht so viel wagen, sondern nur die Theologen unterschreiben lassen. Weil aber Johann ihm antwortete: „Ich will thun, was recht ist, unbekümmert um meinen Fürstenhut,“ hat sich Luther über diese „Confession der Fürsten“ höchst erfreut ausgesprochen, ein Wort, das „bekenntnißtreue“ Theologen auf das Schriftstück der „Augsburger Confession“ zu beziehen wagen, weil sie die letztere mit Vorliebe gern als das Grundbekenntniß der gesammten protestantischen Kirche bezeichnen. Luther saß unterdessen auf der Veste Coburg, schrieb Gutachten und Flugschriften in Menge und übersetzte neben den Psalmen und Propheten auch die Fabeln des Aesop! Ueber seine Ausschließung vom Reichstage weiß er sich mit etwas satirischem Humor zu trösten, indem er an seine „lieben Tischgenossen in Wittenberg“ schreibt:

„Ihr wißt, daß wir nicht auf den Reichstag gen Augsburg ziehen; wir sind aber wohl auf einen andern Reichstag kommen. Es ist ein Rübfeld gleich an unserm Fenster hinunter, wie ein kleiner Wald, da haben die Dohlen und Krähen einen Reichstag hingelegt, da ist ein solch Zu- und Abreiten, ein solch Geschrei Tag und Nacht, als wären sie alle trunken, voll und toll. Es sind große, mächtige Herren; was sie aber beschließen, weiß ich noch nicht. So viel ich aber von einem Dolmetscher vernommen, haben sie einen gewaltigen Zug und Streit vor wider Weizen, Gerste, Hafer und allerlei Korn und Getreide und wird Mancher dabei Ritter werden und große Thaten thun. So sitzen wir hier auch im Reichstage, hören und sehen, wie die Fürsten und Herrn ritterlich schwänzen, den Schnabel wischen und die Wehr stürzen, daß sie siegen und Ehr einlegen wider Korn und Malz. Wir wünschen ihnen Glück und Heil, daß sie allzumal an einem Zaunstecken gespießt wären.“

In diesem Schlußworte ist am besten die Stimmung ausgedrückt, in welcher sich Luther damals der Gesellschaft, die auf dem Augsburger Reichstage versammelt war, gegenüber befand. Damals schrieb Luther auch das bekannte köstliche Briefchen an seinen vierjährigen Sohn Hänschen und ließ eine ernste, geistesfrische und hohe Schrift „an die in Augsburg versammelten Prediger“ ausgehen, in welcher er sich selbst an den großen Tagen der Vergangenheit erquickt, die zahlreichen Früchte, die weitgreifenden Folgen seiner Reformation darlegt und dieselbe noch einmal mit aller Hoheit und Kühnheit seiner besten Tage rechtfertigt. Je freudiger er der Vergangenheit gedenkt, um so kühler, ja fast gleichgültig sieht er dem Treiben der Gegenwart zu, von der er nicht viel mehr erwartet als den Anfang eines langsamen Zerfalles: denn er weiß Keinen, dem er so recht trauen, auf den er so recht bauen könnte für die Zeit, da er selbst nicht mehr da sei.

Und er hatte wohl Recht, denn damals konnte Melanchthon, zwölf Tage nach der Ueberreichung der von ihm verfaßten Augsburgischen Confession, dem römischen Cardinal Campegius schreiben:

„Wir haben keine von der römischen Kirche verschiedene Lehre, wir sind auch bereit derselben zu gehorchen, wenn sie nur nach ihrer Gnade, welche sie stets gegen alle Menschen gebraucht hat, einiges Wenige übersieht oder fahren läßt, was wir nicht mehr ändern können, wenn wir es auch ändern wollten.“

Das war freilich nicht des Mannes Geist, von dem einer seiner Schüler Namens Spangenberg schrieb:

„Wenn ich den Dr. Martin Luther durch Wittenberg gehen sah, dünkte mich’s, als sähe ich ein wohlgerüstet Streitschiff, das unter die Feinde auf dem ungestümen Meer dieser Welt, unter die Papisten, Juden, Schwärmer und Rottengeister getrost und unverzagt hineinsetzet, alles verjagt und erlegt, und in fröhlichem Triumph den Sieg herwieder brächte.“

So ging die frohe freudige Jugendzeit der Reformation bereits vor Luther’s Tode zu Ende, und er selbst, von Leiden geplagt, grämlich, zänkisch und eigensinnig, wie es zuweilen des übermüdeten Alters Art ist, ging sichtlich seinem leiblichen Zerfall entgegen. Und so starb er schließlich alt und elend auf einer Reise nach Mansfeld, in seinem Geburtsort Eisleben, am 18. Februar 1546. Aber ein dauernd wirksames Leben führte er von da an bis heute in der dankbaren Erinnerung der deutschen Nation, und wird es führen, so lang „die deutsche Zunge klingt“. Wenn auch seine Schriften – was nicht so sein sollte – thatsächlich nur noch von Wenigen gelesen werden, so ist doch sein Charakterbild, seine Geschichte so fest und scharf in die ehernen Tafeln der deutschen Geschichte eingegraben, daß auch die gehässigste Polemik sein Andenken nicht dauernd schänden kann.

Wie sehr unser Luther einem Jeden, der ihm näher tritt, das Herz abgewinnt, hat Gustav Freytag in dem wahren Worte ausgesprochen:

„Manches an ihm erscheint fremd und unhold, so lange man ihn aus der Ferne betrachtet, aber dieses Menschenbild hat die merkwürdige Eigenschaft, immer größer und liebenswerther zu werden, je näher man herantritt.“




Blätter und Blüthen.

Die Taubenfütterung auf dem Marcus-Platz in Venedig. (Abbildung S. 749.) Im Jahrgang 1866, S. 340 der „Gartenlaube“ schilderten wir einen Mittag auf dem Marcus-Thurm, welchem ein Bild der allmittäglichen Taubenfütterung auf dem Marcus-Platz (von Paul Thumann) beigegeben war. Diese Fütterung, die seit undenklichen Zeiten als eine fromme Sitte, wohl in Folge einer Stiftung, stattfand und selbst durch die Hungersnoth während der Belagerung 1849 nicht unterbrochen wurde, hat sich bis heute auch trotz des pietätlosen Zeitstromes der Gegenwart erhalten. Noch jeden Mittag um zwei Uhr kommen die blauen Tauben in Menge herbeigeflogen, um sich ihre regelmäßige Labung zu holen. Unser heutiges Bild stellt die Scene vor einem der drei Flaggenmaste dar, welche vor der Marcus-Kirche stehen, einst die Flaggen der drei der Republik Venedig unterthanen Königreiche Cypern, Candia und Morea, später die kaiserlich österreichische Fahne trugen und durch die graziöse Eleganz der Ornamente das Auge fesseln. Nach Gsell-Fels sollen die Ceremonien des Palmfestes den Tauben ihre geschützte Stätte verleihen.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_754.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)