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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Fig. g.

das ungeheuerliche Polsterwerk vor Augen gehabt und wahrscheinlich – nichts gesehen! Die Einsamkeit wird wohl meine Betrachtung geschärft haben. Hier das gezeichnete Resultat derselben. Wir sehen das Wandpolster gegenüber in der Mitte getheilt und zwar in Kopfhöhe durch eine Art von überzogenem Prellstein, welcher für die Wange je eines Passagiers bestimmt ist.[1] Man sollte meinen, der Erbauer dieses Werkes müßte sich erinnert haben, daß die Wange nur ruhen kann, wenn auch die Schulter ruht, müßte also vor Allem für eine Schulterstütze gesorgt haben.

Aber nein, für die Schulter ist der leere Raum unter dem Prellsteine bestimmt. Dafür aber hat die Phantasie des Schöpfers weiter unten – etwa eine Handbreite über dem Sitze – eine Art von Pilz tellerartig aus der Wand herauswachsen lassen, auf welchem von jeder Seite ein Ellbogen oder vielmehr ein halber aufliegen soll (vergl. Skizze h und i). Es giebt kaum ein ergiebigeres Feld für „Anrempelung“, als dieses, und es gewährt mir eine belustigende Vorstellung, wenn ich mir zwei neben einander reisende Minister oder Gesandte, einen deutschen und einen französischen, vergegenwärtige, welche auf diesem Berührungsfelde eine Grenzstreitigkeit in Scene setzen und sich brüskiren könnten.

Fig. h.


Fig. i.

An der Fensterseite ist für die Schulter wieder nichts da, als die senkrecht ansteigende Seitenwand, eventuell das Fenster.

Hier ist noch hinzuzufügen, daß das in der zweiten Classe übliche unangemessene Polsterprofil in den beiden andern Classen seine Ergänzung findet, weniger erkennbar allerdings bei den weichen Sammetpolstern der ersten Classe und in der dritten Classe durch eine fast senkrechte Holzwand ersetzt, welche wohl geeignet scheint, um daran ein Placat, nicht aber einen Menschen festzunageln.

Was nun die ästhetische Seite der vor mir aufgebauten Façade betrifft, so seien mir auch darüber ein paar Worte erlaubt.

Die Zeit ist nachgerade vorüber, wo man die Wohlgefälligkeit einer Form als den Tod von deren Zweckmäßigkeit anzusehen pflegte. Tritt doch der Staat jetzt durch entsprechende Anstalten für künstlerische Schulung des Handwerks ein. Kann angesichts dessen ein Grund bestehen, um innerhalb der Tausende von Eisenbahnwagen, welche ununterbrochen durch unser Vaterland rollen, den Ungeschmack – ich möchte sagen – schulmäßig zu pflegen? Würden nicht wenigstens auf den Staatsbahnen Versuche mit einer verständigeren und wohlgefälligeren Tapezierung anzustellen sein? –

Während ich in dieser Weise innerlich raisonnirte, war es ganz dunkel geworden und die Lampe noch nicht in die Decke eingelassen. Da sah ich plötzlich einen Schatten mir gegenüber sitzen und erkannte deutlich den guten alten Schlendrian, genau wie ihn die „Wespen“ gezeichnet. Er trug Zipfelmütze und Tabaksdose und nickte mir schelmisch zu.

Otto Knille.     

  1. Ein künstlerisch geschulter Decorateur hätte an dieser Stelle die Anwendung der Voluten-Form nicht umgehen können.


Hauswirthschaftliches.



Einfache Ermittelung des Kohlensäuregehaltes der Zimmerluft.

Nachdem man erkannt hatte, daß durch das Athmen wie durch den Verbrennungsproceß Sauerstoff verbraucht, dagegen Kohlensäure und Wasser erzeugt wird, lag die Vorstellung nahe, in der Verminderung des Sauerstoffs und der Vermehrung der Kohlensäure sei die gewöhnliche Ursache der Luftverschlechterung in bewohnten Räumen zu suchen. Das ist aber ein Irrthum, welcher oft sogar in neuesten Vorträgen und Schriften wiedergegeben wird. Noch unlängst ist es auch in einer Gesellschaft von Technikern vorgekommen, daß Jemand ein Fenster öffnete mit den Worten: „Laßt Sauerstoff herein“, wozu ein anderer ergänzte: „und Kohlensäure hinaus!“

Luftprüfer.

Lange bevor die Veränderungen der Sauerstoff- und Kohlensäureremengen bis zu einem Besorgniß erregenden oder nur belästigenden Grade anwachsen können, was in unseren undichten Wohnräumen kaum jemals möglich ist, wird die Zimmerluft durch die Anhäufung organischer Ausdünstungsstoffe zur weiteren Benützung als Lungenspeise untauglich.

Die Natur dieser gesundheitsschädlichen organischen Stoffe in der ausgeathmeten Luft zu bestimmen, ist bis jetzt nicht möglich gewesen. Man nimmt aber an, daß sie sich im gewissen Verhältniß zu der Kohlensäure in der Luft bewohnter Räume ansammeln, und hat darum den Kohlensäuregehalt der Zimmerluft als Maßstab für deren gesundheitswidrige Zusammensetzung beibehalten. Mit der Verbreitung der Kenntniß dieser Thatsache ist jedoch nicht viel geholfen.

Damit die Ueberzeugung von dem häufigen Vorhandensein schädlicher Luft in bewohnten Räumen, also auch von der Nothwendigkeit der Luftverbesserung, in den weitesten Kreisen bis zu den unteren Volksschichten Wurzel faßt, damit ferner die Wirkungen der Luftverbesserungsmittel oft und leicht erprobt und verglichen werden können, ist es noch nothwendig, jedem Arzte, Techniker, Lehrer, ja jeder Person die Ausführung von Luftprüfungen zu ermöglichen.

Für diesen Zweck bedarf es keiner sehr genauen Messung der Kohlensäure, es genügt eine annähernde Bestimmung mit geringem Aufwand an Mitteln, Zeit und Mühe.

Professor Dr. Lunge in Zürich hat 1877 in einer kleinen Schrift über Ventilation einen Apparat empfohlen, welcher nach seiner Vermuthung zuerst von Angus Smith vorgeschlagen worden ist. Dieser „minimetrische“ Apparat zur Bestimmung der Luftverunreinigung ist nicht in wünschenswerther Weise handlich und zuverlässig, hat daher wenig Verbreitung gefunden. Ueberdies braucht man dazu Barytwasser, ein Gift. Die Anwendung solchen Giftes bei einem Apparate, welcher für so vielseitige Benutzung, namentlich auch in der Volksschule und Kinderstube, bestimmt ist, muß selbstverständlich Bedenken erregen.

Mein Bestreben, den erwähnten Apparat zu vervollkommnen, hat nun einen neuen minimetrischen Luftprüfer geschaffen, welcher für Ventilationszwecke vollkommen hinreichen dürfte.

Erste Bedingung war mir die Anwendung von Kalkwasser. Dieses ist nicht giftig und verhält sich gegen die Kohlensäure wie Barytwasser; eine gewisse Menge Kalkhydrat ist in Wasser löslich, und durch Hinzukommen von Kohlensäure wird das Kalkwasser trübe, dann entsteht in demselben ein Niederschlag von kohlensaurem Calcium. Kalkwasser kann sich Jeder selbst bereiten, auch sehr billig in einer Apotheke kaufen.

Die wesentlichen Theile des Luftprüfers sind ein cylindrisches Glasgefäß und ein kleiner Gummiballon mit einem Glasröhrchen. Das Cylindergefäß von 12 Centimeter Länge und 12 Millimeter Weite hat in der Höhe, welche dem Inhalte von 3 Cubikcentimetern entspricht, einen wagrechten Strich als Füllzeichen, und am Boden die Zahl 1882 schwarz auf weißem Grunde als Visirzeichen. Bis an den Strich wird klares Kalkwasser eingefüllt, dann wird mit dem Gummiballon so lange Luft in das Kalkwasser gedrückt, bis in Folge der entstandenen Trübung das Visirzeichen nicht mehr zu erkennen ist.

Welchen Kohlensäuregehalt die zu prüfende Luft hat, ergiebt sich aus der Anzahl der Ballonfüllungen, welche durch das Kalkwasser gedrückt werden mußten, um die maßgebende Trübung hervorzubringen. Sie entsteht schon bei einer Füllung, wenn die Luft zwei Raumprocent Kohlensäure enthält. Dieses Verhältniß bildet die Grundlage einer Tabelle, welche man in beliebiger Ausdehnung dadurch berechnet, daß man mit den Zahlen der Füllungen in zwei Procent dividirt. So entsprechen beispielsweise

02 Ballonfüllungen       1 0 Procent Kohlensäure,
04       „ 0,5      „          „
10       „ 0,2      „          „
20       „ 0,1      „          „

Wenn man mit weniger als zehn Füllungen schon die maßgebende Trübung erreicht, ist die Luft entschieden zu unrein, als daß man sie ohne Nachtheil athmen könnte. Bei zehn bis zwanzig Füllungen ist auf einige Zeit der Aufenthalt in solcher Luft zulässig. Entsteht die Trübung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_019.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2023)