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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

obwohl er im Grunde nur ein leicht wirkendes Abführmittel war. Mit diesem Thee und anderen Vorspiegelungen, namentlich mit seinem Lebenselixir, wußte er Könige, Fürsten, Herzöge und Markgrafen zu beschwindeln, und die Geschichte seiner Hochstaplerfahrten füllt dicke Folianten. Den „tausendjährigen Mann“ erreichte schließlich zu Eckernförde im Jahre 1780 der unerbittliche Tod.

Diesen Hochstaplerfürsten übertraf an Unverschämtheit und Raffinirtheit sein Zeitgenosse Cagliostro[WS 1]. Er hieß eigentlich Joseph Balsamo und wurde von armen Eltern in Palermo geboren. Der Beruf eines Mönches, für den man ihn bestimmt hatte, sagte dem begabten Menschen wenig zu, und nachdem er in der Klosterapotheke ein wenig von der Arzneikunst gelernt hatte, zog er als Taschenspieler, Schatzgräber, Schriftenverfälscher u. dergl. in die Welt. In Rom ging ihm ein neues Licht auf. Er heirathete dort die reizende Tochter eines Kupferschmieds Lorenza Feliciani und wanderte mit ihr unter allerlei fremden, hochklingenden Namen in’s Ausland. Die schöne Lorenza wußte sich in ihr Schicksal einzufinden und unterstützte nach Kräften durch allerlei Verführungskünste ihren nichts weniger als eifersüchtigen Herrn und Gebieter.

Als das nette Gaunerpaar zum zweiten Male London besuchte, legte sich der Gemahl den Namen Graf Cagliostro bei und wiederholte die Schwindeleien seines pseudogräflichen Vetters St. Germain. Mit staunenswerther Geschicklichkeit log er den leichtgläubigen Mitgliedern der damals wenig gebildeten Aristokratie den ungeheuerlichsten Unsinn vor. Er versicherte einmal, er habe schon vor der Sündfluth gelebt und mit Noah die Arche betreten, dann erzählte er wieder, er sei zu Mekka geboren, zu Medina von dem weisen Althotas erzogen worden und habe in den unterirdischen Gemächern der größten Pyramide den letzten Unterricht genossen. Auch die dunkle Stelle im ersten Buche Mosis von der Verbindung der Kinder Gottes mit den Töchtern der Menschen mußte für seine Schwindeleien herhalten, denn mehr als einmal leitete er von dieser Verbindung seine Geburt ab.

Aber der Haupttrumpf, den er ausspielte, war seine Lehre von der ersten ägyptischen Maurerei, deren „großer Kophta“ er war. Als solcher versprach er seinen Ordensbrüdern die physische und, was das Beste war, die moralische Wiederherstellung. Durch den Stein der Weisen wußte er die Menschen in jenen paradiesischen Zustand, der durch die Erbsünde verloren gegangen war, zurückzuversetzen. Nach seiner Lehre konnte der nach Wiedergeburt strebende Mensch 5557 Jahre leben, aber nur ein Mann von vollen 50 Jahren und eine Frau oder ein Mädchen nach vollendetem 36. Jahre konnten physisch wiedergeboren werden. Er speculirte also vornehmlich auf die Schwächen des Alters, wie er ja auch Schönheitswasser mit Vorliebe an alte runzlige Damen verkaufte. Wie erlangte jedoch der Mensch jenen paradiesischen Zustand? Die Procedur war recht umständlich. Sie begann mit einer vierzigtägigen strengen Diät in einem entlegenen Landhause vom Vollmonde des Mai an, bestand ferner in abführenden Kräutern, „Tropfen des Kophta“ und in einem leichten Aderlaß, der am 32. Tage gemacht werden mußte. Nun konnten die nach ihrer Wiedergeburt Strebenden warten, bis der Eintritt von Convulsionen, Fieber und Sinnesverwirrung und während derselben Verlust der Haut, der Haare, der Zähne erfolgt waren. Dann, wenn das alles überstanden war, sollten sie ein Bad nehmen, und nachdem ihnen der Meister etwas von seiner „ersten Materie“ (einem Geheimmittel) gegeben, kam die Haut und erschienen die Zähne in strahlender Gestalt, und die Wiedergeburt war auf 50 Jahre gesichert.

Mit solchem Unsinn wußte der gewandte Schwindler die angesehensten Personen seiner Zeit zu hintergehen und imponirte selbst Gelehrten vom Schlage eines Lavater. Aber man hat endlich seine Betrügereien durchschaut, und in der Heimathstadt seiner schönen Lorenza kam er hinter Schloß und Riegel. Am 7. April 1791 verurtheilte ihn das römische Inquisitionsgericht zum Scheiterhaufen, aber der Papst Pius VI. verwandelte die Todesstrafe in lebenslängliches Gefängniß. Im Kerker zu St. Leo starb der entlarvte und verlassene Betrüger im Sommer des Jahres 1795, wie man behauptet, eines gewaltsamen Todes.

In die Fußstapfen dieser Grafen trat im Laufe der Zeit auch der Entdecker des sogenannten „thierischen Magnetismus“, der Wiener Arzt Anton Mesmer, der in Paris sein Glück versuchte, bis er mit Noth der Guillotine entging und ziemlich zurückgezogen in der Schweiz starb. Seine Schicksale sind allgemein bekannt, und wir wollen hier nur einen Aufruf des Pater Hervier anführen, um zu zeigen, was Mesmer und seine Schüler versprachen.

„Seht eine Entdeckung,“ heißt es an der betreffenden Stelle, „die dem Menschengeschlecht unschätzbare Vortheile und ihrem Erfinder ewigen Ruhm bringen wird. Seht eine allgemeine Revolution! Andere Menschen werden die Erde bewohnen; sie werden durch keine Schwachheiten in ihrer Laufbahn aufgehalten werden und unsere Uebel nur aus der Erzählung kennen. Die Mütter werden stärkere Kinder zur Welt bringen, welche die Thätigkeit, Energie und Anmuth der Urwelt erhalten werden. Thiere und Pflanzen, gleich empfänglich für die magnetische Kraft, werden frei von Krankheiten sein. Die Heerden werden sich leichter vermehren, die Gewächse in unsern Gärten werden mehr Kräfte haben und die Bäume schönere Früchte geben. Der menschliche Geist im Besitz dieses Wesens wird vielleicht der Natur noch wunderbarere Wirkungen gebieten. Wer kann wissen, wie weit sich sein Einfluß erstrecken wird?“

Um dieselbe Zeit wußte ein gewisser Dr. Graham[WS 2] in London die neu erworbene Kenntniß von der Wirkung der Elektricität auf den menschlichen Körper zu Schwindeleien zu verwerthen, indem er sein „himmlisches Bett“ construirte, welches den darin Liegenden neue Lebenskraft verleihen sollte. Das wunderbare Bett fand ein jähes Ende unter den Händen unbarmherziger Gläubiger und wurde stückweise in einer öffentlichen Auction versteigert.

Das Auftreten aller dieser Schwindler wäre natürlich nicht möglich gewesen, wenn die echten Forscher jener Zeit das Räthsel des Lebens hätten lösen können. Aber auch sie waren vielfach im Irrthum befangen und erörterten, durch die Erscheinungen des Winterschlafes veranlaßt, die Frage, ob nicht das Leben durch künstliche Herbeiführung eines ähnlichen Zustandes verlängert werden könne. Aber nicht Jeder von ihnen half sich dabei in humoristischer Weise aus der Schlinge, wie dies der große Franklin verstand.

In einer Sendung von Madeirawein fand er einmal einige Fliegen, die anscheinend todt waren, im Sonnenschein aber wieder zum Leben zurückkehrten. Dieser scharfsinnige Philosoph, erzählt Hufeland, warf sich nun die Frage auf, ob nicht in ähnlicher Weise auch die Erhaltung des Lebens beim Menschen möglich sei. „Und wenn dies der Fall wäre,“ soll er als echter Patriot hinzu gesetzt haben, „so könnte ich mir keine größere Freude denken, als auch mich auf diese Art nebst einigen guten Freunden in Madeirawein ersaufen zu lassen, und nun nach fünfzig oder mehr Jahren durch die wohlthätigen Sonnenstrahlen meines Vaterlandes wieder in’s Leben gerufen zu werden, um zu sehen, was für Früchte die Saat getragen, welche Veränderungen die Zeit vorgenommen hätte.“

Die Aufklärung des neunzehnten Jahrhunderts hat diesen Schwindel in der alten Form unmöglich gemacht, es ist ihr aber keineswegs gelungen, ihn gänzlich zu vernichten. Neue Gaukler sind aufgetaucht und segeln lustig unter neuer Flagge. Mit allerlei Geheimmitteln, mit Pülverchen, Pillen, Tincturen etc. curiren sie allerlei Krankheiten. Sie sind die Zauberer, die jeden Rheumatismus, jede Lungenschwindsucht, jedes Magen- oder Leberleiden aus der Welt schaffen. Sie sind die Tausendkünstler, die um die kahlen Lippen eitler Jünglinge den üppigsten Schnurrbart sprießen lassen, die von der Haut gefallsüchtiger Jungfrauen die Sommersprossen wegtilgen und die kahlen Glatzen alter Hagestolze mit wallenden Locken versehen. Sie sind die Wunderthäter, die mit einem Fläschchen für ein paar Mark den Siechen die Regeneration, die Wiedergeburt ihres Körpers versprechen. Ja, lächelt nur, ihr Cagliostro und St. Germain! Eure Art ist nicht ausgestorben, sie blüht und gedeiht in dem Jahrhunderte der Aufklärung. Seht, an den Verkäufer eines einzigen Geheimmittels sind im Verlauf von drei Jahren 178,000 Mark durch Posteinzahlung gelangt. Ein anderer Geheimmittelfabrikant hat in einem Jahre nach Postausweisen 300,000 Mark eingenommen und in einem Vierteljahre 6000 Mark Insertionskosten bezahlt. Ja, der Lebensverlängerungs-Schwindel hat auch in unserer Zeit nicht aufgehört, er ist nur gemeiner geworden, denn er plündert nicht die Reichen, wie Cagliostro und St. Germain es gethan, sondern er beutet die armen Kranken aus.

St. v. J.     

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Alessandro Cagliostro (1743–1795)
  2. James Graham (1745–1794)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_060.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2024)