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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Nöthigen der Gäste beizustehen, wie das üblich war, und den Discurs zu wenden, so die Rede auf unliebsame Dinge kommen sollte.

Und sie erwies sogleich ihre gesprächsame Laune, „Ich wünsche allerseits einen gesegneten Abend,“ begann sie. „Das ist recht, daß Ihr aufhört, allezeit Trübsal zu blasen. Ei, welch fürtreffliche Wurst habt Ihr aufgetafelt! Wie hoch ist der Kuchen aufgegangen! Und wie schmuck sieht die Hanne wieder aus!“

Die Schmidtin hatte Recht. In der frischen Winterluft war Johanne auf’s Neue erblüht; ihre Wangen hatten die zarte Rundung, ihre warmen Farben den weichen Schmelz wieder erhalten. Sie konnte mit Fug abermals die schönste Jungfer in Arnstadt heißen. Aber es entging der Muhme, daß ein scharfer Zug um den kleinen Mund sich gelegt hatte, und die sonst leuchtenden rehbraunen Augen mit hartem Blicke um sich schauten. Johanne, welche beschäftigt war, die Lichter anzuzünden, achtete der Schmeichelei nicht. Die Muhme zwinkerte der Frau Henningin zu, die hinter ihrem weitläufigen Spinnrad saß, auf dessen Fuß die Weise mit befestigt war, und einen neuen Wocken anlegte. Dann hub sie wieder an: „Mühmchen, ich verhoffe, daß Du Deine holzböckische Art dem Nicolaus Fischer gegenüber endlich aufgiebst. Seit einem Jahre läuft er schon mit der Leimstange nach Dir. Ich fürchte, ich fürchte, er wird es endlich überdrüssig; denn die angesehensten Bürgersippen reißen sich um ihn.“

Frau Henningin steckte das Ende einer neuen Flachskaude in den Schürzenbund, breitete die gelben feinen Härchen über den Schooß und nörgelte mißmuthig: „Es wird doch nicht die Narrethei mit dem Hermann Zimmermann Ursache Deiner Weigerung sein? Seine Bravheit, sein getreues Herz in Ehren; aber Du wirst doch nicht vergessen, was Du Deiner Sippe und unserem angesehenen Namen schuldest?“

„Lieber gar!“ rief die Muhme, die Hände zusammenschlagend.

„Ei, Hermann ist viel größer als Nikel,“ ließ eine Stimme sich vernehmen, und Bastian kam hinter dem Ofen hervor.

„Und auch viel hübscher,“ ergänzte Christel, die ihm mit Benjaminlein folgte. „Was hat er für große blaue Augen! und was für schöne weiße Zähne!“

„Gott behüte Dich, Kind!“ rief die Schmidtin entsetzt. „Wie kannst Du also unziemlich sprechen? Ich werde es Deiner Schulmeisterin sagen. Sie soll Dich auf Erbsen knieen lassen, bis Du erkennst, daß alle Schönheit Würmerspeise ist. Und Dich, Bastian, muß der Lehrer mit dem Bakel Mores lehren.“

Christel wich erschrocken zurück. Aber Bastian schob trotzig seine kleine stämmige Gestalt vor die Muhme und, das pausbackige Gesicht in finstere Zornesfalten legend, stellte er sie zur Rede: „Ihr habt uns doch so oft erzählt, wie gern die Mutter den Vater gefreit hat. Warum wollt Ihr nun die Hanne dazu zwingen, den Nikel zu ehelichen? Nein, wir wollen auch heirathen, wen wir mögen, und dem Hermann gönnte ich unsere Hanne am liebsten.“

„Benjamin auch! Garstige Muhme!“ stimmte der Kleine bei und führte einen Streich nach ihrer steif gestärkten Schürze.

„Daß Gott erbarm! Ist das eine Rotte Korah!“ rief die Muhme. „Denkt an mich, Frau Henningin! Wenn die in die Höhe kommt, bleibt kein Stein auf dem andern stehen in der Papiermühle.“

Frau Henningin ließ verdrüßlich die Unterlippe hängen, wickelte ihren aufgebreiteten Flachs um den Wockenstab und steckte das veilchenblaue Band darum. Aber Bastian legte unbekümmert beide Arme breit auf den Tisch, stützte den Kopf aus die Hände und sprach: „Die Papiermühle gehört mir und nicht Euch, und wenn ich sie einreißen will, geht es Euch nichts an.“

Johanne führte die hülfreichen Geschwister wieder hinter den Ofen; aber sie gab jeglichem zum Trost ein Schlenkerwürstchen mit auf den Weg. Der Familienrath war damit zu Ende. Denn nun hub die Hausthür ein unaufhaltsames Geklingel an. Eine Jungfer nach der andern erschien, jede mit ihrem Spinnrad. Und die Muhme begann ihres Amtes zu walten wie der Hofmeister des Grafen in der Neidecke.

„Um Vergebung, liebes Mühmchen, wie befindet Ihr Euch?“

„Zu dienen, Frau Muhme, so so.“

„Freut uns sehr zu hören; wollet Platz nehmen.“

„Nein, Frau Muhme, nicht zu oberst, dazu bin ich zu gering.“

„Liebes Mühmchen, wer sollte oben sitzen, wenn nicht die Tochter vom größten Metzger der Stadt?“

„Ei, die Tuchmacher dünken sich noch mehr, der Bärbe Brotkorbin gebührt die Ehre.“

„Ich setze mich zu Hanne,“ sprach Barbara und rückte neben die Tochter des Hauses, die untenan saß und ihr freundlich Platz machte.

Zuerst mußte fleißig gesponnen werden. Die aus braun gebeiztem oder verschiedenfarbigem Holz gedrechselten Spinnräder waren festlich aufgeschmückt mit farbigen, golddurchwirkten Wockenbändern und gleißenden Netzbechern von Kupfer und Messing, die mit den Glöckchen und Ringen an den Spinnrädern um die Wette klirrten, als diese jetzt angedreht wurden. Gesang dazu war unerläßlich. Auch hierin war die Muhme, wie in allen Künsten, die dazu dienten, das Leben unterhaltsam zu machen, wohl erfahren. Wie sie in der Kirche sich allezeit beim Gesang wacker herfürthat mit Schnörkeln und langem Aushalten, so stimmte sie auch jetzt ein Lied an:

„Spinn, Mägdlein, spinn!
So hast du klugen Sinn,
Und triffst du das Rädlein ohne Ruh,
So schenk ich dir schöne Schnallenschuh.“

Die Jungfern antworteten im Chor:

„Schuh hin, Schuh her, stellt ein das Reden,
Ein plumper Platschfuß wächst vom Treten.“

Abermals hub die Muhme an:

„Ehr, Mägdlein, ehr
Die alte Spinnkunst sehr.
Und spinnst du heut deinen Wocken leer,
Ein Häublein von Seiden ich dir bescheer.“

Und wieder sangen die Jungfern:

„Was soll das Häublein? Müßt doch mich verstecken
Mit meiner Hängelippe vom Lecken.“

Eindringlicher noch stellte die Muhme vor:

„Preis, Mägdlein, preis
Der Spinnerinnen Fleiß.
Geschwinde spinne die Spule voll,
Ein Ringlein von Golde dein Lohn sein soll.“

Aber die Jungfern ließen sich nicht erweichen:

„Was Ringlein! Die Hände dürft Keiner doch sehn
Mit dem breiten Daumen vom Fadendrehn.“

Jetzt stieß die Muhme Johannen in die Seite und sang mit einer Stimme, die so mild klang, als sei sie mit Mehl bestreut:

„Spinn, Mägdlein, spinn
Du hast deß wohl Gewinn.
Hei! Hast du die Truhe voll schneeig Lein,
So wird dich der Nikel zu Ostern frein.“

Die Jungfern kicherten, Barbara’s Rad stockte, Johanne aber sang mit heller hoher Stimme:

„Hei! Habt Ihr das Bierfaß angeboten,
So mögt Ihr’s geruhig weiter schroten.“

Die Muhme begann dräuend mit dem Pfauenschweif auf sie los zu nicken, als sie weiter sang:

„Glaub, Mägdlein, glaub
Und sei dem Wort nicht taub:
Wenn du hienieden bist ledig geblieben,
So mußt du im Himmel die Wolken schieben.“

Die Jungfern, die überzeugt waren, daß keiner unter ihnen ein solches lächerliches Schicksal bevorstand, brachen in jubelndes Gelächter aus.

Dann sang Barbara wie ein Mäuslein zirpend:

„Dem Nikel kann Keine widerstehn,
Laßt uns treten und lecken und Faden drehn.“

Nun schnurrten die Rädlein eifrig, und Alle vereinigten sich zum Schlußvers:

„Dank, Mägdlein, dank
Dem Schöpfer, daß du nicht krank,
Auf daß du kannst fein oft und viel
Noch treiben dieses Wockenspiel.“

Da klingelte die Thür wieder. Herr Fischer an der Spitze der Junggesellen erschien:

„Guten Abend mit einander.“

Im Nu waren viele Fäden abgerissen, und im selben Augenblick hatten die jungen Männer den Jungfern die Wocken entwunden. Mit einem Kuß mußten sie dieselben lösen. Lautes Gelächter und Geschrei entstand; ein paar Räder fielen dabei um

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 808. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_808.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)