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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

schmücken, sind dem Verfasser, Hofrath Dr. Georg Horn in Potsdam, aus den archivalischen und Kunstschätzen des deutschen Kronprinzen, der Großherzöge von Mecklenburg-Strelitz und Hessen zur Verfügung gestellt worden. Diesem Werke, welches demnächst im Verlage der Grote’schen Buchhandlung in Berlin erscheinen wird, ist auch die Illustration entlehnt, welche unseren Lesern ein wenig bekanntes Gemälde von J. C. Dähling im Holzschnitte vorführt. Dasselbe stellt die Begegnung der Königin Louise mit Kaiser Alexander I. dar, welche am 10. November 1802 in Memel stattgefunden hat.

Damals war diese nördlichste Stadt im Reiche – wir folgen hier der Darstellung G. Horn’s – nur durch ihren Seehafen und ihren Handel mit Rußland bedeutend. Dieser brachte viel Leben in die Stadt. Besondere Annehmlichkeiten bot die letztere sonst nicht, auch selbst nicht im Aeußeren. Die Einwohnerschaft belief sich auf etwa 8600 Seelen. Die Straßen waren eng, finster, unregelmäßig. – Hervorragende Gebäude gab es wenig, das eleganteste Haus gehörte dem dänischen Consul, und hier hatten Friedrich Wilhelm III. und Königin Louise Wohnung genommen, um auf der Grenze beider Reiche den Beherrscher des Nachbarstaates zu erwarten.

Unsere Illustration stellt die Persönlichkeiten dieser Zusammenkunft dar. Es ist ein Gruppenbild aus jener Zeit, arrangirt mehr nach der Phantasie und dem Gesetze und Bedürfnisse künstlerischer Darstellung, als nach der Wirklichkeit. Der Mann, der sich mit graziöser Verbindlichkeit, mit männlicher Huldigung der Königin entgegenneigt, ist der Kaiser Alexander. „Er ist ein schöner Mann,“ schrieb in jenen Tagen unter dem frischen Eindrucke die Gräfin Voß, „blond, mit einer sehr frappanten Physiognomie, aber die Gestalt ist nicht schön oder vielmehr er hält sich nicht gut.“ Links von ihm steht der König, den russischen Kaiser an Leibeslänge überragend, seine Handbewegung deutet die Situation der Vorstellung an. Links von ihm sein nächstältester Bruder Prinz Wilhelm, dann der jüngere Bruder des Königs, Prinz Heinrich. Dahinter das russische und preußische Gefolge, unter jenem der Gesandte von Alopäus, die Fürsten Tolstoi, Kossubey, Dolgorucki, Lieven, unter diesem der wegen seiner ausgesprochenen russischen Sympathien bekannte Graf Kalkreuth, der Gouverneur von Danzig, ferner der kleine dicke Hofmarschall von Massow. Den Mittelpunkt des Bildes bildet die Königin. Meister Dähling, sonst als ein etwas trockener akademischer Zeichner bekannt, hat während dieser Reproduction eine seiner wenigen glücklichen Stunden gehabt. Man erhält durch die Figur der Königin einen Eindruck von ihrer Anmuth, ihrer Würde und Hoheit, von dem Zauber ihres Wesens; die runden Wellenlinien des Körpers, die Haltung der rechten Hand, das halb erhobene, zu dem Kaiser aufschauende Haupt werden zum sprechenden, lebendigen Ausdrucke. Ein glücklicher charakteristischer Zug geht durch alle Gestalten, so auch durch die der Gräfin Voß. Letztere hat sich Zeit ihres Lebens über dieses Bild nicht beruhigen können. Sie ist auf demselben mit aufgenommener Schleppe dargestellt, während es erstes Gesetz der Etiquette ist, diese vor einem Souverain entfaltet zu tragen. Die jüngere Dame links an der Seite der Gräfin Voß ist die Gräfin Moltke. Hinter den Damen stehen die Kammerherren von Schilden und von Buch. – In Wirklichkeit allerdings gestaltete sich die erste Begegnung zwischen den maßgebenden Persönlichkeiten etwas anders. Friedrich Wilhelm III. war dem Kaiser bis eine Meile vor Memel entgegengeritten, der Kaiser kam, escortirt von Detachements preußischer Husaren und Dragoner, von der Landesgrenze aus im Wagen angefahren, stieg aber gleich zu Pferde und hielt so an der Seite des Königs seinen Einzug in die preußische Stadt. An der Treppe der königlichen Wohnung erwarteten ihn die Gräfinnen von Voß und Moltke. Die Königin empfing den Kaiser im ersten der Gemächer, die sie bewohnte, und ging mit ihm und ihrem Gemahle in den daran stoßenden Salon. Unterdeß hatte sich der Hofstaat im Vorzimmer versammelt, und dann traten die Majestäten wieder heraus, um die gegenseitigen Vorstellungen entgegenzunehmen. Sechs Tage blieben die beiden Herrscher beisammen. Die Zeit ging zumeist mit militärischen Uebungen hin.

Aber auch politische Fragen wurden auf dieser Zusammenkunft erörtert, für Preußen sogar sehr brennende. Es handelte sich um sehr schöne Landestheile, die sich Preußen aus der Karte des deutschen Reiches ausschnitt. Wo alle Reichsstände dreist und unverfroren zugriffen, um sich an dem Besitzthum der Kirche für die Verluste auf dem linken Rheinufer zu entschädigen – da konnte der Staat Friedrichs des Großen doch nicht zurückbleiben, und wohl darf man es jetzt sagen, daß die Minister des Königs nicht blöde im Fordern waren: im Ganzen wurden von Preußen zweihundert Quadratmeilen mehr gefordert, als es aufgegeben hatte. Diese Entschädigungen wurden im Beisammensein der Monarchen und deren Minister verhandelt – und das Resultat war der sieben Monate darauf eingereichte Entschädigungsplan bei der Reichsversammlung in Regensburg, der ein Jahr darauf, 1803, zum Reichsdeputationsbeschlusse führte. Und der Preis, den Frankreich dafür forderte? Das linke Rheinufer! Immerhin! Es waren ja nicht deutsche Reichsstände, die das Geschäft der Theilung besorgten – dieses hatte man großmüthigst an Rußland und Frankreich überlassen, wohl um der Parteilichkeit willen. Im deutschen Rhein floß in jenen Tagen die deutsche Schmach, und hier an der Ostgrenze der preußischen Monarchie, im Herzogthum Preußen, das allerdings nie zu dem deutschen Reiche gehört hatte, wurden die Verträge besiegelt.

Nicht mit Unrecht schließt daher der Verfasser des genannten Werkes die Schilderung der Memeler Zusammenkunft mit folgendem Ausruf:

„Der Rhein, o Königin, an dem die Auen Deiner Heimath lagen, in dem der Nibelungenhort, die deutsche Ehre ruht! Du freutest Dich, wie Leonore d’Este, ‚wenn kluge Männer sprechen‘, daß Du verstehen könntest, ‚wie sie es meinen‘. Aber war es denn so klug? Gab Preußen sich im Rhein nicht für Deutschland auf, trieb es die kleinen Fürsten nicht in des Eroberers Arme? Hat Dein Herz, Königin, nicht in seinem Schmerze aufgezuckt, wie deutsche Länder achtlos an Frankreich hingeworfen wurden?“




Blätter und Blüthen.

Vom Bücher- und Bildermarkt für den Weihnachtstisch. (Fortsetzung von Nr. 47.) Wir beginnen diesmal mit den kostspieligeren Leistungen der Kunst und Literatur, welche auch durch ihre bevorzugte äußere Ausstattung andeuten, auf welcherlei Käufer sie warten. Voran steht ein Werk, das ein dreifaches Interesse für sich in Anspruch nehmen kann: das des Gegenstandes und seiner wissenschaftlichen und künstlerischen Behandlung. Dieses Werk ist:

Richard Wagner’s Frauengestalten, erläutert von Richard Gosche, ordentlichem Professor an der Universität zu Halle-Wittenberg. Mit 12 Illustrationen nach Cartons, unter Benutzung photographischer Aufnahme gemalt von J. Bauer und E. Limmer Leipzig, Verlag von Edw. Schloemp.“ – Wagner’s Frauengestalten! An welchem gebildeten Auge zieht nicht bei diesem Worte eine Reihe der erhabensten Erscheinungen des Frauenlebens der Sage und der Geschichte vorüber! Und wie einig und innig reichen sich bei ihrer Vorführung Wissenschaft und Kunst die Hand! In der Einleitung zeigt uns Gosche in seiner klaren, frischen und warmen Darstellungsweise den Weg, auf welchem Wagner zur immer höheren Würdigung der Frauen emporstieg, und dieselben Vorzüge zeichnen die anschaulichste Charakteristik jeder der zwölf vorgeführten Gestalten aus, während wir dabei, wie ein Beurtheiler des Buches sagt, „gleichzeitig die gesammte künstlerische Entwickelung Wagner’s von Rienzi an bis zu Parsisal durchlaufen“.

Der künstlerische Antheil am Werke stellt in scenischer Umgebung die getreuen Portraits folgender zwölf Primadonnen dar: Lili Lehmann als Irene im „Rienzi“, Therese Malten als Senta im „Fliegenden Holländer“, Mathilde Weckerlin als Elisabeth im „Tannhäuser“, Ida Beber als Venus des Hörselbergs, Mathilde Mallinger als Elsa und Fanny Moran-Olden als Ortrud im „Lohengrin“, Rosa Sucher-Hasselbeck als Eva in den „Meistersingern von Nürnberg“, Therese Vogl als Isolde und Angelika Luger als Brangäne in „Tristan und Isolde“, Anna Sachse–Hofmeister als Siglinde und Hedwig Reicher–Kindermann als Brünnhilde im „Ring der Nibelungen“, und Amalie Friedrich–Materna als Kundry im „Parsifal“.

Es wird kaum nöthig sein, dieses Prachtwerk als ein Weihnachtsgeschenk ganz besonders für Verehrerinnen Wagner’s zu empfehlen.

Für Freunde der bildenden Kunst giebt die Wiener Künstler-Genossenschaft ein „Internationales Künstler–Album“ heraus, dessen Inhalt in einer Auswahl von 25 Lichtdrucken nach Handzeichnungen hervorragender Künstler der Neuzeit besteht und das im Verlage der kaiserlich königlichen Hof– und Universitätsbuchhandlung von R. Lechner in Wien

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_786.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2024)