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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

sollte Alles todt sein. Ein Grauen schüttelte sie. War ein schmerzvoll klopfendes Herz nicht noch besser, als ein gestorbenes? Ja – wenn auch das seine in gleichem Weh geschlagen hätte, dann hätte sie als Wonne erachtet, sich ihm nachzusehnen und zu grämen; aber er hatte sie vergessen, er freite eine Andere. Nein, auch sie wollte ihn vergessen, und wenn sie zu Stein darob erstarren mußte. Sie steckte Locke und Zeug sorgfältig in die Oeffnung am Weidenstamm, indem sie sprach:

„Liebe, ich hab’ dich,
Lieb’, ich vergrab’ dich,
Weich mir vom Herzen,
Mit Treue und Schmerzen.

Dann schlug sie den mitgebrachten eichenen Pflock darauf. Still ging sie heim.

Eins war gut und tröstlich für sie: sie brauchte nun nicht mehr mühselig gegen die Liebe zu Hermann anzukämpfen, nicht immer auf der Flucht zu sein vor der Erinnerung an ihn. Nun konnte sie getrost seiner denken, all der glücklichen Tage, da sie noch ein Herz und eine Seele waren – die Liebe verging ja von selbst. So that sie sich nimmer Zwang an im Denken und Sinnen. Aber besser wurde es nicht. Da ihr Schmerz sich stetig gleich blieb, die Sehnsucht nach dem Jugendgeliebten immer höher stieg, je mehr ihr Haus dem neuen Haupt der Sippe sich zuwandte und sie bei Seite stehen ließ, fragte sie angstvoll Trinen: „Wie lange währt es, bis begrabene Liebe stirbt?“

Die schüttelte den Kopf. „Nur Geduld, Jungfer Hannchen. Geduld ist die Hauptsache im Leben, im Herrschaftsdienst, in der Liebe und selbst bei unserem Herrgott. Auch da müssen wir geduldig harren, bis es ihm gefällt, unsere Wünsche zu erhören. Also mußt auch Du Dich gedulden, bis die alte Weide verwachsen ist.“


(Schluß folgt.)




Weihnachts-Erinnerungen aus den Tropen.

Weihnachten in einer Indianerhütte. – Im Thale von San Esteban. – Ankunft der deutschen Kriegsflotte in Puerto Cabello.

Wo der Deutsche auch sein mag, im hohen eisigen Norden, unter den Tropen oder auf den Fluthen des Oceans, immer wird er sich das Weihnachtsfest so schön, so deutsch wie möglich gestalten, und wenn ihm die brennenden Kerzen des Christbaumes entgegenstrahlen, dann denkt der Reisende an die fröhliche Jugendzeit und an die durch Elternliebe verklärten Weihnachtsfeste in der fernen Heimath. Die althergebrachte Sitte webt also durch ihre geheimnißvolle Macht das feste Band der Treue zwischen dem Auswanderer und dem Vaterland.

So erinnere ich mich noch lebhaft eines Weihnachtsabends, welchen ich vor Jahren mit den Chaimas-Indianern im Innern des nordöstlichen Venezuela verlebte. Seit Monaten hatte ich kein deutsches Wort gehört, hatte aber im Vollgenusse der dortigen großartig schönen Natur, mit den friedlichen, aber wenig gesprächigen Chaimas die Gegend durchstreift und zwar mit solchem Eifer, daß ich, ohne die liebe Heimath zu vergessen, ganz meinen Arbeiten lebte. Hier, in einer von herrlichstem Gebirgsurwald umgebenen Lichtung, in deren Mitte die einfache Hütte der gastfreundlichen Chaimas-Familie lag, sollte ich den Weihnachtsabend zubringen. Ich hatte mich, als die untergehende Sonne zum Abschied noch die höchsten Baumkronen der Urwaldriesen beleuchtete, vor die Hütte gesetzt und blickte wehmuthsvoll hinüber nach der großartig schönen Pflanzenwelt, in welcher ich während des ganzen Tages herumgestreift. Eine fast unheimliche Ruhe begann sich über die Natur zu breiten. Die Stimmen der Vögel verhallten, selbst die des herrlichen Glockenvogels verstummte, welcher durch seinen reinen Ton mich noch wehmüthiger gestimmt hatte. Denn oft wähnte ich die Glocken eines im Urwalde verborgenen Kirchleins zu hören, welche den herannahenden Weihnachtsabend begrüßten. Jetzt, wo die tiefe Dunkelheit hereinbrach, war Alles ruhig, und nur mit Unterbrechung ertönte noch das schauerliche Geheul der Brüllaffen, vielleicht Unwetter verkündend, aus dem Walde herüber!

Ich saß noch in Gedanken versunken, als die schwarze Nacht hereingebrochen war. Nur einige brennende Holzstücke der höchst einfachen, aus wenigen zusammengeschobenen Steinen bestehenden Küche spendeten ein spärliches Licht. Auch in der Hütte herrschte vollständige Stille, denn die Bewohner hatten sich in ihre Hängematten gelegt und pflegten, nach dortigem Brauch, frühzeitig der Ruhe. Ich nahm nun aus meiner Jagdtasche einen für alle Fälle mitgenommenen Wachsstock und theilte denselben in einzelne Stücke, welche ich an einen kleinen am Tage herbeigebrachten Kaffeestrauch befestigte. Bald strahlten zehn glänzende Lichter in dem kleinen Hüttenraume. Ich breitete kleine Gegenstände, wie Spiegel, Perlen, Tücher etc., um den Baum und war dabei so ganz in Gedanken in der Heimath, als plötzlich der alte Vater der Familie sich regte und mich überrascht und neugierig fragte, was das Alles bedeuten solle.

Und nun ging ich an seine Hängematte, faßte die Hand des alten braunen Herrn und erzählte ihm von unserer deutschen Weihnachtsfeier, wie diese die fröhlichste und schönste bei uns sei, wie sich alle Menschen dabei gegenseitig Freude durch Geschenke zu bereiten suchen und wie auch die menschenfreundliche Wohlthätigkeit zu dieser Zeit am meisten gepflegt wird. Weil ich nun so weit von den Meinen sei und an den Freuden in der Heimath nicht Theil nehmen könnte, so hätte ich die kleinen Geschenke unter dem Christbaum für ihn und seine Familie gelegt, für die, welche mich, den Fremdling, so freundlich aufgenommen haben. Spannend lauschte mein Wirth, indem er einmal auf die Lichter, dann auf mich blickte, dann erhob er sich von seinem Lager, stieg schweigend aus der Hängematte und weckte alle seine Familienglieder.

Bald sah ich einen Kreis von braunen, wenn auch schon einigermaßen verschlafenen Gesichtern um meinen improvisirten Christbaum versammelt, und nun begann ich die Geschenke zu vertheilen. Ich bemerkte die Freude und die zunehmende Munterkeit meiner Freunde, welche sich sogleich mit den verschiedenen Gegenständen schmückten. Ich führte ihnen die Bedeutung dieses Festes noch weiter vor und machte ihnen begreiflich, daß dies bei uns ein echt christliches Fest sei, um so mehr, da die katholischen Chaimas uns Protestanten nicht als Christen betrachten. Noch lange mußte ich bei duftendem Kaffee, welchen wir aus der Fruchtschale des Flaschenbaumes tranken, von den deutschen Gebräuchen erzählen, bis die letzte Kerze erlosch.

Ein fröhlicheres Weihnachten habe ich allerdings später erlebt, als ich nach langem Herumstreisen im tiefen Innern des Landes in einem der ersten Hafenplätze Venezuelas, in Puerto Cabello, wieder glücklich angelangt war. Es herrschte in jenem Orte, obwohl nur ungefähr dreißig Landsleute dort wohnten, ein reges deutsches Leben. War schon der ohnedies herzliche Verkehr mit den deutschen Landsleuten nach langer Abwesenheit und nach mehrfachen Entbehrungen im Innern für mich ungemein wohlthuend, so wurde die Freude noch mehr erhöht durch Veranstaltung glänzender Christbescherungen in den deutschen Familien. In einem der Häuser war fast die ganze deutsche Colonie versammelt und wartete mit Spannung in einem Nebensalon, bis die liebenswürdige Hausfrau das Signal zum Eintritt in den Hauptsaal gab. Herrlich erleuchtet, strahlte der prächtig geschmückte Christbaum den Eintretenden entgegen, deren freudig erregte Augen mehr sagten als viele Worte. Zwar war es keine heimathliche Tanne oder Fichte, sondern ein schön gewachsener Kaffeebaum, welcher mit vielen Lichtem geschmückt im Salon prangte, und auch die Gesellschaft sah äußerlich anders als in der Heimath aus, denn sie waren Alle, Damen und Herren, in eleganten weißen, dem heißen Klima angepaßten Anzügen erschienen; auf letzteres deuteten auch die weit offenstehenden Balconfenster hin, durch welche eine etwas erfrischende Lust von der See her in den Festraum strömte. Das Fest nahm aber ganz den Verlauf wie in einem ähnlichen Cirkel in Deutschland, und nur die angedeuteten Verhältnisse, durch das Klima bedingt, erinnerten uns, daß wir weit von der Heimath entfernt waren.

Anders als in der Stadt war der Eindruck in dem herrlichen Küstenthale von San Esteban, wo mehrere deutsche Kaufherren reizende Villen besitzen. Diese sind ganz „tropisch“ eingerichtet, das heißt leicht und luftig gebaut, und befinden sich in

unmittelbarer Umgebung einer unvergleichlich schönen Tropennatur.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_827.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)