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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Es war allerdings nach unseren Begriffen eine sonderbare Wissenschaft, die jedoch durch Jahrhunderte die Gemüther beherrschte, die Alchemie, welche auf chemischem Wege ein wunderkräftiges Präparat, den „Stein der Weisen“, darzustellen suchte. Dieser Stein sollte nicht allein alle unedlen Metalle in Gold verwandeln, sondern auch, als Arzneimittel benutzt, alle Krankheiten heilen, den Körper verjüngen und das Leben verlängern. Es waren eigenthümliche Leute, die Bekenner dieser geheimnißvollen Lehre. Man kann sie schwerlich Betrüger nennen, denn sie waren fast Alle von der Erreichbarkeit ihres Ziels überzeugt; Alle von dem menschlichen Drange beseelt, geheime Wahrheiten zu ergründen, und Viele von ihnen unglückliche Opfer eines folgenschweren wissenschaftlichen Irrthums. Zu ihrem Unheile fanden sie stets Gläubige, die auf ihr Versprechen bauten und, wenn dieses nicht erfüllt werden konnte, sie als abgefeimte Betrüger verfolgten. Freilich war es in erster Linie niedrige Goldgier, welche sowohl die Meister wie ihre Kunden verblendete. Die Adepten, wie man die Goldköche nannte, wurden stets von einem traurigen Schicksale ereilt, welches um ihre Wissenschaft den Sagenkreis des Ungewöhnlichen und Tragischen wob und ihr stets neue Schüler zuzog. Der Adept Don Caëtano[WS 1], ein Bauernsohn aus Neapel, wurde in den ersten Tagen des Entzückens vom Kurfürsten von Baiern zum Feldmarschall und Titularcommandanten von München ernannt. Als er dort seine Rolle ausgespielt hatte und flüchtig nach Berlin kam, wiederholte sich dieselbe Geschichte. Friedrich I. von Preußen ernannte ihn zum General der Artillerie und ehrte ihn wie einen Fürsten, weil er versprach, in 60 Tagen 6,000,000 Thaler Gold zu machen. Vier Jahre darauf wurde er gehängt. Der Betrüger Mamugnano und viele andere büßten die Grundlosigkeit ihrer Versprechungen an einem vergoldeten Galgen, an dem sie selbst in Flittergold gehüllt aufgeknüpft wurden. Daraus aber, daß diese Alchemisten auch ihr zweites Versprechen, durch den Stein der Weisen Krankheiten zu heilen und das Leben zu verlängern, nicht halten konnten, scheint man ihnen weniger Vorwürfe gemacht zu haben. Darum verzichteten auch einige von ihnen auf alle Goldkocherei und suchten in Anfertigung von Lebenselixiren u. dergl. ihr Heil.

Die Sturmzeit der Reformation hat zunächst eine ganze Reihe derartiger Aerzte geboren, die darauf hinausgingen, den unwissenden Pöbel zu blenden und seine Taschen zu plündern. Ein von dem revolutionären Geiste dieser Periode erfüllter Mann, dem es weder an höherer Begabung noch an Beredtsamkeit gefehlt hatte, ebnete dieser unsauberen Gesellschaft die Wege, obwohl man ihn selbst schwerlich unlauterer Absichten beschuldigen kann. Es war Paracelsus, oder wie er sich selbst nannte: Aureolus Philippus Theophrastus Paracelsus Bombastus ab Hohenheim, der heiligen Schrift Professor, der freien Künste und beider Arznei Doctor, Medicus et Germaniae philosophus, Monarcha medicorum et Mysteriarcha, chemicorum princeps, Helvetius Eremita. Dieser Mann, dessen Herkommen zweifelhaft ist und der im Jahre 1493 in der Schweiz geboren sein soll, trat zuerst im Jahre 1527 zu Basel als Professor der Physik und Chirurgie auf und führte hier zum großen Skandale seiner Zeitgenossen zwei Neuerungen ein. Er verwarf die alten medicinischen Autoritäten und bediente sich bei seinen Vorträgen der deutschen Sprache. Dabei schimpfte er auf alle anderen Aerzte und verbrannte öffentlich die Werke des Avicenna: „ich hab’ die Summa der Bücher in St. Johannis Feuer geworfen, auf daß alles Unglück mit dem Rauch in die Luft gang.“ „Von der Natur bin ich nicht subtil gesponnen; es ist auch nicht unsre Landesart, die wir unter Tannzapfen aufwachsen,“ sagte er einmal von sich selbst. In Basel gerieth er mit einem Geistlichen über ein ärztliches Honorar in Streit, und als der Magistrat gegen ihn entschied, verunglimpfte er öffentlich den Rath und ließ „böse Zettel“ fliegen. In Folge dessen mußte er aus Basel flüchten und zog nun, seinem Spruche: „Der Arzt soll ein Landfahrer sein“, gemäß, unstät von Ort zu Ort. Gut soll es ihm dabei nicht ergangen sein, und er starb 1541 plötzlich in Salzburg, obwohl er im Besitze eines Lebensverlängerungsmittels war. Wie man behauptet, soll er bei einem Gelage von seinen Feinden die Treppe hinuntergeworfen worden und an einem Schädelbruche gestorben sein.

Paracelsus wußte seine Zuhörer zu fesseln und vergaß nie seine Bedeutung hervorzukehren: „Man lästert und schreit von mir,“ schrieb er, „ich sei nicht zur rechten Thür eingegangen; aber welches ist die rechte: Galenus, Avicenna, Mesue oder die offene Natur? Ich glaube die letztere! Diese Thür ging ich ein: das Licht der Natur und kein Apothekerlämpchen leuchtet mir auf meinem Wege.“ Aber der Baseler Professor und spätere Landfahrerarzt kümmerte sich im Grunde wenig um die Natur, baute vielmehr ein phantastisches System auf, nach welchem gegen jede Krankheit ein besonderes Heilmittel in der Natur vorhanden sein müsse.

Seine Schüler haben den Heilschatz nach dieser Methode erweitert, und wir wollen hier aus demselben nur einige Beispiele anführen: Das kleine Hauslauch hat in seinen Blättern Aehnlichkeit mit dem Zahnfleisch; darum ist es ein gutes Mittel gegen Scorbut. Die Wurzel der Zaunrübe sieht wie ein geschwollener Fuß aus, darum ist sie ein gutes Mittel gegen die Wassersucht etc. Außerdem hat aber Paracelsus noch eine Reihe von Hauptmitteln aufgestellt, die eine größere Anzahl von Krankheiten heilen oder gar den „unreinen Leib in den reinen“ verwandeln sollen.

Mit seinen vielen Schülern war er durchaus unzufrieden, und klagt selbst über dieselben: „sie haben mir die Federn vom Rock gelesen, gedient und gelächelt, wie ein Hündlein herumgestrichen und angehangen. Dieß konnten nur Erzschelme sein.“ „Was ich von Aerzten geboren habe: aus den Hundert von Pannonia sind zween wohlgerathen; aus der Confyn Poloniae drei, aus den Regionen der Saxen zween, aus den Slavonien einer, aus Bohemien einer, aus dem Niederland einer, aus Schwaben keiner.“ In der That hat er auch, wie C. A. Wunderlich in seiner „Geschichte der Medicin“ bemerkt, nur einen Haufen von Gauklern und Wirrköpfen erzogen, nur Adepten und Goldmacher bemächtigten sich seiner Lehre.

Der berühmteste unter seinen Schülern war der Charlatan Thurneyssen (1530 bis 1595), den Hufeland in seiner Makrobiotik trefflich charakterisirte: erst Goldschmied, dann Soldat, später Bergmann und zuletzt ärztlicher Charlatan, erschwindelte er sich die Gunst des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg, an dessen Hofe er lebte. Seine Specialität bestand namentlich im Prophezeien der Lebensdauer aus den Sternen. Außerdem war er Chemist, Kalendermacher, Buchdrucker und Buchhändler, alles in einer Person. Sein Ruf in der Astrologie war so groß, daß fast in keinem angesehenen Hause in Deutschland, Polen, Ungarn, Dänemark, ja selbst England ein Kind geboren wurde, ohne daß man sogleich einen Boten mit der Bestimmung der Geburtsstunde an ihn absendete. Außerdem schrieb er noch jährlich einen astrologischen Kalender, in welchem die Hauptbegebenheiten und die Tage derselben mit kurzen Worten oder Zeichen angegeben waren. Freilich lieferte er gewöhnlich die Auslegung erst das Jahr darnach. Trotzdem hatte der Kalender einen reißenden Abgang und verschaffte nebst anderen Charlatanerien dem Verfasser ein Vermögen von einigen Hunderttausend Gulden. Aber wie gewonnen, so zerronnen! Thurneyssen starb nach manchen Abenteuern in Armuth zu Köln.

Wir wenden uns jetzt zwei falschen Grafen zu, welche in der Geschichte der Lebensverlängerungsmittel die hervorragendste Rolle gespielt und namentlich die höheren Kreise der Gesellschaft in frechster Weise ausgebeutet haben.

Graf von St. Germain[WS 2] war ein Abenteurer von dunkler Herkunft. Friedrich der Große nannte ihn „einen Menschen, den man niemals enträthseln konnte“, und die Zeitgenossen hielten ihn bald für einen spanischen Jesuiten, bald für einen elsässer Juden oder für den Sohn eines Steuereinnehmers Rolando zu St. Germano in Savoyen. Er selbst gab vor, 2000 oder 3000 Jahre alt zu sein, und erzählte, daß er den Heiland sowie die zwölf Apostel sehr gut gekannt und den heiligen Petrus einmal gemahnt habe, seine Heftigkeit zu mäßigen. Er hieß nicht immer Graf von St. Germain, sondern trieb sich unter verschiedenen Namen umher; in Venedig trat er als Comte de Bellamare, in Pisa als Chevalier Schöning und in Genua als Graf Soltykow auf. Der Mann besaß manche nützliche Kenntnisse, sprach fast alle lebenden Sprachen, spielte fast alle Instrumente, namentlich die Violine mit wunderbarer Vollendung und schrieb, was man ihm dictirte, zugleich mit beiden Händen auf zwei Bogen Papier, ohne daß man unterscheiden konnte, was mit der rechten und was mit der linken Hand geschrieben war.

Seine Hauptkunst will er in Indien gelernt haben. Von dort brachte er das Recept für seinen wunderbaren Thee, welcher dem Alter die Kraft und die Schönheit der Jugend wieder verleihen sollte und der noch lange nach seinem Tode viel begehrt wurde,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Domenico Manuel Caetano (ca.1670–1709)
  2. Graf von Saint Germain (ca.1710–1784)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_059.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2024)