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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Der Ostermontag hatte ein richtiges Frühlingswetter gebracht.

Die Bäume und Dächer troffen von dampfendem Thauwasser, die Wege wurden braun und kothig, auf den Wiesen hoben sich schon einzelne fahlgelbe Flecken aus dem rissigen Schnee, und die winterlichen Berge nahmen jene blaugraue Färbung an, die das beste Zeichen des werdenden Lenzes ist.

Und so ging das weiter, Tag um Tag – der kommende noch immer schöner als der verwichene. Wohl füllten die wallenden Nebel das Thal, aber die Sonne kam zu Kräften und trieb sie hinauf bis zu den Kuppen der höchsten Berge. Bald lagen die weiten Fluren ledig ihrer weißen Bürde – und wie eine Schnecke bei jäher Berührung die Fühler schrumpfen läßt und sich zurückzieht in’s Gehäuse, so schrumpfte mählich und mählich der Schnee die steilen Hänge hinan und zog sich zurück in sein kaltes Felsenhaus.

Da stachen die ersten frischen Gräser aus dem feuchten Grunde, aus allen Zweigen sprangen die winzigen, lichtgrünen Knospen, und in der Nähe dichter Hecken und bestrüppter Straßenraine füllte ein leichter Veilchenduft die sonnigen Lüfte.

Inzwischen ging in dem kleinen Baslerhäuschen, das dicht an jenem Wege lag, der von Königssee nach Ilsank führt, so Alles den gewohnten stillen Gang.

Vom frühen Morgen bis zum späten Abend saß die alte Baslerin im Herrgottswinkel und ließ die Nadeln klappern, aus denen die grünen und grauen Strümpfe hervorwuchsen, kurz oder lang, eng oder weit, wie es die Wadenverhältnisse der Besteller eben verlangten.

Ein Lied.0 Oelgemälde von W. von Miller.
Nach einer Photographie im Verlag von Fr. Hanfstaengl in München.

Nannei führte die Wirthschaft. Das machte ihr freilich wenig Mühe, denn die Brennsuppe am Morgen, die „Nudln mit Kraut“, oder die „Kaasnocken“ oder der „Schmarren“ des Mittags, und die Milchsuppe am Abend, diese Dinge kochten sich rasch, und das wenige Geschirr war auch bald wieder gesäubert. Daneben aber gab es noch mancherlei Arbeit, besonders mit der „Nahterei“. Da galt es, die eng gewordenen Spenser und Janker weiter zu machen, da mußten an den verwachsenen Röcken die Querfalten ausgelassen oder wenn solch ein Mittel nicht mehr fruchtete, mußten neue, breitere Säume angenäht werden, um diese Kleidungsstücke wieder zu schicklicher Länge zu bringen. Sogar die Bergschuhe, die der letzte Sommer tüchtig mitgenommen hatte, flickte sich Nannei selbst zurecht – sie schnitzte sich sogar mit eigenen Händen die für die Almarbeit nöthigen „Holzpatschen“. Die Dinger fielen zwar auch darnach aus, es waren die reinen Flöße – aber sie waren billig, und das gab bei Nannei vor der Schönheit und Bequemlichkeit den Ausschlag.

Ein paarmal in der Woche ging sie dahin und dorthin zur Taglohnarbeit. Besonders gern wurde sie vom Oberförster zum Unkrautjäten in die Culturgärten gerufen; denn während die anderen Arbeiterinnen hier mit groben Händen zugriffen und ihre Arbeit nur so „überhops“ thaten, mühte sich Nannei mit immer gleicher Sorgfalt und Achtsamkeit, und nie geschah es, daß sie mit dem Unkraute auch eines der kleinen Baumpflänzchen aus der Erde riß.

Jede freie Stunde aber widmete sie der Erziehung und Pflege ihres Dschapei, nachdem sie die Ernährungsmühe schon am Ostermontage der Mutter abgenommen hatte. Und das Dschapei gedieh und wuchs auch unter dieser steten Fürsorge, daß es für Nannei eine Freude war. Bald lernte es seiner Herrin auf einen Lockruf durch die ganze Breite der Stube entgegen trippeln, bald fing es an, dem Mädchen aus eigenem Antriebe nachzulaufen, hinaus in die Kammer, darin die zwei Betten mit den wurmstichigen Gestellen standen, von der Kammer wieder in die Stube und von da in die Küche. Es begann auch schon Verstand zu bekommen – denn wenn es nicht pünktlich zur gewohnten Stunde seine Nahrung erhielt, dann mahnte es mit lautem, weinerlichem Schmählen seine Pflegerin an ihre Pflicht. Freilich – Verstand, das ist ein wenig viel gesagt – es war das so eine eigene Sache mit diesem Verstande; es war der richtige Dschapei-Verstand.

Nicht einmal nur geschah es, daß sich das ungeschickte Dschapei an den heißen Eisenplatten des geheizten Ofens die Schnauze oder die Ohrlappen verbrannte; einmal sogar zog es mit dem Maule

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_049.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2023)