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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

und zerbrachen. Nikel schaute erpicht nach Johannens Faden; aber diese hatte vorsichtig das Rad angehalten, und der sonnenklare haarfeine Faden ruhte unverletzt in den feinen Fingerspitzen. Dagegen riß Barbara den ihrigen entzwei, da Nikel zwischen sie und Johannen trat. Wollte er nicht unhöflich sein, mußte er den Wocken nehmen. Sie löste ihn mit einem Kuß aus seine rothen Wangen aus.

Er wandte sich dann gereizt zu Johannen: „Die Jungfer Henningin hat für keinen Junggesellen einen Kuß mehr übrig, so viel hat sie ihren Flachs geküßt, geleckt und durch die Finger gezogen.“

„Mißgönnt es dem zermarterten Kräutlein nicht,“ antwortete die Muhme Schmidtin statt ihrer. „Denk, was es leiden muß mit rupfen und raffen, ertränkt werden, darnach auf der Haiden gedörret, von Neuem gedroschen und geschlagen, zerbrochen, umbgeschwungen und durch Stacheln und Spieße der Hecheln geschleift werden. Erst wenn es an dem Galgen des Wockens hänget, wird es mit Küssen herrlich tractiret.“

„Welche Wohlredenheit die Muhme besitzt!“ rühmten Alle.

Diese aber flüsterte hinter der vorgehaltenen Hand Herrn Fischer zu: „Also gehet es auch einem wackeren Freier, der um eine spröde Jungfer wirbt. Erst martert sie ihn; aber wer ausharrt, führt die Braut heim, und dann kommt die Zeit, wo der Mann schnapp! abhaspelt, was er vor der Hochzeit ausgewickelt hat. – Nun aber,“ erhob sie ihre Stimme, „wollet Platz nehmen.“

Die jungen Gesellen drängten sich in bunter Reihe zwischen die Jungfern. Das Schmausen und Trinken begann und damit die Hauptthätigkeit der Muhme.

„Ich bitte die ehrenwerte Kumpanei,“ begann sie zu nöthigen, „daß sie die liebe Gottesgabe nicht verachtet, wenn sie auch nicht zum Besten gerathen ist. Nehmt Euch noch ein Stück von dem gepreßten Schweinskopf, Vetter Rathsbrunnenmeister, kein Mensch kann auf einem Bein stehen. Jungfer Bärbe, tut nicht, als wäret Ihr ein Vöglein und hättet genug an einer Semmel, redet den Magenzipfel dazu an! Laßt Euch unsern Trunk gefallen, Herr Fischer, so gut wir ihn geben können. Freilich ist’s kein Fischer’sches Bier. Thut einen tapfern Zug, wackere Junggesellen! Betrübt es doch den Kurfürsten von Sachsen nicht, das Biergörgelein genannt zu werden, und ein Pfalzgraf soll sich gerühmt haben, seine Zechbrüder allezeit gen Bethlehem abzufertigen.“

Und die Frauen erwiderten: „Die Frau Muhme ist bewandert unter allen Potentaten.“

Und die Männer wehrten: „Wir werden uns eine keine Schwachheit ertrinken, wenn wir so dick und oftmals Gesundheit trinken.“

Dreimal ließen die Gäste sich nöthigen; erst als alle umständlichen Reden erschöpft waren und die Muhme ihre vom Sprechen schmerzende Brust hielt, griffen sie zu. Dann wurden die Tische abgeräumt; nur Nüsse und Bierkrüge blieben darauf stehen.

„Wollet Ihr nicht vor die Langeweile das Flachsorakel befragen?“ schlug die Muhme vor.

Die jungen Leute stimmten jubelnd zu. Jede Jungfer zupfte aus ihrem Wocken ein Bündelchen Flachs, die Junggesellen entliehen von ihren Herzgespielen sich auch eine Handvoll davon. Sie rollten ihn zu keinen Bällen zusammen, legten diese vor sich auf den Tisch und zündeten sie an. Der Flachs loderte auf und flog zur Decke empor. Wer zusammen sich erhob, dessen Ehe war im Himmel beschlossen. Es tönte Geschrei, Jubel, Scheltworte, und aus allem heraus das Klopfen der jungen Herzen.

Für Johanne und Nicolaus hatte die Muhme zwei Flachsbündelchen zusammengedreht und neben einander gesetzt. Vorsorglich zündete sie beide zugleich an. Aber waren sie zu fest gedreht? Sie hockten stöckisch schwälend auf dem Tisch. Da flog Bärbchens Flachshäuschen in einem kleinen feurigen Bogen empor und senke sich auf Fischer’s Bündelchen herab, das nach kurzem Bedenken aufflammte, während Johannens Bündelchen aus dem Tisch verglomm.

Die Muhme sah den Kuppelpelz, den ihr Fischer versprochen hatte, in Rauch aufgehen. Ihr Blut kam in Wallung. „Ich verhoffe,“ sagte sie, „daß dies ungebührliche Vorkommniß kein böses Zeichen sei. Werden hinfüro die Jungfern sich den Junggesellen an den Hals werfen?“

Barbara schaute sie erschreckt an.

Die Muhme kehrte ihr verächtlich den Pfauenschweif zu und reichte dem Fischer den Korb mit Nüssen. „Ich rate Euch, knacket eine Nuß. Je härter die Schale, je süßer der Kern.“

„Gebt uns ein Räthsel dazu auf!“ riefen die jungen Leute.

Und die Muhme sprach: „Was ist das?

Drunten im Grund
Steht ein bunter Hund;
Er ist von edler Art
Und hat einen blauen Bart.“

„Das wird Herr Fischer sein,“ riet Barbara, die sich wieder erholt hatte.

Die anderen Jungfern kreischten, Fischer horchte auf.

„Wie könnt Ihr so in den Tag hinein reden?“ rügte die Schmidtin.

Barbara warf den Kopf empfindlich auf. „Es paßt fürtrefflich auf ihn. Drunten auf dem Rieth wohnt er; sein Rock ist roth und grün, also bunt genug; wer wäre von edlerer Art als er, der größte Brauherr, dessen Vater das Weizenbier erfunden hat? Und einen blauen Bart hat er auch, wenn er von dem Balbierer kommt.“

Es fehlte der Muhme noch, daß Nicolaus geschmeichelt über seine roten, blauschwarz angehauchten Wangen strich.

„Daß Gott erbarm!“ schrie sie. „Seid Ihr eine also fürwitzige Jungfer, daß Ihr nach den Wangen der Männer schaut?“

Fischer legte sich in's Mittel. „Thut gemach,“ sagte er. „Warum sollen die Jungfern nicht nach den Junggesellen gucken? Ist doch Keiner zu verargen, wenn sie Begehren trägt, daß sich ein Gesponse darunter finden möge, und gern erführe, wie er ausschaut.“

„Ich weiß, wie der meinige ausschauen müßte,“ frohlockte Barbara, die merkte, daß das Zünglein der Wage auf ihre Seite sich neigte.

„Nun?“ fragte Nicolaus.

„Er müßte eine Gestalt haben rund und fest wie eine neugebundene Tonne, ein Antlitz, von Gesundheit und Kraft rötlich schimmernd wie eine kupferne Braupfanne, und er müßte alle Zecher unter den Tisch zu trinken vermögen.“

Nicolaus Fischer sah schmunzelnd an seiner Gestalt herunter; schon lange vermochte er nicht mehr seine großen Knieschleifen zu erschauen.

Aber das Zünglein der Muhme Schmidtin neigte sich nicht der Brotkorbin zu; heftig fuhr sie daher: „Sorget, daß Ihr nicht selbst unter dem Tisch lieget, Jungfer Bärbe; denn ich glaube, Euch ist – mit Respect zu vermelden – das Bier in die Krone gestiegen, also daß Ihr ausplaudert, was jegliche Jungfer verschweigen soll, wiewohl es auch darin zu weit gehen kann, indem jedes Ding seine Grenzen hat, auch die Ehrbarkeit und die Sprödigkeit und die Schweigsamkeit, mit der Du, Hanne, es heute so weit getrieben hast, als seiest Du von einem stummen Teufel besessen.“

„Ich schwieg,“ antwortete Johanne, „dieweil ich über Euer Rätsel nachsann. Ich habe es gelöst: es ist der Flachs.“

„Richtig!“ riefen Alle. „Die blaue Blüthe ist der blaue Bart.“

„Wie klug ist das liebe Herzchen!“ rühmte die Schmidtin. „Noch Keine hat das Räthsel gerathen, Herr Fischer. Wie bist Du nur darauf gekommen?“

Aber alle Anschläge der Muhme wurden heut zunichte. Johanne erwiderte: „Als Bärbchen sagte, wie ein Mann beschaffen sein müßte, den eine Jungfer gut leiden mag, ist es mir eingefallen. Denn ich meine, ein solcher muß sein hoch und schlank, wie der Flachs in den guten Jahren gerät, da um Lichtmeß das junge Volk im Sonnenschein tanzen kann; er muß Augen haben blau wie die Blüthe desselbigen und Haare hell und dick wie der Flachs, wenn er am Wocken hängt.“

„Da habt Ihr einen nippenläppischen Geschmack,“ polterte Nicolaus Fischer; „ich halte es für ein Strafgericht Gottes, wenn der menschliche Leib dünne bleibt. Jedem ehrlichen Christen segnet Gott sein Essen und Trinken und läßt ihn stattlich einhergehen, daß er die Augen durch seine Fülle erfreue.“

„Ich weiß, an wen sie denkt,“ rief Barbara. „So sah der Bursch aus, den Ihr damals beim Maienfest so siegreich bestanden habt, Herr Fischer.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_810.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2019)