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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Guillotin und die Guillotine.

Grelle Gegensätze sind keine Seltenheit in unserem Menschenleben, scheinen sich aber doch an manchen Orten häufiger zu zeigen, oder treten da auffälliger hervor, als anderswo. Eine solche Stadt schärfster Kontraste ist ohne Zweifel Paris für Jeden, dem beim Durchwandeln derselben neben dem Bilde der Gegenwart das der Vergangenheit im Geiste vor Augen steht. Wie heiter grüßt uns die Landschaft, in welche die Häusermasse sich hingelagert hat, und wie heiter grüßen uns diese mit feinster Decorationsmeisterschaft für den Blick oft endlos dahingezogenen Straßenreihen, die immer im Festschmuck prangenden Plätze und die Prachtbauten, in welchen der schaffende Menschengeist seine Schätze in Fülle der Bewunderung aller Welt vorlegt! Und dennoch verlassen uns die dunklen Schatten nicht, mit welchen die Geschichte an so vielen Stellen diese Herrlichkeit bedeckt, wo die Erinnerungen an die Unthaten des Wahns und der Gewalt uns die Großthaten des Genius nicht rein und voll genießen lassen.

Guillotin zeigt dem Convent das Modell der Guillotine.
Nach dem Oelgemälde von J. C. Herterich.

Am schärfsten trat mir dieser Zwiespalt der Empfindungen vor zwei Plätzen entgegen: vor dem ehemaligen Grève- und vor dem Concordienplatz. Der Raum, der vor der Façade des Pariser Rathhauses sich ausdehnt, würde eine herzerfreuende Augenweide sein, und noch mehr der von Kunst und Natur gleich eifrig und reich ausgestattete Concordienplatz, wenn uns nicht ein Grausen vor deren Vergangenheit überrieselte. Beide waren Hinrichtungsorte, und an beiden hat die Tyrannei der Fürsten und des Volks ihre Opfer in furchtbarer Zahl hingeschlachtet. An beiden war es möglich geworden, eine humanere Hinrichtungsweise sogar mit dem Fluch der Welt zu belasten. Die Guillotine ist es, an deren Schreckensherrschaft wir auf beiden Plätzen gemahnt werden, ehe wir zum Genuß der Anschauung und der heiteren Pracht beider gelangen können.

Wer nur einen flüchtigen Blick auf die entsetzliche Reihe der verschiedenen Hinrichtungsweisen zu den verschiedenen Zeiten und bei den verschiedenen Nationen wirft – von einem näheren Eingehen auf das widerwärtigste Zeugniß für die Gestaltungskraft der menschlichen Phantasie im Unmenschlichen kann hier gar nicht die Rede sein! – der wird finden, daß die mildeste Form der Hinrichtung die Enthauptung war. Aber ihr haftete noch eine große Härte an, und das war die Unsicherheit in der Führung des Scharfrichterschwertes.

Der Gedanke an eine Sicherung und Abkürzung dieser Hinrichtungsart konnte deshalb wohl zu einer Zeit aufsteigen, in welcher politischer Parteihaß sich des Richterstuhls bemächtigte und Fällung und Ausführung von Todesurtheilen bald eine tägliche Arbeit wurde. In einer solchen Zeit war es, wo ein Pariser Arzt, der wegen des Freimuths, den er im Kampfe für die Säuberung des ärztlichen Berufs von allerlei geduldetem Unwesen erwiesen, zum Mitgliede der Nationalversammlung gewählt worden war, Joseph Ignaz Guillotin, in einer Sitzung (am 10. October 1789) die Ansicht aussprach, daß man die bis dahin üblichen, für die Verbrecher jedes Standes und Geschlechts und sogar für das Maß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_061.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)