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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Aber hier hilft mir kein Dienstbote, und gethan muß es sein.“ Sie faßte sich einen Muth, drückte ihr Herz zusammen, wenn es auch gegen den Zwang schütterte und klopfte, daß selbst die gebrannte Spitze, die ihr Häubchen einrahmte, davon zitterte. Langsam schritt sie durch die mit Buxbaum eingefaßten Wege heran und gab Hermann das Schreiben.

„Es ist von Zacharias gekommen,“ sagte sie. „Er wirft sich darin auf als nunmehriger Herr unsrer Sippe. Und er will heimkehren, sobald die Winterkälte ihm völlig Sicherheit giebt gegen die Pestilenz.“ Ihr Ton klang bitter.

Hermann warf einen Blick auf den Brief und dann auf sie. Sie sah an ihm vorüber, als fürchte sie, seinem Auge zu begegnen. Da erblaßte auch er.

„Du meinst, ich sei nun überflüssig,“ sprach er langsam. „Ich soll wieder gehen.“

Sie verschluckte ein Schluchzen, das tief aus dem gequälten Herzen stieg. In vielen schlaflosen Nächten hatte sie gesonnen, geprüft und abgewogen, was zu thun das Rechte sei. Sie hatte den Entschluß, wie es werden sollte, allein werden konnte, sich abgerungen. Nun aber mußte er auch durchgeführt werden, ohne rechts und links zu schauen. Fast mechanisch redete sie, wie sie sich vorgenommen hatte: „Das ist gewißlich das Beste. Sieh, Hermann, wir müssen den Kopf oben behalten; den hat der Herr in seiner unerforschlichen Weisheit zu oberst gesetzt, auf daß er den ganzen Menschen regiere. Auch das Herz muß ihm gehorchen; denn hätte Gott es anders gewollt, so meine ich, er hätte dasselbige oben darauf gestellt. Glaube mir, ich habe nichts vergessen,“ fuhr sie innig fort, und die Stimme wurde hell, und die Worte flogen von ihren Lippen, „nicht, wie Du als Kind mit mir gespielt und mich den Katechismus gelehrt hast, der mir so schwer zu Kopfe ging, nicht, wie Du als großer Bursch für mich die Arbeit in der Nacht thatest, von welcher Du wußtest, ich schaffte sie nicht gern. Und Gott ist mein Zeuge, mit wie heißem Segenswunsch ich Dir dafür danke, daß Du aus der gesunden Stadt Erfurt in das verpestete Arnstadt eiltest, und als ich verlassen zwischen Todten und Sterbenden stand, zu mir tratest in das gemiedene Haus wie ein Engel vom Himmel. Dessen will ich eingedenk sein bis zu meinem letzten Stündlein. Aber,“ fuhr sie leiser fort, „unsere Lebenswege scheiden sich einmal. Ich bin in angesehener Bürgersippschaft geboren, Du bist eines armen Flickschusters Sohn.“ Schluchzen erstickte ihre Stimme.

Es war still; nur leise fiel ein Blatt von dem Rosenstrauch, von dem Hermann im Frühling eine Knospe gebrochen hatte, zur feuchten Erde nieder. Hermann stand wie gelähmt. Jetzo enthüllte sich das Schreckniß, vor dem ihm seit Wochen gegraut, und nun verwunderte er sich, daß es ihm nicht von Anfang an klärlich vor Augen gestanden hatte. Er kannte ja die großen Bürger seiner Vaterstadt. Sollte ihm widerfahren sein, daß ganz heimlich in seinem Herzen die Hoffnung aufgekeimt wäre, Hannchen würde, verwaist, der Stütze bedürftig, ihn um seiner treuen Liebe willen zum Ehegesponsen wählen? Er wußte es selbst nicht. Nur das fühlte er: es gab kein größeres Herzeleid für ihn, als die Trennung von ihr. In der Angst vor diesem Schmerz verleugnete er selbst das große, tiefste Gefühl seines Lebens.

„Du bist im Irrthum, Hannchen, wenn Du glaubst, daß ich etwas von Dir will,“ suchte er sie zu überreden. „Die Muhme und die Mutter haben Dich verwirrt. Ich will nichts als ein Eckchen in Eurer Mühle und die Erlaubniß, die Wohlthaten, die Ihr mir erwiesen habt, mit meiner Hände Arbeit zu vergelten.“

(Fortsetzung folgt.)

Im Congoland: Landschaft bei Kalubu.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 793. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_793.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)