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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

einer seltsamen Mischung von Leichtsinn und Berechnung, von Leidenschaft, Schlauheit und Beschränktheit – Ditta dagegen hatte eine große volle Gestalt, ein längliches Gesicht, glatte schwarze Haare und ganz sonderbar ruhige, tiefbraune Augen, die nachdenklich auf allen Dingen hafteten, und einen wohlgeformten vollen, jedoch fest geschlossenen Mund; ihre Bewegungen waren langsam, ihr Gang edel und gemessen, sie war das ungeselligste Mädchen im Dorfe und sprach nie mehr, als sie nothwendig sprechen mußte.

Natürlich hatte dieser Gegensatz zuerst, als das Mädchen sich entwickelte, allen Burschen zehn Stunden im Umkreis die Köpfe verdreht, und Ditta bekam Anträge, so viel es Sonntage im Jahre gab. Denn die jungen Männer wurden nicht allein durch des Mädchens Schönheit angezogen – Jedermann wußte auch, daß Ditta zehntausend Lire auf der Banca Nazionale in Rom besaß – außer dem ziemlich großen Anwesen hier, das schuldenfrei ihr gehörte – ein für die Verhältnisse in jener Gegend gewaltiger Reichthum! Aber Ditta ließ die jungen Leute ruhig aussprechen, dann sah sie die Freier mit ihren mächtigen, stillen, durchdringenden Augen eine Secunde lang fest an und erklärte, daß sie überhaupt nicht heirathen wolle. So ging das von Ditta’s fünfzehntem bis zum zwanzigsten Jahre – alle Sonn- und Feiertage einen Antrag und alle Sonn- und Feiertage einen Korb, bis Ditta gar keine Antworten mehr gab, sondern nur noch eine verächtliche Handbewegung für die Bewerbungen hatte.

Das verdroß nun endlich auch die „Buben“ – sie erklärten Ditta für toll, und seit einem Jahre hatte sie Ruhe. Nur einer, der Sohn eines reichen Gutspächters weiter oben in den Bergen, ließ sich durchaus nicht abschrecken und verfolgte das Mädchen mit wilder Beharrlichkeit. Bei allen Festen und Processionen, in der Messe und auf dem Markte in Palene lauerte er ihr auf und schmeichelte, bat, drohte, bis Ditta zu keiner Feierlichkeit mehr ging und selbst die Kirche nur Abends spät verstohlen besuchte. In der Befürchtung, den aufdringlichen und ihr wegen seiner ungebändigten, wilden, rohen Natur besonders verhaßten Bewerber auch heute in Palene zu treffen, hatte sie vorgezogen, zu Hause zu bleiben und ihre Mutter für sich beten zu lassen.

„Guten Morgen, Signorina!“ rief Herr Lugeno. (S. 11.)

Jetzt ertönte Stimmengewirr aus der Tiefe, Lachen, Schwatzen klang den Felsweg herauf, der zu der Ansiedlung führte, und ein ganzer Schwärm lustiger Menschen, untermischt mit Kindern, Ziegen, Hühnern und den hier nie fehlenden kleinen Schweinen, betrat die Dorfgasse, um sich zwischen den hier und dort an den Felsen geklebten Häusern zu verlieren.

Ditta hatte sich bei der Annäherung der Leute in das Haus begeben und daran gemacht, die Polenta für die Mutter zu wärmen. Sie stand in der großen steinernen, schwarz geräucherten Wohnstube, die zugleich Küche war, und die flackernden Spähne beleuchteten ihr ernstes, großes Madonnengesicht.

Die Mutter war eingetreten. Die grauhaarige, verwitterte alte Frau mit den kleinen, scharfen Glühaugen warf einen fast wilden Zornblick auf das Mädchen.

„O die Schande!“ rief sie aus, das rothseidene Brusttuch ablegend und einen strohgeflochtenen Stuhl heftig mit dem Fuße fortschleudernd. „Ich allein werde eine unverheirathete Tochter im Hause haben – Alles zeigt mit Fingern auf mich. Ich bin die Mutter der ‚Verrückten‘,“ fuhr Frau Ceprano fort. „Ich darf mich schon nirgends mehr sehen lassen.“

„Bah!“ machte Ditta, ohne vom Feuer aufzusehen. „Vor wem Dich nicht mehr sehen lassen –?“

„Vor unsern Nachbarn, vor der ganzen Gemeinde, vor allen Leuten weit und breit,“ gab die Alte heftig zurück.

„Kümmere Dich nicht um das Gerede der Leute, Mutter, und zwinge mich nicht zu einer Heirath! Ich kann keinen von den Burschen hier nehmen!“ sagte Ditta ruhig.

„Schließlich wird man Dich zwingen,“ warf die Mutter dagegen ein. „Es wird Dir Einer das Haar abschneiden, und Du mußt ihn dann heirathen,“ fügte sie jammernd hinzu.

„Schande über diese Männer hier!“ erwiderte Ditta, und ihre Augen flammten. „Schande über Männer, die ein Weib zwingen durch solche Mittel – ihr auflauern, ihr die Haare abschneiden, sie im Dorfe zeigen und dadurch die Arme so weit bringen, daß sie Den, der ihr das Haar geraubt, heirathen muß, um der Schmach zu entgehen, in der sie nun für immer steht, weil sie jetzt nie einen anderen Mann bekommen wird! – Pfui über diese Männer, die ihr Weib so erringen!“

„Und sind doch manche Widerspänstige so schon kirre gemacht und ganz glückliche Frauen geworden! Denke an die Emilia Mantori und die Teresina,“ versetzte die Mutter; „zwei Jahre haben sie sich gesträubt und schließlich war der Zopf weg, sie kamen mit kurzem Haar von den Feldern, die Buben auf der Gasse liefen ihnen nach, und drei Wochen später war lustige Hochzeit, und sie sind’s nun zufrieden.“

„Mir geschähe das nicht, Mutter,“ entgegnete jetzt Ditta, „mir nie!“ Und ihre braune Hand mit den wohlgeformten länglichen Fingern krümmte sich eigenthümlich zusammen, und ihr an und für sich schon ungewöhnlich fest geschlossener Mund wurde blutlos. „Das ist Banditenart, und da darf man sich auch wehren wie gegen Banditen. Der mag sich hüten, Mutter, der mir die Hand auf mein Haar legt! Das wissen unsere Räuber hier wohl, und sie halten sich hübsch fern von mir.“

„Unsere Burschen sind keine Räuber,“ erwiderte darauf Frau Ceprano. „Sie sind wild; aber es giebt auch gute darunter.“

„Ich kenne keinen,“ entgegnete Ditta, „und will Keines Weib hier werden. Wenn ich je heirathe, so ist das sicher kein Mann, der mich seinem Maulesel gleichstellt, mir Arbeit aufbürdet und mich schlägt wie einen solchen, und Männer, die anders sind, giebt es hier in den Abruzzen nicht. Das weißt Du, Mutter, weshalb kommst Du mir immer mit Deinen Vorwürfen und Klagen? Du bringst es durch Dein Schelten und Drängen noch so weit, daß ich nach Rom gehe und ein kleines Geschäft anfange –“

„Und Deine Mutter läßt Du hier in Armuth und Elend!“

„Ihr seid nicht arm, Mutter, denn so lange Ihr lebt, könnt Ihr hier auf dem Gütchen wohnen, das Euch bei geringer Arbeit reichlich nährt. Und dann – ich will ja gerne bei Euch bleiben, wenn Ihr mich nicht zu einer verhaßten Heirath zwingen wollt!“

„Nun gut! Ich will Dich nicht zwingen,“ lenkte die Alte ein, „bleib wie Du bist, Du mußt es ja haben!“

Die Sonne neigte sich zum Untergang und goß rotgoldene Gluth durch die offene Thür in das Zimmer; draußen lagen die Berge alle in violetten Duft getaucht und mischten Rosen, Geranium und Lavendel fast berauschend ihre Wohlgerüche in die stille, warme, goldigklare Abendluft.

Die Beiden hatten stumm ihr Abendbrod verzehrt und Ditta war eben aufgestanden, um das Geschirr fortzuräumen, als ein Schatten zwischen die Sonnengluth draußen und den Hauseingang trat. Das Mädchen blickte auf. Ein keckes „Guten Abend, Signorina!“ tönte ihr entgegen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_009.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2022)